# taz.de -- Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: „Zeit für einen Schulte… | |
> Der Innenminister will die Flüchtlingsfrage anpacken: Milliarden sollen | |
> investiert werden. Menschen vom Balkan wird mit harter Kante gedroht. | |
Bild: Flüchtlingskind im Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt, Brandenburg… | |
BERLIN taz | Mit staatstragender Mine tritt Thomas de Maizière am | |
Mittwochabend vor die Presse. „Jetzt ist die Zeit für einen gemeinsamen | |
Schulterschluss“, sagt der Innenminister. „Es ist die Zeit, neue Wege zu | |
gehen. Es die Zeit für pragmatische Lösungen.“ | |
Es ist ein Weckruf. Kurz zuvor hatte das Bundesamt für Migration eine neue | |
Prognose verschickt: Dort rechnet man nun mit bis zu 800.000 Flüchtlingen | |
in diesem Jahr. Es wäre ein einsamer Rekord. Noch zu Jahresbeginn war das | |
Amt von 300.000 ausgegangen. Mit der neuen Prognose würde die bisherige | |
Spitzenzahl nach der Wende – 438.191 Asylanträge im Jahr 1992 – weit | |
übertroffen. | |
„Wir müssen diese Herausforderung gemeinsam annehmen und werden sie | |
meistern“, sagt de Maizière. Die Botschaft ist klar: Die Flüchtlingsfrage | |
wird jetzt oberste Staatsaufgabe. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) | |
sieht inzwischen eine Herausforderung, die „unser Land verändern wird“. Ab | |
Montag wird nun ein Koordinierungsstab zwischen Bund, Ländern und Kommunen | |
die Flüchtlingsversorgung steuern. Dazu kündigt de Maizière ein ganzes | |
Maßnahmenpaket an. | |
Vorderstes Ziel sei es, die Erstaufnahmestellen auszubauen. Der Bund sieht | |
einen Bedarf von bis zu 150.000 Plätzen – bisher gibt es 45.000. | |
Bauvorschriften wie Brand- oder Emissionsschutz müssten gelockert werden, | |
um Immobilien schnell als Unterkünfte nutzen zu können. Das | |
Migrationsbundesamt wird vier „Entscheidungszentren“ bauen – in Nürnberg, | |
Mannheim, Berlin und Unna. Dort sollen in einem halben Jahr 200.000 Anträge | |
abgearbeitet werden. Mehrere Länder holen Beamte aus dem Ruhestand, um das | |
Bundesamt zu unterstützen. | |
Laut Gabriel sind 3 Milliarden Euro allein für die Kommunen nötig, um | |
Flüchtlinge zu versorgen. Bisher steuert der Bund 1 Milliarde Euro bei. | |
## Abschiebungen auch im Winter | |
De Maizière sagte, der „dramatische“ Anstieg der Flüchtlingszahlen sei | |
„unvorhersehbar“ gewesen. Deutschland müsse sich aber „auf einige Jahre�… | |
auf dieses Niveau einstellen. Die Konflikte im Nahen Osten und Nordafrika | |
seien ungelöst, die Lage in Griechenland habe sich „drastisch“ verschärft. | |
Zuletzt zählte die Polizei allein in Bayern, Endpunkt der „Balkan-Route“ | |
aus der Türkei, fast 7.000 neue Flüchtlinge täglich. Noch im Juni waren es | |
einige Hundert pro Tag. Das Bundesamt kommt mit der Registrierung nicht | |
mehr hinterher. Inzwischen dauert es mehrere Wochen, bis Neuankömmlinge | |
ihren Asylantrag stellen können. So wurden im Juli 37.531 Anträge gestellt | |
– eingereist waren aber fast 83.000 Flüchtlinge. Seit Jahresbeginn wurden | |
fast 310.000 Einreisende erfasst. Nur 218.221 konnten bisher einen Antrag | |
stellen. | |
Die Regierung will nun stärker differenzieren: schneller Schutz für | |
Bürgerkriegsflüchtlinge, harte Kante gegen Balkan-Einreisende. Bereits | |
jetzt müssen Bewerber aus Syrien, dem Irak oder Eritrea nur noch Fragebögen | |
einreichen, Anhörungen entfallen. Flüchtlinge vom Balkan, die zu 99 Prozent | |
abgelehnt werden, sollen dagegen in den Erstaufnahmestellen verbleiben und | |
möglichst Sachleistungen statt Taschengeld erhalten. Abschiebungen sollen | |
auch im Winter stattfinden, Albanien, Kosovo und Montenegro sollen sichere | |
Herkunftsstaaten werden. 70 bis 90 Prozent aller Balkan-Flüchtlinge kämen | |
derzeit nach Deutschland. Das sei „inakzeptabel“, so de Maiziere. | |
Die Balkan-Pläne dürften auf Widerstand stoßen. Die Linke warnt vor | |
„verfassungswidrigen“ Einschnitten; die Grünen sperren sich dagegen, dass | |
mehr Staaten als „sicher“ deklariert werden. Und den Taschengeldvorstoß | |
nennt selbst Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) „enttäuschend“, da | |
dieser Fremdenfeindlichkeit schüren könne. De Maizière hält dagegen: „Die | |
Zeit für gegenseitige Schuldzuweisungen ist vorbei.“ | |
19 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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