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# taz.de -- Auf der Balkanroute in die EU: Gevgelija, Symbol der Machtlosigkeit
> Von der mazedonischen Stadt aus machen sich jeden Tag Tausende nach
> Serbien auf. Exjugoslawien ist nur eine Zwischenstation, ihr Ziel ist die
> EU.
Bild: Im Bahnhof von Gevgelija, Mazedonien, kämpfen Flüchtlinge um einen Pl…
Belgrad taz | Trotz des Durcheinanders ist ein System an der
mazedonisch-serbischen Grenze erkennbar: Bis zu drei Züge täglich fahren in
den Bahnhof von Gevgelija ein – und werden von Flüchtlingen gestürmt, die
vor allem aus Syrien, Afghanistan und Irak über die Türkei und Griechenland
illegal hierher gekommen sind.
Grenzpolizisten schauen zu, während so viele wie möglich in die Züge
steigen, die sie für 10 Euro nach Tabanovce an der serbischen Grenze
bringen. Dort angekommen, zeigt man ihnen, in welcher Richtung Serbien
liegt – und sie marschieren los.
Die Devise lautet: den Flüchtlingsstrom so schnell wie möglich weiterziehen
zu lassen. Alle, die illegal ins Land gekommen sind, werden praktisch
aufgefordert, illegal die serbische Grenze zu überqueren.
Den Versuch, Ordnung in das Flüchtlingschaos zu bringen, haben die Behörden
längst aufgegeben. Theoretisch sollten Aufenthaltsgenehmigungen für 72
Stunden ausgegeben werden. Doch bei bis zu 2.000 illegalen Grenzübergängen
täglich ist nicht einmal das möglich.
Gevgelija ist ein Symbol der Verzweiflung der Flüchtlinge – und der
Machtlosigkeit der lokalen Behörden auf dem Balkan. Vor wenigen Tagen brach
ein regelrechter Kampf um Zugplätze in Richtung Serbien aus: Mit Messern
und Schlagstöcken in der Hand schafften es nur die stärksten, Kinder wurden
durch Fenster in die Waggons geworfen und wieder hinaus, wenn die Eltern
draußen blieben, Schreie, Tränen, Verwundete.
Einmal in Serbien angekommen, suchen die Erschöpftesten Hilfe in einem
Aufnahmelager nahe der Stadt Presevo. Dort werden sie medizinisch versorgt,
bekommen Nahrungsmittel und Wasser. Einige werden als Asylanten
registriert. Die meisten jedoch ziehen weiter Richtung Ungarn.
Unter den Flüchtlingen hat sich herumgesprochen, dass Ungarn eine Mauer
baut. Daher wollen sie so schnell wie möglich weiter – bevor es zu spät
ist. Auch das ist eine Grund für die aktuelle Flüchtlingswelle: Schmuggler
verbreiten Panik, um noch schneller noch mehr kassieren zu können.
## Wäsche trocknet am Baum
Die nächste Station der „Balkanroute“ ist Belgrad. Dort sieht man
menschliches Leiden, wie sie die Einwohner aus der Zeit der Balkankriege
kennen. Etwa im Park beim zentralen Busbahnhof morgens um 5.30 Uhr.
Tausende schlafen in Zelten, Schlafsäcken und auf dem Rasen. An Bäumen
trocknet Wäsche. Dann wachen die Menschen auf und begeben sich auf die
Suche nach Wasser und Brot. In einem Nachtclub dürfen sie die Toilette
benutzen. Die serbischen Behörden sind so überfordert mit den
Flüchtlingsmassen wie die mazedonischen.
Das Innenministerium spricht von über 90.000 Flüchtlingen, die in der
ersten Jahreshälfte durch das Land gezogen sind. Mazedonien und Serbien
kämpfen mit einer Arbeitslosigkeit von 40 beziehungsweise 30 Prozent und
einer tiefgreifenden sozialen Misere. Ohne massive Hilfe der EU und des
UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kann die Situation leicht außer Kontrolle
geraten.
Die Tageszeitung Vecernje novosti sieht große Interessenunterschiede
zwischen Serbien und der EU. Während Belgrad die Flüchtlinge, die ohnehin
nicht im Land bleiben wollen, so schnell wie möglich wieder loswerden
wolle, erwäge Brüssel, dort „riesige Flüchtlingscamps“ einzurichten.
## Nächste Station: Ungarn
Aus Belgrad reisen die Flüchtlinge per Zug oder Bus weiter nach Subotica an
der ungarischen Grenze. Auch hier gibt es hauptsächlich provisorische
Aufnahmelager, geschlafen wird in Parks, Wäldern oder verlassenen Fabriken.
Brutal brennt die Sonne, die Temperatur erreicht fast 40 Grad im Schatten.
Am Abend sieht man einzelne kleinere oder größere Gruppen zu Fuß zur
ungarischen Grenze gehen.
Manche haben über Strohmänner Kontakt mit ungarischen Schmugglerbanden
aufgenommen. Wer kein Geld mehr hat, versucht sein Glück allein. Die
meisten wollen nach Deutschland, das „gelobte Land“. Trotz verschärfter
Grenzkontrollen gibt es immer noch Schlupflöcher.
Doch, was passiert wenn die „ungarische Mauer“ einmal steht? Zunächst wird
es zu einem Flüchtlingsstau in Serbien kommen, meinen Experten. Doch dann
werden Tunnel gegraben, der Zaun wird hier und dort durchlöchert. Die
Flüchtlinge werden längere und teurere Routen nehmen, über Bosnien und
Kroatien oder Bulgarien und Rumänien. Keine Mauer werde der Verzweiflung
der Menschen standhalten können.
17 Aug 2015
## AUTOREN
Andrej Ivanji
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Ungarn
Asylsuchende
Ausgrenzung
Serbien
Winfried Kretschmann
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