# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Schludrige Asylbürokratie | |
> Die überforderte Bürokratie macht Flüchtlingen das Leben schwer. Sie | |
> erhalten falsche Reisepapiere und werden dann dafür bestraft. | |
Bild: Warten auf die Weiterreise: syrische Flüchtlinge in Idomeni in Nordgriec… | |
Idomeni ap | Ihren griechischen Reisedokumenten zufolge sind die beiden | |
jungen Brüder aus Syrien jeweils 110 Jahre alt und haben unterschiedliche | |
Eltern. Die Beamten, die die Dokumente ausstellten, waren bei der Ankunft | |
der Flüchtlingsmassen offensichtlich völlig überfordert – mit bitteren | |
Folgen für die beiden jungen Männer. | |
Das wachsende bürokratische Chaos erschwert den Tausenden von syrischen | |
Flüchtlingen das Leben, zusätzlich zur Erschöpfung, Hunger und der | |
ungewissen Zukunft. Jeden Tag verurteilen die Gerichte in Thessaloniki, das | |
nur 80 Kilometer von der Grenze zu Mazedonien entfernt liegt, Dutzende | |
Syrer zu 30-tägigen Gefängnisstrafen wegen falscher Reisepapiere – | |
ausgestellt von schludrigen und überforderten Beamten. | |
„Leider sind die Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge in Griechenland nur | |
minimal“, sagt Christos Gkortselidis, Rechtsanwalt der beiden syrischen | |
Brüder, die in Wirklichkeit 19 und 25 Jahre alt sind. “Niemand erklärt | |
ihnen ihrer Rechte. Das Ergebnis ist, dass sie ohne irgendeinen Grund | |
festgenommen und verurteilt werden.“ | |
Griechenland ist in der europäischen Flüchtlingskrise besonders betroffen. | |
Seit Januar sind dort 160.000 Menschen angekommen, viermal so viele wie im | |
gesamten Jahr 2014. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren es allein im | |
letzten Monat 50.000, die das finanziell am Boden liegende Land erreichten. | |
## Hoffen auf Asyl im Norden | |
Beinahe alle kommen den kurzen Weg von der Türkei über das Meer, häufig in | |
seeuntüchtigen Schlauchbooten. Auf den griechischen Inseln erhalten sie | |
vorläufige Reisepapiere, wenn sie nachweisen können, dass sie aus dem vom | |
Bürgerkrieg erschütterten Land kommen. Um aus Griechenland ausreisen zu | |
können, benötigen sie jedoch weitere Dokumente. | |
Mit diesen Papieren geht es dann im Idealfall weiter nach Idomeni an der | |
Grenze zu Mazedonien und von dort durch Serbien und Ungarn. Ziel sind die | |
wohlhabenden Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Schweden, wo sie | |
auf Asyl hoffen. | |
Neben überlasteten Beamten und Kommunikationsproblemen sind es auch | |
widersprüchliche Anweisungen der griechischen Behörden, die für Chaos | |
sorgen. Auf der Insel Kos etwa wird den Flüchtlingen gesagt, sie könnten | |
die zusätzlichen Dokumente nur in Athen erhalten. Anderswo gibt es diese | |
Order nicht. | |
Die Reise nach Athen stellt für viele Flüchtlinge eine weitere Belastung | |
dar. Sie kostet nämlich im Gegensatz zu anderen kürzeren Routen nicht nur | |
Zeit, sondern oft auch viel Geld. Manche reisen direkt nach Thessaloniki, | |
andere brechen ihren Aufenthalt in Athen ab, ohne die Papiere erhalten zu | |
haben. | |
## Verurteilt, weil sie Pech hatten | |
In Thessaloniki werden einige von ihnen verhaftet, weil sie gegen die | |
Reiseauflagen verstoßen haben – und werden nach Athen zurückgeschickt. | |
Andere wiederum erhalten die Zusatzdokumente einfach so – ohne die Prozedur | |
vor Gericht. | |
Rechtsanwalt Gkortselidis sagt, seine Mandanten seien verurteilt worden, | |
weil sie das Pech hatten, über Kos nach Griechenland einzureisen: “Wären | |
sie über eine andere Insel eingereist, wäre ihnen das erspart geblieben.“ | |
Inzwischen haben die beiden Brüder Mazedonien erreicht. Ihr Name soll nicht | |
genannt werden. Sie fürchten, das könnte ihrem Asylantrag schaden. | |
„Das ist absurd“, sagt Jaman Al-Sajed, ein 19-jähriger Informatikstudent | |
aus Damaskus, der in Thessaloniki festgenommen wurde, weil er die Papiere | |
nicht in Athen besorgt hatte. “Die hätten mir die Dokumente anderswo in | |
Griechenland geben können. Da warten so viele Menschen in Athen.“ | |
Dabei hatte Al-Sajed sich zunächst an die Anweisung gehalten, war von Kos | |
nach Athen gereist. Doch dort sagte man ihm, er müsse vier Tage warten. Die | |
Hotel- und Lebenshaltungskosten überstiegen seine Möglichkeiten. “Bislang | |
habe ich 1800 Euro ausgegeben, seit ich die Türkei erreicht habe“, sagt er. | |
“Deswegen habe ich den Zug nach Thessaloniki genommen, wurde festgenommen | |
und nach Athen zurückgeschickt.“ Dort sagte man ihm, er müsse weitere vier | |
Tage warten. Daraufhin nahm er einen Reisebus an die mazedonische Grenze. | |
Und dort habe er dann allein mit seinem syrischen Pass einreisen können. | |
## Wohin gehen sie? | |
Ein Radioreporter des Senders Vima FM traf am Montag einen offenen Nerv, | |
als er Migrationsministerin Tassia Christodoulopoulou fragte, wohin die | |
Flüchtlinge denn gingen, wenn sie in Griechenland erfasst wurden. “Sie | |
werden herausfinden, wohin sie gehen. Ich werde nicht für Sie Ihre | |
Berichterstattung übernehmen“, schnappte die Ministerin. “Ich habe einigen | |
Ihrer Kollegen gesagt, dass sie verschwinden, weil es da einige Dinge gibt, | |
die ich nicht in der Öffentlichkeit sagen kann.“ | |
Am Bahnhof von Idomeni gibt es keine Zweifel an der Antwort. Hunderte von | |
Migranten treffen dort jeden Tag ein, mit regulären Fernbussen oder | |
gecharterten Reisebussen. Die letzten fünf Kilometer müssen sie zu Fuß | |
gehen. Meist in der Nacht machen sich Gruppen zwischen 20 und 30 Menschen | |
auf den Weg, darunter Frauen mit schlafenden Kindern auf dem Arm oder im | |
Kinderwagen, die Männer tragen das Gepäck der Familie. Mit den neuen | |
Transitpapieren quetschen sie sich in überfüllte Züge, die sie zur nächsten | |
Grenze nach Serbien bringen. | |
Der 32-jährige Mohmmad Abdul Asis machte den Fußweg mit seinen drei Kindern | |
im Alter von fünf, sieben und zehn Jahren. “Wir sind sehr müde“, sagt er. | |
“Die Dinge sind nicht so einfach – aber auch nicht zu schlecht. Ich weiß, | |
dass uns die Papiere, die ich habe, nicht erlauben an die mazedonische | |
Grenze zu kommen. Aber ich muss Griechenland wirklich verlassen und unsere | |
Reise fortsetzen.“ | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Costas Kantouris | |
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