# taz.de -- Flüchtlingskrise in Griechenland: Eine erschöpfte Insel | |
> 600 Menschen landen jeden Tag auf Kos. Dort mangelt es an Essen und | |
> Unterkunft. Und an Maschinen, um Dokumente für die Weiterreise zu | |
> erstellen. | |
Bild: Syrische Flüchtlinge landen am 9. August am Strand von Kos. | |
KOS taz | Mofeed und Asma sitzen auf der Erde vor einem Einpersonenzelt. | |
Zahlreiche solcher Notunterkünfte reihen sich auf den Grünflächen von | |
Kos-Stadt, wo bis Dienstagmittag Hunderte Flüchtlinge campen. Der Boden ist | |
übersät mit Müll, aus den Parkecken riecht es nach Kot und Urin. Es gibt | |
weder Toiletten noch Duschen. Trinkwasser und Nahrungsmittel sind rar. Eine | |
lachende Touristengruppe zieht vorbei. Miniröcke, Sonnencremeduft, leicht | |
verbrannte Haut. Ein paar Meter weiter legt eine Luxusjacht im Hafen an. | |
Musik schallt aus den Boxen der Cocktailbars. | |
Seit knapp einer Woche leben Mofeed und Asma hier. Das junge Ehepaar aus | |
Syrien ist zu Fuß los, marschiert zwei Tage durch Syrien, überquert die | |
Grenze zur Türkei. Von dort schlagen sie sich nach Bodrum an der türkischen | |
Küste durch, setzen die knapp sieben Kilometer von der Türkei nach Kos | |
über. In einem Gummiboot kommen sie früh morgens, noch im Dunkeln, mit vier | |
anderen SyrerInnen an. Dafür zahlten sie 1.200 Euro pro Kopf. | |
SyrerInnen werden in Griechenland für sechs Monate geduldet. Neben dem Camp | |
ist die Polizeistation von Kos. Täglich bildet sich eine Traube von | |
Flüchtlingen vor den Toren, um einen Blick auf die ausgehängten | |
Namenslisten zu werfen. Wer seinen Namen auf der Liste findet, kann hoffen, | |
weiter zu kommen. Seine Identität wird kontrolliert, vorläufige Papiere | |
werden ausstellt. | |
Im Innenhof der Polizeistation überprüfen Polizisten eine Gruppe Menschen, | |
ÜbersetzerInnen unterstützen sie. Auf den Bänken um den Hof und auf dem | |
Boden hocken Frauen, Männer, Kinder. Einem Mann fehlt ein Unterschenkel, er | |
sitzt auf einem Stück Pappe, seine Krücke liegt neben ihm. | |
Im ersten Stock sitzt Georgios Giorgakakos, Direktor des Polizeipräsidiums, | |
an seinem großen Schreibtisch. Weil die Anzahl der Flüchtlinge enorm | |
gestiegen sei, dauere die Prozedur für die Neuankömmlinge immer länger, | |
seufzt der kräftige Mann mit dem freundlichen Lächeln. Im Juli seien | |
täglich um die 300 Flüchtlinge auf Kos angekommen, liest er aus der | |
Statistik von seinem PC-Monitor ab. Die Zahl habe sich im August | |
verdoppelt. Vor dem Ansturm hatte Kos nicht einmal 35.000 EinwohnerInnen. | |
„Die Menschen hier, Einheimische und Flüchtlinge, sind völlig überfordert�… | |
sagt der Polizeidirektor und schließt die Liste mit einem lauten Klick | |
seiner Maustaste. | |
## Syriza hat Bürokratie erleichtert | |
Die Lage in den Camps sei unmenschlich, gibt er zu. „Die Infrastruktur ist | |
dafür nicht ausgelegt.“ Zwar habe er genug MitarbeiterInnen, aber er | |
brauche dringend spezielle Maschinen, um die Papiere schneller ausstellen | |
zu können. Zwei davon habe er, einer wird ausschließlich für die SyrerInnen | |
genutzt. Kriegsflüchtlinge werden gegenüber den anderen bevorzugt | |
behandelt. Die Syriza-Regierung habe die Bürokratie zum Glück etwas | |
gelockert, erzählt Giorgakakos. Es müssen nicht mehr so viele | |
unterschiedliche Dokumente eingeholt werden, was das Arbeiten erleichtere. | |
„Natürlich wollen wir helfen“, betont der Polizeidirektor. Er selbst helfe | |
mit bei der Identifizierung der Ankömmlinge, „damit wir auch nur zehn | |
Leuten mehr ermöglichen, von hier wegzukommen.“ | |
Das einzige Auffanglager der Insel ist das verlassene Hotel Captain Ilias. | |
Eine Ruine, in der die Flüchtlinge auf ausrangierten Matratzen eine Bleibe | |
finden. Auch Toiletten und fließend Wasser gibt es dort. Doch das Hotel ist | |
überfüllt. Vor dem Eingang steht Vangelis Orfanidakis, Koordinator der | |
Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen auf Kos. Er läuft auf und ab, | |
telefoniert mit einem der Ärzte, die am Morgen hier Erste Hilfe leisten und | |
am Nachmittag mit ihrem Krankenwagen in das Zeltcamp neben der | |
Polizeistation fahren. | |
Hier im Flüchtlingslager gehe es noch einigermaßen, sagt Orfanidakis. Er | |
zeigt auf die Wassertanks und die Toilettenkabinen am Rand der Ruine. Das | |
ehemalige Hotel Captain Ilias hat 25 Zimmer, in denen für höchstens 200 | |
Menschen Platz ist. Momentan leben hier 600 bis 700 Flüchtlinge. Mehr gehe | |
wirklich nicht, sagt Orfanidakis. Die Neuankömmlinge suchen deshalb in den | |
Parks und auf dem Rasen einen Schlafplatz. | |
Die Organisation leistet neben erster ärztlicher Versorgung auch | |
psychologische Hilfe und überweist Flüchtlinge bei ernsteren Krankheiten | |
ins Krankenhaus, wo sie kostenlos behandelt werden. Die hygienischen | |
Verhältnisse auf Kos seien dramatisch, sagt Orfanidakis. Die Flüchtlinge | |
hätten keinen Zugang zu den öffentlichen Toiletten und müssen ihre Notdurft | |
im öffentlichen Raum verrichten. Das sei besonders für die Frauen | |
unerträglich. Die Gemeinde Kos biete keinerlei Unterstützung. „Wir haben | |
auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene um Unterstützung gebeten“, | |
sagt Orfanidakis. Bisher ohne Erfolg. Immerhin helfen EinwohnerInnen den | |
Flüchtlingen mit Kleidung, Nahrung und Wasser. Die Unterstützung reicht | |
jedoch nicht aus. | |
## Sorge um den Tourismus | |
Auf der Insel macht sich derweil auch Unmut gegen die Flüchtlinge breit. | |
„Das Zentrum von Kos ist in einem schlimmen Zustand, und so haben die | |
Leute, die hier mit Tourismus ihr Geld verdienen, große Probleme“, sagt | |
Georgios Chalkidos, Präfekt der Inseln Kos und Nisiro. Der schmal gebaute | |
Mann lächelt erschöpft, während er erzählt: In diesem Jahr seien die | |
TouristInnen noch nach Kos gekommen, weil sie bereits gebucht hatten. Er | |
befürchtet, dass sie nächstes Jahr ausbleiben, weil Kos überall in den | |
Nachrichten vorkommt. Die Insel lebe aber allein vom Tourismus. Alle seien | |
am Ende ihrer Kräfte. | |
Hinter der Polizeistation steht ein Mann in seinem Kiosk. Auf dem Tresen | |
vor der Kasse hat er Räucherstäbchen angezündet gegen den Gestank der | |
Fäkalien aus dem Park. Natürlich vertreibe das potenzielle KundInnen, sie | |
machten einen weiten Bogen um diese Stellen. Um die Ecke steht ein | |
Tavernenbesitzer vor seiner Gaststätte und versucht TouristInnen an die | |
Tische zu lotsen. Das Geschäft laufe schlechter als sonst. Wie Tiere | |
benähmen sich die Flüchtlinge, sagt er wütend und serviert einem | |
Touristenpaar das Essen. Die beiden hatten schon gebucht – und sich über | |
die Situation vor Ort informiert. „Aber so schlimm habe ich es mir nicht | |
vorgestellt“, sagt die Frau aus Deutschland leise. | |
Ein Sprechchor schallt von der Straße am Wasser schräg gegenüber. „We want | |
to leave – wir wollen gehen!“, rufen rund achtzig Flüchtlinge. Sie haben | |
sich zu einer spontanen Demonstration zusammengetan, halten zwei | |
Pappschilder mit dem Slogan ihres Sprechchors hoch. Auch Mofeed ist dabei. | |
Hierbleiben? Nein. Zusammen mit seiner Frau will er weg, nur weg. Am Montag | |
heißt es, dass sie ihre Papiere vermutlich in den nächsten Tagen bekommen. | |
Sicher ist es nicht. Europa solle endlich eingreifen, sagt Mofeed. | |
Das fordert auch Tasia Christodoulopoulo, stellvertretende Ministerin für | |
Migration der Syriza-Regierung. „Die EU hat zum ersten Mal anerkannt, dass | |
das Problem nicht mehr nur einzelne Länder, sondern ganz Europa betrifft“, | |
sagt sie in ihrem Athener Büro. „Ein erster Schritt.“ Bisher habe die EU | |
Griechenland mit der Situation komplett alleingelassen. Nun habe die EU | |
wenigstens 8.000 Flüchtlinge auf unterschiedliche Länder verteilt. 460 | |
Millionen Euro habe man in Griechenland für fünf Jahre zur Verfügung – zu | |
wenig, um anständig Hilfe leisten zu können. Immerhin plane die EU weitere | |
Hilfen. | |
„Es sollen Teams mit den dringend benötigten Maschinen auf die Inseln | |
geschickt werden, um die Papiere der Flüchtlinge schneller ausstellen zu | |
können“ berichtet Christodoulopoulo. Auch zusätzliche ÜbersetzerInnen | |
sollen geschickt werden. Die Zustände auf Kos seien dem Bürgermeister | |
zuzuschreiben, sagt sie. | |
Er weigere sich, zu helfen, lasse nicht einmal den Müll wegräumen, der sich | |
an den Plätzen, wo die Flüchtlinge hausen, ansammelt. „Damit will er den | |
Einheimischen zeigen, dass die Flüchtlinge an der Situation schuld sind“, | |
sagt Christodoulopoulo. | |
## Paddelschläge tönen vom dunklen Meer | |
Es ist früh am Morgen. Leise Paddelschläge sind zu hören. Ein gelbes | |
Gummiboot mit sechs Männern erreicht den langen Strand von Kos, von dem aus | |
die Türkei zu sehen ist. Aufgeregt und erschöpft springen die Männer, | |
zwischen 23 und 26 Jahren alt, aus dem Boot, streifen ihre orangefarbenen | |
Rettungswesten ab, werfen sie auf den Sand, umarmen sich, lachen, schlagen | |
sich immer wieder gegenseitig auf die Schulter. | |
Die Männer holen ihre Smartphones aus den Hosen, reißen die Plastikfolien | |
auf, in die sie sie zum Schutz vor dem Wasser verpackt hatten. „Mama, ich | |
bin angekommen“, ruft der eine ins Telefon. Der andere tippt in seine | |
Nachrichten-App und informiert seine Familie über die sichere Ankunft. Ein | |
weiterer zeigt das Bild seines kleinen Sohnes, bald will er ihn nachholen. | |
Jeder der Männer hat einen Hochschulabschluss, will ein Leben in Sicherheit | |
beginnen, Karriere machen. Sie spielen ein kurzes Video ihrer Überfahrt von | |
der Türkei nach Griechenland ab. Wieder Lachen. Sie glauben, sie haben es | |
geschafft. | |
Bis Mittwochmorgen haben 1.000 Flüchtlinge ihre Papiere erhalten, bis | |
Freitag will die Polizei weitere 3.500 Dokumente ausstellen. Die Camps in | |
der Stadt hat die Polizei bis Dienstagabend geräumt, die Flüchtlinge harren | |
nun vor dem Sportstadion aus. Mofeed und Asma haben ihre Papiere am | |
Mittwoch bekommen. Sie sind direkt auf die Fähre nach Athen gegangen. | |
13 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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