# taz.de -- Debatte Behörden und Geflüchtete: Privatisierte Flüchtlingshilfe | |
> In diesen Tagen wird die Ineffizienz, Inkompetenz und soziale | |
> Verwahrlosung deutscher Behörden deutlich. Ein Lichtblick sind private | |
> HelferInnen. | |
Bild: Völlig überflüssiges Elend inmitten der Hauptstadt: Kinder am LaGeSo. | |
Es ist der Sommer der Menschenverachtung und des wunderschönen privaten | |
Engagements dagegen. Die Horrorgeschichten aus Syrien, vom Mittelmeer, den | |
deutschen Behörden und den Zuständen in Freital oder in Dresden reißen | |
nicht ab und werden doch begleitet von Berichten über Menschen, die helfen | |
– am deutschen Staat vorbei. | |
Ob es nun um „Sea Watch“ geht, ein privates Boot, das für die Rettung von | |
Vertriebenen aus dem Mittelmeer sorgt, oder um die Plakataktion „Ich bin | |
Fluchthelfer”, stets sind die Aktionen wie die Artikel über sie von der | |
Erleichterung getragen, dass der Zynismus der Behörden und der | |
Regierungsverantwortlichen noch nicht alle Teile der Gesellschaft infiziert | |
hat. Doch das ist tückisch. | |
Vergangene Woche kam es in Berlin zu katastrophalen und zu sehr schönen | |
Szenen. Mehr als tausend Menschen warten zum Teil über Tage hinweg in der | |
Hitze auf dem Gelände des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), | |
um sich registrieren zu lassen und einen Schlafplatz zugeteilt zu bekommen. | |
Nur ein Wasserhahn funktionierte und besonders Kinder litten unter Durst | |
und Hunger. Völlig überflüssiges Elend inmitten der Hauptstadt. | |
Doch die verantwortliche Behörde rief nicht den Notfall aus, womit die | |
Kosten für eine anständige Wasserversorgung problemlos abrechenbar geworden | |
wären. Sie rief den Wachdienst und vereinzelt kam es zur Gewalt. Die | |
Abschreckungsideologie herrscht ungebrochen: Jeder Geflüchtete, der in der | |
Heimat erzählt, wie schlecht er oder sie hier behandelt wurde, ist ein | |
guter Flüchtling. So gesehen ist auch jeder Tote eine gute Nachricht. | |
## Staat aus der Verantwortung entlassen | |
Spontan organisieren BerlinerInnen Hilfe via Facebook. Die Malteser und | |
Caritas unterstützen, denn auf einmal gibt es so viele Spenden, dass ihre | |
Lagerung und Verteilung professionalisiert werden müssen. Die Zeit | |
[1][titelt]: „Ein zivilgesellschaftlicher Gänsehautmoment”. Und benennt | |
damit das offene Messer, das die Behörden für alle HelferInnen | |
bereithalten. | |
Die systematische Privatisierung von Hilfe für Geflüchtete entlässt den | |
Staat aus der Verantwortung, und das kommt seinen Bediensteten gelegen. Die | |
sind jetzt schon beleidigt, dass sie wegen ihrer grassierenden Ineffizienz | |
und Inkompetenz kritisiert werden. Wer jemals im besagten Lageso war, um | |
einer FreundIn als Bio-Deutsche bei der Erstregistrierung behilflich zu | |
sein, weiß, dass ich nicht übertreibe. | |
Zu Recht weist etwa Jochen Schwarz vom Projekt Flüchtlinglotsen Pankow | |
darauf hin, dass die so wichtige private Hilfe mit einer „Skandalisierung | |
der fatalen jahrelangen Fehlpolitik auf lokaler, nationaler und | |
europäischer Ebene” verbunden werden muss. | |
Nur so kann die soziale Verwahrlosung der verantwortlichen Behörden | |
gebremst werden. Diese übrigens basiert wesentlich auf einem Versagen der | |
Leitungsebene. Würde das Management die Mitarbeitenden anweisen, sich | |
lösungsorientiert zu benehmen und ihnen als erste Maßnahme basales Englisch | |
als Sprache der Kommunikation verordnen sowie längerfristig auf eine | |
Entbürokratisierung der Anträge dringen – es gäbe die langen Schlangen und | |
die langen Wartezeiten nicht, genauso wenig wie Hunger und Durst in den | |
Vor- und Hinterhöfen. | |
Insofern war es richtig, dass Oliver Höfinghoff, Exvorsitzender der | |
Piratenfraktion und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, eigenen | |
Angaben zufolge Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen | |
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und gegen Franz Allert, den Leiter des | |
Lageso, gestellt hat. Er hat die Verbindung hergestellt. | |
## Nichthandeln keine gute Option | |
Aber noch ein Zusammenhang gerät über das deutsche Behördenversagen zu | |
häufig in den Hintergrund, und auch darauf weist Schwarz hin: Warum fliehen | |
die Menschen? | |
Hierzulande sind sich die meisten einig, dass die Situation in Syrien nicht | |
zu befrieden ist. Sich herauszuhalten, sei daher allemal noch das Beste. | |
Doch wenn Millionen von Menschen fliehen, ist Nichthandeln eben keine gute | |
Option mehr. Flugverbotszonen, die Schutz bieten könnten für | |
Hunderttausende, werden nicht diskutiert. Die Türkei wollte unbedingt eine | |
einrichten, doch die Amerikaner lehnten ab. Mit Interventionen habe man | |
schlechte Erfahrungen gemacht. | |
Der naheliegende Verweis auf die Erfolgsgeschichte einer Flugverbotszone in | |
Kurdistan, welche just die Amerikaner im Norden Iraks 1991 einrichteten, | |
blieb aus. Stattdessen heißt es: Schau aufs instabile Libyen. Nur: Wenn in | |
Libyen alles noch schlimmer wäre als in Syrien, warum fliehen dann nicht | |
Millionen von Libyer nach Europa? Immerhin läuft eine der zentralen | |
Fluchtrouten durch ihr Land. | |
## Notwendiger Brückenschlag | |
Noch immer fehlt eine breitere ernst zu nehmende Diskussion, die staatliche | |
Lösungsansätze im In- und Ausland pragmatisch abwägt und damit ein | |
Gegenwissen zu Frontex und den Nationalisten aufbaut. Leider droht die | |
mediale Feier des großartigen privaten Engagements genau diese Leerstelle | |
zu verdecken. | |
Wem dieser Brückenschlag zwischen inländischer Hilfe und humanitären | |
Interventionen im Ausland zu steil erscheint, der dürfte ziemlich sicher im | |
Gespräch mit Geflüchteten Rat finden. Ihr Leben ist ja zum Spagat zwischen | |
der Welt und Deutschland geworden. Wer sie als ÜberlebenskünstlerInnen | |
anspricht und nicht als „Flüchtlinge“ und damit ihr Wissen und ihre | |
Erfahrungen per se als untauglich einstuft, der wird inhaltliche | |
Unterstützung erhalten. | |
Denn natürlich wird die Frage nach Interventions- und | |
Befriedungsmöglichkeiten unter Vertriebenen breit diskutiert. Viele | |
wünschen inzwischen die Intervention gegen die Luftwaffe des Assad-Regimes | |
und können nicht nachvollziehen, warum etwas, das im Irak der 90er Jahre | |
funktioniert hat, heute in Syrien keinen Versuch wert sein soll. | |
Vertriebene sind ein Zeichen dafür, dass die nationalen wie internationalen | |
Eliten versagen. Sie stehen in der Verantwortung, ihren Kurs zu | |
korrigieren, nicht die nun Heimatlosen. Inzwischen sind laut UNHCR 50 | |
Millionen Menschen auf der Flucht. Nicht, dass die Menschen nach Europa | |
kommen, ist der Skandal, sondern dass sie hierher kommen müssen und dann | |
gedemütigt werden, dass es kracht. | |
12 Aug 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-08/berlin-moabit-lageso-asyl | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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