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# taz.de -- Berufsgewerkschaften klagen: Karlsruhe soll das Streikrecht retten
> Gegen das Tarifeinheitsgesetz: Die Pilotenvereinigung Cockpit und die
> Ärztegewerkschaft Marburger Bund erheben Verfassungsbeschwerde.
Bild: Protest gegen das Tarifeinheitsgesetz vor dem Berliner Hauptbahnhof
BERLIN taz | Das Tarifeinheitsgesetz wird ein Fall für das
Bundesverfassungsgericht. Unmittelbar nach seinem Inkrafttreten haben die
Pilotenvereinigung Cockpit und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund ihre
Klagen in Karlsruhe eingereicht. Sie sehen durch das Gesetz die
grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit und das Streikrecht in
Gefahr. Weitere Gewerkschaften bereiten Verfassungsbeschwerden vor.
Mitte Mai mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen, hatte
Bundespräsident Joachim Gauck das umstrittene Tarifeinheitsgesetz am Montag
unterzeichnet. Am Freitag trat es in Kraft. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist
es, „die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern“.
Das soll erreicht werden durch den Ausschluss konkurrierender
Tarifverträge. Konkret heißt das: Im Konfliktfall hat nur noch die
mitgliederstärkere Gewerkschaft in einem Betrieb das Recht, einen
eigenständigen Tarifvertrag abzuschließen. So sollen Tarifkollisionen
verhindert werden.
Während Arbeitgeber und der große DGB das Gesetz begrüßen, laufen die
kleineren Spartengewerkschaften Sturm: Sie sehen sich in ihrer Existenz
gefährdet. Ihnen bliebe zwar noch das Recht, von der Arbeitgeberseite
angehört zu werden und sich dem Abschluss der Konkurrenz inhaltsgleich
anzuschließen. Aber streiken dürften sie wohl nicht mehr. Der Grund: Nach
gängiger Rechtsprechung muss das mit einem Streik verfolgte Ziel sowohl
tariflich regelbar als auch tarifrechtlich zulässig sein. Da eine
Minderheitsgewerkschaft keinen eigenständigen Tarifvertrag mehr abschließen
kann, dürften von ihr initiierte Arbeitsniederlegungen deshalb künftig von
den Arbeitsgerichten als unverhältnismäßig untersagt werden.
## Spartengewerkschaften kämpfen für ihr Streikrecht
„Das nun unterschriebene Gesetz stellt ein Grundrecht unter
Mehrheitsvorbehalt“, sagte der Präsident der Vereinigung Cockpit, Ilja
Schulz. Kleineren Gewerkschaften würde die Möglichkeit genommen, notfalls
per Arbeitskampf die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. „Wir haben
die vorbereitete Verfassungsbeschwerde – einschließlich Antrag auf eine
einstweilige Anordnung – heute eingereicht“, teilte Schulz mit.
Der Marburger Bund begründet seine Verfassungsklage gegen das Gesetz damit,
dass es im Kern einen Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte
Koalitionsfreiheit darstelle. „Die freie Wahl der Gewerkschaft, wie sie
unser Grundgesetz garantiert, wird durch die Privilegierung der
Großgewerkschaften zur Disposition gestellt“, sagte Rudolf Henke, der
Vorsitzende des Marburger Bundes.
„Der Sache nach kommt im Tarifeinheitsgesetz der unausgesprochene Wille des
Gesetzgebers zum Ausdruck, das notstandsfeste Grundrecht der
Koalitionsfreiheit einer formlosen Verfassungsänderung zu unterziehen“, so
Henke.
## Lokführergewerkschaft und Verdi wollen auch klagen
Ebenfalls vor das Verfassungsgericht ziehen dürfte die Gewerkschaft
Deutscher Lokomotivführer. Die GDL werde „alle Hebel gegen die
Zwangstarifeinheit in Bewegung setzen und in Kürze in Karlsruhe klagen“,
kündigte der stellvertretende Vorsitzende Norbert Quitter an. „Wenn nur
noch die größere Gewerkschaft im Betrieb Tarifverträge schließen darf, dann
ist die kleinere – und wenn sie noch so stark organisiert ist – zum
kollektiven Betteln verdammt“, so Quitter. Das sei nicht hinnehmbar.
Die GDL ist allerdings vorerst selbst von dem Gesetz nicht betroffen,
obwohl die Mehrzahl der Bahnbeschäftigten der Eisenbahn- und
Verkehrsgewerkschaft (EVG) angehört. Bei ihren gerade erfolgreich
abgeschlossenen Schlichtungsverhandlungen hat sich die GDL jedoch von der
Deutschen Bahn eine „Langfrist-Garantie“ als Tarifpartner bis 2020 geben
lassen – unabhängig von gesetzlichen Neuerungen geltend.
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erwägt den Gang nach Karlsruhe.
Sie würde „eine Klage vorbereiten und derzeit die juristischen
Möglichkeiten prüfen“, hieß es auf Nachfrage aus der Berliner Zentrale.
Verdi gehört zusammen mit der NGG und der GEW zur Minderheit im DGB, die
das Tarifeinheitsgesetz ablehnt.
## Baum: „verfassungswidriges Stückwerk“
Das Tarifeinheitsgesetz stammt aus dem Haus von Bundesarbeitsministerin
Andrea Nahles (SPD). Es handele sich um „ein sorgfältig erarbeitetes, breit
diskutiertes und breit getragenes Gesetz“, sagte Nahles bei der
Beschlussfassung im Bundestag im Mai. Es fuße „auf dem demokratischen
Mehrheitsprinzip“.
Eine stattliche Zahl namhafter Arbeits- und Verfassungsrechtler haben dem
Gesetz hingegen bescheinigt, es stelle einen unzulässigen Eingriff in die
Rechte von Spartengewerkschaften dar und sei zudem voller handwerklicher
Fehler. So bezeichnete der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum es als
„verfassungswidriges Stückwerk“. Baum wird die Pilotenvereinigung in
Karlsruhe vertreten. Der Marburger Bund schickt den Göttinger
Rechtsprofessor Frank Schorkopf ins Rennen.
10 Jul 2015
## AUTOREN
Pascal Beucker
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