# taz.de -- Kommentar Umgang mit Griechenland: Deutsch und irrational | |
> Keynesianer haben jahrelang vor der Austeritätspolitik gewarnt. Aber in | |
> Deutschland regiert das Ressentiment der Volksparteien. | |
Bild: Unbeeindruckt vom Ringen Griechenlands: Kanzlerin Angela Merkel und ihr V… | |
In dieser Woche haben sie in Sachen Griechenland noch einmal alles | |
versucht. Thomas Piketty, Heiner Flassbeck und andere schickten [1][ihren | |
Offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel]. Überschrift: „Die Austerität ist | |
gescheitert“. Nobelpreisträger Paul Krugman brachte [2][in der New York | |
Times] in einem Akt der Verzweiflung Milton Friedman, das große Vorbild der | |
Neoliberalen, gegen die Politik der Eurogruppe in Stellung. | |
Keynesianer wie Krugman haben mit ihren jahrelangen Warnungen vor der | |
Politik der Troika in Griechenland recht behalten – und stehen dennoch in | |
der Debatte in Europa auf verlorenem Posten. Die Eurogruppe, Deutschland | |
voran, agiert, als gäbe es keine anderen legitimen Auffassungen, wie | |
Griechenland auf die Beine zu helfen wäre. | |
Pluralismus war gestern, Kompromisse auf Augenhöhe auch. Stattdessen ist | |
Hetze angesagt: Die Bild-Zeitung, das inoffizielle Leitmedium der | |
Medienbranche vom anderen Ende der Rudi-Dutschke-Straße, zeigt Merkel als | |
„Eiserne Kanzlerin“ mit Pickelhaube, die Griechenland aus dem Euro drängen | |
soll. | |
So wie sich viele 1914 auf einen kurzen Krieg freuten, verlangten deutsche | |
Konservative heute den Grexit, [3][schreibt Wolfgang Münchau auf Spiegel | |
Online]. Für ihn sei es erstaunlich, wie sich ein Land mit starken Wurzeln | |
im Humanismus und Rationalismus in Debatten immer wieder emotional | |
verrenne. | |
## Ausdruck aus dem Unterbewusstsein | |
Auch wenn historische Analogien nicht ungefährlich sind, hat Münchau recht: | |
Die harte deutsche Position ist zwar auch durch Interessen bedingt – | |
schließlich hat kein Land durch Niedriglöhne und Exportfixierung mehr vom | |
Euro profitiert als die Bundesrepublik. Mit rationalen Erwägungen alleine | |
ist die deutsche Politik und ihre völlige Ignoranz anderer ökonomischer | |
Positionen aber nicht zu erklären. Die griechische Frage bringt aus dem | |
Unterbewusstsein beider deutscher Volksparteien vieles hervor, was in | |
krisenfreien Zeiten unter der Oberfläche bleibt. | |
Die Union war noch in den siebziger Jahren eine unappetitliche Partei des | |
Ressentiments gegen Fremde und Linke. Erst Helmut Kohl (Verständigung mit | |
Europa) und Angela Merkel (Ende des Lagerkampfs mit der SPD) haben ihren | |
zivilisatorischen Fortschritt befördert. Syriza ruft beide Ressentiments | |
wieder hervor – etwa bei CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der von | |
„linken Erpressern und Volksbetrügern wie Tsipras“ spricht. Das hätte auch | |
Franz Josef Strauß nicht anders gemacht. | |
Etwas anders ist die Situation bei der SPD: Zunächst beweisen Sigmar | |
Gabriel und Martin Schulz mit ihren antigriechischen Tiraden, dass die | |
Partei seit 1914 ein Gen in ihrer DNA hat, in historischen Situationen auf | |
der falschen Seite zu stehen. Das Nationalistische ist der Sozialdemokratie | |
nicht fremd, dass es gerade in den großen außenpolitischen Krisen | |
hervortritt, nicht verwunderlich, aber problematisch. | |
## Schwer zu ertragene Freiheit | |
Dass Sozialdemokraten auf Syriza so allergisch reagieren, muss man | |
vielleicht psychologisch erklären: Die SPD ist eine Partei, in der niemand | |
ohne Unterwerfungsrituale nach oben kommt – eine, in der die Abgabe von | |
Voten gegen die eigene Überzeugung Alltagspraxis ist. Jüngstes Beispiel: | |
[4][Der Parteikonvent zur Vorratsdatenspeicherung], in der | |
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Abweichlern am Rande der | |
vermeintlich offenen Abstimmung gedroht haben soll, sie würden in der SPD | |
nichts mehr werden. | |
Kein Wunder, dass Sigmar Gabriel zunächst keine Einwände gegen Tsipras’ | |
Referendums-Idee hatte – bis klar wurde, dass der griechische | |
Ministerpräsident ein Nein empfahl. Freiheit ist für SPDler, die stets ihre | |
eigene Unterwerfung organisieren, schwer zu ertragen. | |
Möglich, dass es am Sonntag zu einer Einigung in Brüssel kommt. Aber | |
beruhigen kann das nicht: Die europäische Finanzkrise ist nur der Vorbote | |
größerer Wachstumskrisen. Beide Volksparteien gründen ihr Versprechen | |
sozialer Gerechtigkeit auf die Umverteilung von Wachstumsgewinnen. Dass sie | |
in dem Moment, wo ihr Modell in die Krise gerät, nur zu einer Politik des | |
Ressentiments fähig sind, verheißt nichts Gutes. | |
10 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.thenation.com/article/austerity-has-failed-an-open-letter-from-t… | |
[2] http://krugman.blogs.nytimes.com/ | |
[3] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/muenchau-merkel-zwischen-schulden… | |
[4] /!5205393/ | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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