Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Syrizas Politik: Was würde Marx sagen?
> Die griechische Regierungspartei wird in der europäischen Linken als
> Heldin des Antineoliberalismus verehrt. Aber ist sie das wirklich?
Bild: Sonne auf der Akropolis. Wie wär es mit Solarmodulen?
Berlin taz | Ein Marxist muss die momentane Debatte um den faktischen
Bankrott des griechischen Staates seltsam finden. Eine Analyse des
wichtigsten Kritikers der politischen Ökonomie hätte zumindest noch
angefügt: Eine Politik, die sich nicht den Zahlen, also den Fakten stellt,
kann keine sein. Einen linken Kader wie Gianis Varoufakis, für den Zahlen
nur „Technisches“ waren, hätte er nicht ernst genommen.
Marx hätte über eine Volkswirtschaft gespottet, deren Eliten sich nicht
selbst helfen wollen, durch Können, Kompetenz und ökonomisierbare Ideen. Er
hätte angemerkt, dass einem Land, das über keine nennenswerte, geschweige
denn konkurrenzfähige Industrie verfügt, nicht zu helfen ist, wenn es nur
Moral mobilisiert. Ein Land also, das sich selbst in der Fantasie wiegt,
die EU sei ihr schuldig, es aus dem Schlamassel zu holen – er hätte es so
milde bespottet wie einst die Iren.
Zu Recht ist die linke Sammlungsbewegung gewählt worden – die alten Eliten,
sozialdemokratische wie konservative, und ihre WählerInnen sind mit dem
Wort korrumpiert nur unzulänglich beschrieben. Aber: Auch Tsipras und seine
Leute haben nichts unternommen, um administrativ ihr Land in die Moderne zu
führen.
Steuergerechtigkeit, Quittungs- und Belegwesen, Ämter, deren Beamte Prämien
erhalten, wenn sie pünktlich zur Arbeit erscheinen, – kurz: Loyalität dem
Staatszweck gegenüber, der Verwaltung und Entwicklung Griechenlands – das
alles ist nicht auf der Agenda der links-rechten Regierung gewesen.
Stattdessen hat sich das sozialdemokratisierte Europa (Agnes Heller) vom
griechischen Finanzminister Varoufakis Vorträge anhören müssen, als wäre er
ein heilsgeschichtlich interessierter Tribun, der die Erweckung der
Unterdrückten in Europa herbeisehnt.
## Sozialistische Strukturen in der EU
Man lernte: Ein Mann, der sich zum Rock ’n’ Roller stilisiert, zum Macker
mit Sanftheitsappeal, ist noch kein guter Ökonom. Und vor allem kein
Linker, der eine Ahnung davon hätte, wie sehr die EU bereits
sozialstaatliche Strukturen in sich trägt, die allerdings von Land zu Land
verschieden günstig ausfallen.
Die erklärte Absicht der Brüsseler EU-Parteien in deren Mitte ist:
Integration – mittels ökonomischer Niveauanhebung. Was jedoch Syriza und
ihre linken Freund_innen in Europa wollen, ist: Alimentierung. Deshalb wird
moralisch argumentiert: Dass Merkel, Gabriel, Hollande und Dijsselbloem
Griechenlands Bevölkerung deckeln, unterdrücken und erniedrigen wollen – in
den Augen Varoufakis’ das Werk von Terror.
Die Tonlage mag verkraftbar sein, hauptsächlich war das falsch: Das Gros
der Milliarden ging nicht in die Entwicklung der griechischen Ökonomie,
sondern in die klientelistisch gesinnte Versorgung der Armen.
Konsum ist jedoch, laut Marx, niemals ein Treiber der
Produktivkraftentwicklung, sondern Industrialisierung. Beziehungsweise: die
Entwicklung einer Ökonomie, die so effizient wie möglich die optimalen
Profite bewirkt. Marx würde Syriza nicht als links anerkennen, allenfalls
in der Atmosphäre dessen, was sie verströmt. Das Fortschrittlichste an
Tsipras & Co war bis Januar ihr Ferngehaltenwerden von der Macht.
## Griechisches Aufbauprogramm
Worauf es jetzt ankäme, wäre ein modernes linkes Programm:
Schuldenumverteilung, um operationsfähig zu werden. Die Operationalität
müsste genutzt werden durch die Erhöhung des Renteneinstiegsalters, durch
den Verzicht auf den Anspruch, qua Euro-Zugehörigkeit die eigene Klientel
zu bedienen – und durch massive Investitionen (und daran geknüpfte
Steuersenkungen für neue Unternehmen) in den Ökosektor.
Auch der Tourismus sollte modernisiert werden – aber die erste Geige kann
nur eine Rohstoffgewinnung sein: Sonnenkraft noch und noch. Griechenland
als Exporteur von gutem Strom – und die Abwicklung der fossilen Strukturen.
Marx weinte nicht, konstatierte er Armut. Ein marxistisches Projekt setzt
nicht auf Barrikadenrhetorik, sondern vielmehr auf Selbsthilfe. Die
Milliarden wären da.
Der Beifall für Tsipras käme dann nicht nur von weit links und weit rechts,
sondern wahrlich auch aus der Mitte.
Am Ende bleibt, mit Marx, nur dies: Volksökonomischer Wohlstand ist ohne
Kapitalismus nicht zu haben.
10 Jul 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Krise in Griechenland
Syriza
Yanis Varoufakis
Karl Marx
Schwerpunkt Angela Merkel
Griechenland
Griechenland
Griechenland
Schwerpunkt Krise in Griechenland
Schwerpunkt Krise in Griechenland
China
Schwerpunkt Krise in Griechenland
Griechenland-Hilfe
## ARTIKEL ZUM THEMA
Angela Merkel und Griechenland: Gegen das Bauchgefühl der Deutschen
Die Kanzlerin steht vor einem historischen Moment. Ändert sie ihren Kurs?
Der Verbleib Griechenlands im Euro, Merkel muss ihn nur wollen.
Kommentar Umgang mit Griechenland: Deutsch und irrational
Keynesianer haben jahrelang vor der Austeritätspolitik gewarnt. Aber in
Deutschland regiert das Ressentiment der Volksparteien.
Kommentar Griechenlands Reformpaket: Tsipras hat kapituliert
Die Reformliste macht keine Hoffnung. Sie ist eine Kopie der harten
Maßnahmen, die die Troika Athen schon im Juni aufdrücken wollte.
Schuldenstreit mit Griechenland: Athen bittet um Hilfspaket
Griechenland hat eine Reformliste an die Gläubiger gesandt. Damit kommt die
Regierung unter Tsipras den Forderungen weitgehend nach.
EU und IWF in der Griechenland-Krise: Zugeständnisse bei Schulden geplant
Kurz vor Ablauf der Frist arbeitet Griechenland an einem
Kompromissvorschlag, um Geld einzusparen. Die EU und der IWF deutet auch
ein Entgegenkommen an.
Selbstversorgung in Griechenland: Gemüsegarten gegen die Krise
In Karitena wird Geld knapp: Es gibt keinen Automaten, der Bus zur Stadt
wurde eingespart, das Taxi ist zu teuer. Die Bewohner versorgen sich
selbst.
Börsenabsturz in China: Der große Sprung nach hinten
Monatelang befeuerte die Führung in Peking das Aktienfieber. Nun verlieren
Maos Erben die Kontrolle, die Kurse stürzen ab.
Kommentar Europäische Schuldenkrise: Auch Griechenland muss lernen
Hätten andere europäische Sozialstaaten eine Steuermoral wie Griechenland,
wären sie auch pleite. Das Land braucht Modernisierung.
Griechenland stellt neuen Hilfsantrag: Weniger Last für Arbeiter und Rentner
Die griechische Regierung hat laut Alexis Tsipras einen neuen Hilfsantrag
gestellt. So sollen die Belastungen der Reformen „gerechter verteilt“
werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.