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# taz.de -- Bundesregierung zu Griechenland: Die Kanzlerin und ihr Türsteher
> Kanzlerin Angela Merkel will „die Tür für Gespräche offenhalten“. Ihr
> Vize verfolgt dagegen eine Strategie der Einschüchterung.
Bild: Frau Merkel gibt sich versöhnlich, Herr Gabriel knallhart: die Koalition…
BERLIN taz | Öffentlich schweigt die Kanzlerin. Wie schon vor Wochenfrist,
als Alexis Tsipras überraschend das Referendum seiner Griechen angekündigt
hatte, ging Angela Merkel ab Sonntag wieder auf Tauchstation. An Dienstag
wird sie sich in Brüssel mit den Staats- und Regierungschefs der Euroländer
– also auch mit Tsipras – treffen. Am Montagabend will sie sich in Paris
mit Präsident François Hollande abgestimmen, während in Warschau Wolfgang
Schäuble mit den Finanzministern von Polen und Frankreich spricht. So
gesehen wäre es also sehr unklug gewesen, sich zuvor öffentlich zu äußern.
Aber gar nichts zu sagen funktioniert nach dem sonntäglichen Wahnsinn
natürlich auch nicht. Schließlich „ist die Bundeskanzlerin immer im
Dienst“, wie Merkels Sprecher Steffen Seibert am Montag in der
Bundespressekonferenz klarstellte. Er gab denn auch die regierungsamtliche
Kommunikationslinie aus. Die Kanzlerin sehe keine Basis für Verhandlungen
über ein neues Rettungspaket für Athen, sagte Seibert.
„Angesichts der gestrigen Entscheidung der griechischen Bürger gibt es
zurzeit nicht die Voraussetzungen, um in Verhandlungen über ein neues
Hilfsprogramm einzutreten.“ Das Ergebnis der Volksabstimmung sei eine
Absage an den Grundsatz für europäische Hilfen, zu dem sich übrigens die
Bundesregierung weiter bekenne. „Die Tür für Gespräche bleibt immer offen.…
Wolfgang Schäubles Sprecher Martin Jäger ergänzte: „Ein Schuldenschnitt ist
für uns kein Thema.“ Da habe sich an der deutschen Position überhaupt
nichts geändert.
Soll heißen: Soll doch der Tsipras jetzt mal sagen, was er von uns will.
Wir haben mit dem gerade keinen Vertrag.
## Jeden und jede einbinden
Diese Haltung mag verständlich sein. Aus Sicht der Bundesregierung und der
17 anderen Euroländer war man der Nummer 19 weit entgegengekommen. Aber all
die neoliberale Denke hilft eben nicht weiter, wenn mehr als 60 Prozent der
GriechInnen erklären, im Euro bleiben zu wollen und bei dieser Aufgabe
ihrer linken Regierung zu vertrauen. In einer solch aufgeladenen Situation
wiegt jedes Wort schwer, das Wort der deutschen Kanzlerin zumal.
Regierungssprecher Seibert formuliert das so: „Es ging gegenüber
Griechenland nie nur um Sparpolitik, sondern immer auch um Reformpolitik.“
Auch als Regierungschefin muss Angela Merkel jetzt jeden und jede
einbinden. Gut möglich, dass ihre Fraktion demnächst über neue Hilfen für
Griechenland abstimmen muss. Dafür müsste der Bundestag nicht nur dem
Abschluss, sondern bereits der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen.
Schon bei der letzten Griechenland-Abstimmung im Februar gab es Dutzende
Abweichler im Unionslager. Entsprechend bedeutsam ist es für Merkel, beim
nächsten Mal kommunizieren zu können, sie tue, was sie tue, nur unter
allergrößten Schmerzen. Zwar muss sie nicht um ihre Mehrheit bangen – die
Union ist quasi Merkel. Aber ein nur halb gutes Ergebnis würde ihre
Fraktion dauerhaft schwächen. Auch daher rührt wohl Merkels dosierte
Informationspolitik.
In der SPD-Zentrale war man auskunftsfreudiger. Vizekanzler Sigmar Gabriel
erklärte am Montag, Griechenland stehe unmittelbar vor der völligen
Zahlungsunfähigkeit. Man dürfe die Griechen nun nicht im Stich lassen, alle
EU-Länder müssten für humanitäre Hilfe bereitstehen. Zwar beteuerte der
SPD-Chef, er habe „vollen Respekt für die Entscheidung der griechischen
Wähler“. Neue Verhandlungen könne er sich aber kaum vorstellen.
## Der unversöhnliche Realist
Gabriels Worte sind Teil seiner seit einer Woche anhaltenden
Einschüchterungsstrategie. Während Merkel ein ums andere Mal ihre „Türen
offen hält“, gibt ihr Vizekanzler den unversöhnlichen Realisten. Gleich am
Sonntag, nach den ersten Ergebnissen aus Athen, hatte Gabriel gepoltert,
Tsipras habe „letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland
sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten“. Damit befand er sich er in
guter Gesellschaft.
Ebenfalls am Sonntag wandten sich CDU- und CSU-Politiker öffentlich
dagegen, Alexis Tsipras Kompromisse anzubieten. „Das Vertrauen ist komplett
zerstört“, sagte der Chef der Unions-Mittelstandsvereinigung, Carsten
Linnemann. „Die Griechen haben sich gegen Reformen und damit gegen den Euro
entschieden“, befand Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU). Und
sein Amtskollege Michael Fuchs von der CDU bezweifelte, „ob es jetzt noch
möglich sein wird, dass Griechenland im Euro bleibt“.
Die Einschüchterung der GriechInnen ist Teil jener Strategie, die im
politischen Geschäft an der Tagesordnung ist. Viele konservative
Abgeordnete lehnen Tsipras’ Politik aus Überzeugung ab.
Aber die Parlamentarier, die öffentlich erklären, nun aber wirklich nicht
mehr mitmachen zu wollen, treiben auf diese Weise den Preis für ihre
Zustimmung hoch. Im Bewusstsein, dass es im Parlament sowieso für ein
sattes Zustimmungsergebnis reichen würde, machen sie von sich reden. Das
kann im nächsten Wahlkampf noch sehr nützlich werden.
6 Jul 2015
## AUTOREN
Anja Maier
Tobias Schulze
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