# taz.de -- Griechenland nach dem Referendum: Jeder hat Angst | |
> Nach dem Nein: Zigarettenhändler Vlachos fürchtet um seinen Job, die | |
> Banken bleiben geschlossen und die Politik ringt um Konsens. | |
Bild: Sie alle wollen in eine Bank, um Geld abzuheben. Athen am Montag. | |
Athen taz | Ratlos und besorgt, sehr besorgt blickt Ilias Vlachos in die | |
nächsten Tage. Noch arbeitet er bei einem Zigarrenhändler in der Athener | |
Innenstadt, doch wenn die Banken nicht bald öffnen, gehen seinem Chef Nikos | |
Miamis die Zigarillos und Havannas aus. Denn auch der Großimporteuer hat | |
„big trouble“, handelt er doch ebenso wie Miamis nur noch „mit den | |
Vorräten“. Die Reihen der Havannas in der Kühlkammer lichten sich bereits | |
merklich. | |
„Ohne Banken können wir nicht für die Produkte zahlen“, sagt Miamis. Sein | |
Umsatz geht seit Ausbruch der Krise zurück, erst langsam, dann stärker, | |
doch seitdem die Banken nun schon seit einer Woche geschlossen haben, | |
kaufen fast nur noch Ausländer bei ihm. „Auch die Reichen sparen, weil sie | |
kein Bargeld haben“, sagt er. | |
Aber wer braucht schon Zigarren, wenn unklar ist, was die Griechen in den | |
nächsten Wochen essen, sollten die Banken weiterhin geschlossen bleiben. | |
Griechenland importiert den Großteil der Lebensmittel, Fleisch aus | |
Frankreich, Milchprodukte aus Dänemark, Kartoffeln aus Deutschland. Ohne | |
Geld, kommen keine Waren ins Land. | |
„Wir werden von der Straße essen“, fürchtet ein Händler für Edelsteine … | |
Schmuck, der am Sonntag noch mit „Nein“ gestimmt hatte und sich über den | |
Ausgang des Referendums freute. Heute sorgt ihn, dass er weiterhin nur 60 | |
Euro Bargeld am Tag bekommt, wenn denn der Geldautomat die passenden | |
Scheine überhaupt noch hat. | |
Kleine Scheine sind den griechischen Banken nämlich mittlerweile | |
ausgegangen, so dass die meisten Automaten nur noch einen 50-Euro-Schein | |
ausgeben – ohne einen Zehner, versteht sich. Wenn die Bankautomaten nicht | |
gleich ganz geleert sind, was aber zumindest in Athen allerdings bisher nur | |
selten der Fall ist. | |
## Die Idee: die Konten plündern | |
Es wächst die Angst vor einem Banken-Ansturm. Ursprünglich sollten die | |
Geldinstitute schon am Dienstag wieder öffnen. Diese Versicherung hatten | |
führende Regierungsmitglieder vor dem Referendum immer wieder gegeben. | |
Jetzt heißt es, die Institute könnten noch „einige weitere Tage“ | |
geschlossen bleiben. „Bis Freitag oder nächsten Montag“, sagt ein Banker. | |
Es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass die Wiedereröffnung | |
ausschließlich von weiteren Zuwendungen der Europäischen Zentralbank (EZB) | |
abhängt. | |
Wirtschaftsminister Jorgos Stathakis erklärte, das Geld würde immerhin | |
reichen, damit die griechischen Kreditinstitute ihre „Bankferien“ – mit | |
einem täglichen Verfügungsrahmen von höchstens 60 Euro pro Tag. Doch würden | |
die Banken ganz regulär wieder öffnen, hätten wohl viele Menschen die | |
gleiche Idee: ihr Konto plündern. Das aber könnte wohl keine der | |
griechischen Banken überleben - es fehlt an Bargeld. | |
Nur wenige Minuten nachdem die ersten Ergebnisse des Referendums am | |
Sonntagabend bekannt wurden, sorgte Vize-Finanzministerin Nadia Valavani | |
für Aufsehen mit ihrer Ankündigung, künftig dürften auch die Schließfächer | |
in griechischen Banken nicht mehr geleert werden. Das Dementi kam umgehend; | |
ein Regierungssprecher erklärte, dies sei lediglich ein Vorschlag von | |
Valavani und gebe nicht die Position der Regierung wieder. | |
## „Wir sind stolz, Griechen zu sein“ | |
„Vielleicht machen die Banken Ende der Woche auf, vielleicht erst nächste | |
Woche“, sagt der Schmuckhändler, dem erst am Montag zu dämmern scheint, was | |
das „Ochi“ bedeuten könnte. Bis in die frühen Morgenstunden hatten die | |
Sieger des Referendums auf dem Syntagma-Platz im Herzen Athens gejubelt. Je | |
länger die Nacht, desto mehr blau-weiße Griechenlandfahnen wehten über den | |
Köpfen der Feiernden. | |
„Wir sind stolz, Griechen zu sein“, tönte es aus dem Lautsprecher der | |
Vereinigten Volksfront EPAM. „Unser Nein bedeutet Solidarität und | |
Freundschaft mit den Menschen in Europa“, rief einer ins Mikrofon und | |
stimmte dann einen Sprechchor an, in den die Menge mit „ochi, ochi, ochi“ | |
einfiel. | |
In der Politik stehen plötzlich seit den frühen Montagsstunden alle Zeichen | |
auf Deeskalation. Der streitbare Finanzminister Jannis Varoufakis, der auf | |
viele seiner Ministerkollegen in Brüssel wie ein rotes Tuch wirkte, kündigt | |
seinen sofortigen Rücktritt an - eine mittelgroße Überraschung, wenn man | |
bedenkt, dass der Minister vor dem Volksentscheid nur dann gehen wollte, | |
wenn die Griechen mehrheitlich mit „Ja“ gestimmt hätten. Sein Nachfolger | |
ist der Leiter des griechischen Verhandlungsteams Euclid Tsakalotos. | |
## Ein Konsens scheint schwierig | |
Erstmals seit dem jüngsten Regierungswechsel in Athen kommen die | |
Parteiführer fast aller Oppositionsparteien beim griechischen | |
Staatspräsidenten Prokopis Pavlpoulos zusammen, um über das weitere | |
Vorgehen zu beraten. Ein Konsens scheint schwierig: Die konservative „Neue | |
Demokratie“, Griechenlands größte Oppositionspartei, ist nach dem Rücktritt | |
ihres Vorsitzenden Samaras kopflos und übergangsweise durch den ehemaligen | |
Parlamentspräsidenten Evangelos Meimarakis vertreten. Durch Abwesenheit | |
glänzte nur die rechtsradikale Goldene Morgenröte; Parteichef Nikos | |
Michaloliakos war zum Spitzentreffen gar nicht erst eingeladen worden. | |
Nach rund vierstündiger Debatte beim Staatspräsidenten gibt es eine längere | |
Pause, die Tsipras nutzt, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch | |
mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu telefonieren. | |
Am Abend heißt es vom Gipfel der griechischen Parteien dann, die Opposition | |
hätten Premier Alexis Tsipras für die anstehenden Verhandlungen gestärkt. | |
„Wir haben dem Ministerpräsidenten den Auftrag erteilt, nach Brüssel zu | |
reisen und im Namen des gesamten griechischen Volks zu verhandeln“, hieß | |
es. Nur die orthodoxe Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) lehnt eine | |
gemeinsame Haltung ab, da die seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig den | |
EU-Austritt Griechenlands verlangt. | |
Dazu passen die Medienberichte, nach denen Merkel und Tsipras vereinbart | |
haben, dass die griechische Delegation beim EU-Gipfel am Dienstag konkrete | |
Sparvorschläge auf den Tisch legt und zuvor größtmöglichen Konsens unter | |
den politischen Kräften des Landes darüber herstellt. | |
„Jeder hat Angst“, sagt der junge Schmuckhändler Ilias am Montag in der | |
Athener City, „deswegen holen wir das Geld“. Gefährlich sei das, sagt er, | |
denn Raubüberfälle und Einbrüche hätten stark zugenommen. Mit seinen 23 | |
Jahren denkt Ilias darüber nach, nach Holland oder England auszuwandern. | |
„Es ist eine sehr ernste Situation, niemand weiß wie es weitergehen soll“, | |
sagt er und lächelt tapfer. Allein schon die Unsicherheit schüre die Angst. | |
„Wie werden die Menschen leben können?“ fragt er sich. | |
## Leben ganz ohne Bares? | |
Sehr gut, glaubt dagegen Papakostas Spiros, der mit Wasserpumpen handelt | |
und einen kleinen Betrieb für Einbau und Wartung betreibt. „Wir können ohne | |
die Konsumprodukte überleben“ sagt er. „Griechenland kann sich selbst | |
versorgen – so wie früher.“ Kein Grieche brauche Wassermelonen aus | |
Argentinien, wenn sie auch im eigenen Land wachsen. | |
Für einen Monat oder sechs Wochen könnte Griechenland ohne weiteres Bargeld | |
überleben, selbst die Banken könnten geschlossen bleiben. „Hier geht das | |
geht so“, sagt Spiros und holt einen mit Tesafilm verklebten Briefumschlag | |
aus seiner Schreibtischschublade. 500 Euro steht mit Kugelschreiber | |
geschrieben darauf und der Umschlag wölbt sich ein wenig unter dem Inhalt. | |
Eine Kunde aus Samos habe ihm das Geld über Mittelsmänner zukommen lassen, | |
Spiros hat das Ersatzteil in Athen auf den Weg gebracht. „Wir brauchen | |
keine Banken“, sagt er, der gestern auch „Ochi“ gesagt hat. | |
Spiros bezieht seine Pumpen ausschließlich aus Italien und ist sich | |
bewusst: „Wir exportieren das Problem nach Italien.“ Da er die Produzenten | |
in Italien wegen der Kapitalverkehrskontrollen nicht bezahlen kann, bleiben | |
auch die Italiener auf ihren Schulden sitzen. „Eine Zeitlang können wir | |
überleben“, sagt Spiros. | |
7 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Jannis Papadimitriou | |
Ulrike Fokken | |
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