| # taz.de -- Kuratorin der Thessaloniki-Biennale: „Respekt ist nicht das richt… | |
| > Katerina Gregos über dereguliertes Denken, fragwürdige Souveränität, die | |
| > Verantwortung der Griechen und die Rolle der Kunst in historischen | |
| > Krisen. | |
| Bild: Teil der Thessaloniki-Biennale: „Europa in Trouble“ von Pavel Peppers… | |
| taz: Frau Gregos, Optimismus des Willens, Pessimismus des Intellekts – ist | |
| der Titel Ihrer Ausstellung für die 5. Thessaloniki-Biennale ein Wunsch an | |
| die griechische Regierung, an Europa oder an die Kunst? | |
| Katerina Gregos: Zuallererst ist es ein Wunsch für die Gesellschaft. Für | |
| die griechische, aber auch für alle Gesellschaften, die eine Krise | |
| durchlaufen. Immer sind sie zerrissen zwischen ihren Wünschen und der | |
| Realität. In Griechenland gab es diesen Optimismus bei dem jüngsten | |
| Regierungswechsel. Vierzig Jahre sind wir von unfähigen, korrupten und | |
| nepotistischen Regierungen regiert worden, ob sie nun konservativ oder | |
| sozialistisch waren. Sechs Monate später bin ich deutlich weniger | |
| optimistisch. Für die Kunst gilt das nicht. Da sind der Optimismus des | |
| Willens und die radikale Imagination fast immer schon am Werk. | |
| Haben Sie Angst vor dem Bankrott Griechenlands? | |
| Davor hat jeder Angst. Aber er wird nicht stattfinden. Ich bin keine | |
| Politikerin oder Ökonomin, ich bin Kunsthistorikerin. Aber das Defizit ist | |
| derart groß, dass Europa Griechenland nicht erlauben wird, pleitezugehen. | |
| Da würden zu viele Leute zu viel Geld verlieren. | |
| Halten Sie die sogenannte griechische Krise auch für den „Irakkrieg der | |
| Finanzwelt?“ | |
| Die Formel zielt wohl auf den kolonialistischen Unterton der Verhandlungen. | |
| Natürlich spielt ein gehöriges Maß Interventionismus eine Rolle. Auch das | |
| Prinzip Souveränität wird fragwürdig, obwohl die Regierung Tsipras ein | |
| demokratisches Mandat hat. Lassen Sie es mich so sagen: Wir erleben jetzt | |
| den Antagonismus zwischen Leihgebern und Gläubigern. Das ist eine paradoxe | |
| Situation. Zumal mit dieser Praktikumsregierung in Athen. Und niemand | |
| findet in dieser Situation eine Sprache des Kompromisses. Die wäre aber | |
| notwendig, weil die Krise eine humanitäre und nicht nur eine ökonomische | |
| ist. Das vergessen wir oft, wenn wir von den Milliarden und dem Defizit | |
| reden. 30 Prozent der griechischen Bevölkerung lebt unterhalb der | |
| Armutsgrenze. Das Erziehungs- und das Gesundheitswesen sind zerstört, die | |
| soziale Öffentlichkeit fällt auseinander. | |
| Und daran ist nur die EU schuld? | |
| Wir müssen auch von der Verantwortlichkeit der Griechen reden, die | |
| jahrelange für diese Leute stimmten, weil sie einen Job im öffentlichen | |
| Sektor haben wollten. Es wäre der historische Moment für Alexis Tsipras, | |
| den jetzt umzubauen. Ich sehe aber nicht, dass er es tut. Ich bin bestimmt | |
| nicht auf der Seite des IWF, der EZB und der Troika. Aber wenn Sie sich | |
| Geld leihen, müssen Sie es auch zurückzahlen. Andererseits: Mich erinnert | |
| die ganze Situation doch sehr an die Subprime-Krise ab 2007 in den USA. Die | |
| Banken liehen Geld an Leute, von denen sie wussten, dass sie auf Risiko | |
| spielten. | |
| Sie sind Griechin und leben in Brüssel. Das bringt eine besondere | |
| Perspektive mit sich. Behandelt die EU Griechenland mit Respekt? | |
| Respekt ist nicht das richtige Wort, wenn es um harte Fakten geht. Ich | |
| würde das Wort „harshness“ benutzen: Europa zeigt Härte, wo man Solidarit… | |
| erwarten würde. Genau damit wurde Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg | |
| aufgebaut. Nicht nur mit dem Marshallplan. Da herrscht eine historische | |
| Amnesie. Deutschland hatte auch Kriegsschulden, die nie abbezahlt wurden. | |
| Sollen wir die griechischen Schulden einfach vergessen? | |
| Mich stört, dass wir nur von Geld reden. In ganz Europa ist etwas falsch | |
| mit der Ökonomie, wenn wir derart von Schulden abhängig sind. Das ganze | |
| neoliberale Modell hat Europa infiziert. Jetzt müssen wir erleben, wie die | |
| Errungenschaften, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden sind, | |
| abgebaut werden: der europäische Sozialstaat. Es gibt keine perfekte | |
| Utopie. Aber Europa hat das beste Modell einer Gesellschaft hervorgebracht, | |
| das auf sozialen Zusammenhalt basiert. Und das wird jetzt zerstört. Um wie | |
| zu werden? Amerika? China? | |
| Was ist in Europa größer – das ökonomische oder das demokratische Defizit? | |
| Beide sind gleich groß. Die Leute wählen nur noch aus ökonomischen Gründen: | |
| Sie wollen nur noch mehr Geld und weniger Steuern. Niemand fragt mehr nach | |
| besserer Erziehung oder einem besseren Gesundheitswesen. | |
| Im letzten Jahr haben Sie in Brüssel eine Schau mit dem Titel „No Country | |
| for young men“ kuratiert, die die schlechten Perspektiven in Ihrer Heimat | |
| thematisiert. Hat sich die Lage verbessert, seit die Syriza-Regierung im | |
| Amt ist? | |
| Nein. Wir hatten alle die Erwartung auf einen radikalen Wechsel. Ich bin | |
| nicht sehr beeindruckt von dem, was ich nun sehe. Und ich gehöre zu | |
| denjenigen, die glücklich über den Wahlausgang waren. Ich sehe eine | |
| Wiederholung derselben müden politischen Formeln. Es sieht nicht so aus, | |
| als ob sie einen ökonomischen Plan hätten. Und ich sehe nicht, dass sie den | |
| bürokratischen Staat anfassen. | |
| Kann man unter diesen Umständen überhaupt eine Kunstausstellung machen, die | |
| sich nicht mit der konkreten politischen Situation befasst? | |
| Ich könnte so eine Ausstellung nicht machen. Die Krise ist so groß und | |
| durchdringt unser ganzes Leben, dass eine formale Kunstausstellung, sagen | |
| wir zur Zukunft der Skulptur, keinen Sinn machen würde. Mich interessiert | |
| Kunst im Zusammenhang mit der Gesellschaft. | |
| Sie gelten als politische Ausstellungsmacherin. Was ist die Rolle von Kunst | |
| in einer so außerordentlichen Situation? | |
| Für mich ist Kunst die letzte Bastion der Freiheit des Ausdrucks. Kunst ist | |
| vielleicht der letzte Ort nicht regulierten Denkens und Handelns in einer | |
| Zeit, wo alles kontrolliert und überwacht wird. Ich bevorzuge politische | |
| Kunst, die Ungleichheit beleuchtet, problematisches Handeln herausfordert, | |
| sich als Korrektur versteht. Die Frage ist: Wer setzt den dominierenden | |
| Master-Narrativen der Macht etwas entgegen? Kunst muss eine Art Gewissen | |
| der Gesellschaft sein und uns das zeigen, von dem andere nicht wollen, dass | |
| wir es sehen. Kunst ist aber auch ein Akt der Großzügigkeit, der | |
| Kommunikation und des Teilens. Sie bringt Menschen zusammen, schafft eine | |
| Atmosphäre des Zusammenhalts: All das, was gerade nicht passiert. | |
| Antonio Gramsci fungiert als Titelgeber ihrer Schau. Warum ist er so | |
| wichtig? | |
| Ich habe mich immer für Denker interessiert, die von der linken Seite des | |
| politischen Spektrums kommen. Gramsci hat die Kommunistische Partei und den | |
| Eurokommunismus mit begründet. Mich hat aber immer seine humanistische | |
| Seite, sein Altruismus, inspiriert. Diese Tugend vermisse ich bei vielen | |
| MarxistInnen und bei der praktischen politischen Umsetzung ihrer Theorien. | |
| Ihn müssen wir uns in einer Situation neu aneignen, in der Politik extrem | |
| bürokratisch und technokratisch geworden ist. | |
| Versuchen Sie deswegen, den Besucher der Biennale-Ausstellung von Anfang an | |
| in eine Art Gramsci-Zustand zu versetzen? | |
| Die Ausstellung ist kein Tribut an Gramsci. Aber Gramscis Zitat vom | |
| Optimismus des Willens und dem Pessimismus des Intellekts bezeichnet sehr | |
| präzise die Sackgasse, in der wir uns gerade befinden. Sie betreten die | |
| Ausstellung durch eine Arbeit des österreichischen Künstlers Peter Friedl: | |
| ein langer Tunnel, der den Tunnelblick simuliert, den viele Griechen oder | |
| die Politiker in Brüssel haben. An sein Ende hat Friedl ein anderes Zitat | |
| als Leuchtschrift gesetzt, in der es um die Rolle der Fantasie in der | |
| Politik geht: die Idee des Lichts am Ende des Tunnels. | |
| Nennen Sie uns ein Kunstwerk aus der Ausstellung, das für Gramscis | |
| „Optimismus des Willens“ steht? | |
| Die Arbeit „Unearthing Disaster“ von Angela Anderson und Angela | |
| Melitopoulos. Sie haben eine Videorecherche über eine große Goldmine in den | |
| Skouries-Bergen auf der wunderschönen Halbinsel Halkidiki gemacht, hier | |
| ganz in der Nähe von Thessaloniki. Da beginnen sie zu verstehen, dass es | |
| sich lohnt, gegen den Desaster-Kapitalismus zu kämpfen. | |
| In Ihrem kuratorischen Statement sprechen Sie von der Notwendigkeit des | |
| „dreaming forward“ auch und gerade in einer Krisensituation. Was ist Ihr | |
| persönliches „Vorwärts-Träumen“? | |
| Ich muss mir eben immer wieder einen Horizont vorstellen, der besser ist | |
| als der, den wir jetzt haben. | |
| 1 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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