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# taz.de -- Kolumne Macht: Das Unwort Stabilitätsfaktor
> Roter Teppich statt Verhaftung – Politiker, die ihr Volk unterdrücken,
> sind in Deutschland hochwillkommen.
Bild: In Berlin wurde für den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi A…
Das Wort Stabilitätsfaktor sollte in die engste Wahl für das „Unwort des
Jahres“ gezogen werden – oder vielleicht sogar des Jahrhunderts. Denn es
bedeutet übersetzt: Menschenrechtsverletzungen müssen in Staaten
achselzuckend hingenommen werden, die für uns eine hohe geostrategische
Bedeutung haben. Als besonders wichtiger „Stabilitätsfaktor“ wird
Saudi-Arabien betrachtet. Wo der Oberste Gerichtshof vor einigen Tagen
letztinstanzlich das Urteil gegen den Blogger Raif Badawi zu zehn Jahren
Haft, 1.000 Stockschlägen und einer hohen Geldstrafe bestätigt hat.
Nun ist es nicht so, dass dieser menschenverachtende Richterspruch in
westlichen Demokratien gänzlich gleichgültig hingenommen worden wäre. Nein,
die Europäische Union und die USA haben Riad aufgefordert, wenigstens auf
die Vollstreckung der körperlichen Strafe zu verzichten.
Was für ein donnernder Protest! Saudi-Arabien hat sich jede Einmischung in
innere Angelegenheiten in deutlich schärferem Ton verbeten.
Und weiter? Nichts weiter. Nach wie vor gehört Saudi-Arabien zu den
Hauptabnehmern deutscher Rüstungsgüter. Allein im Februar und März dieses
Jahres wurden 23 Genehmigungen für Rüstungsexporte im Gesamtwert von knapp
17 Millionen Euro erteilt. Seither sind weitere Millionendeals
hinzugekommen.
## Ein „Übergreifen verhindert“
Der Arabische Frühling, seinerzeit auch im Westen als Aufbruch in die
Demokratie bejubelt, hat Saudi-Arabien nie erreicht. Heute steht dazu auf
der Informationsseite des Auswärtigen Amtes zu lesen, der Regierung sei es
„gelungen, ein Übergreifen auf das eigene Land nahezu komplett zu
verhindern“. Gelungen? Das „Übergreifen“ zu verhindern? Das klingt, als …
von einer Seuche die Rede. Ebola oder so. Hat man daran gedacht, ein
Glückwunschtelegramm nach Riad zu schicken?
Beim Schreiben dieser Zeilen sieht man das müde, abgeklärte Lächeln vor
sich, mit dem politische Profis auf Proteste gegen
Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern reagieren. Das sei ja alles
gut und schön, aber doch sehr naiv. Die Einflussmöglichkeiten auf
Diktatoren seien eben begrenzt. Leider. Es wäre schön, wenn die Welt anders
wäre, aber sie sei nun mal nicht anders. Realpolitik sehe anders aus, als
Idealisten sich das so vorstellten. Wenn ein Regime die eigene Bevölkerung
unterdrücke, dann könne man im Grunde nichts machen.
Kann man nicht? Kann man doch. Sudans Präsident Umar al-Baschir darf nur
noch in sehr wenige Länder fahren, da wegen der Menschenrechtsverletzungen
im westsudanesischen Darfur ein Haftbefehl des Internationalen
Strafgerichtshofes in Den Haag gegen ihn besteht. So kann er nun nicht am
Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Johannesburg teilnehmen.
## Das Römische Statut
Kurzfristig abgesagt hat seine geplante Teilnahme am Gipfel nun Ägyptens
Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi. Zahlreiche Medien berichten
übereinstimmend, der Grund dafür sei die offizielle Forderung nach einem
Haftbefehl gegen ihn, erhoben von einer Gruppe südafrikanischer
Rechtsanwälte. Sie werfen Sisi Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit infolge des Militärputsches von 2013 vor.
Südafrika gehört zu den Staaten, die das Römische Statut des
Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet haben. Das bedeutet, dass
südafrikanische Behörden jede Person verhaften können, der Verbrechen zur
Last gelegt werden, für die das Gericht zuständig ist.
Deutschland hat das Römische Statut übrigens auch unterzeichnet. In Berlin
hat man Ägyptens Präsident Sisi allerdings nicht verhaftet, sondern für ihn
vor gut einer Woche den roten Teppich ausgerollt.
12 Jun 2015
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Abdel Fattah al-Sisi
Ägypten
Saudi-Arabien
Zehn Jahre Arabischer Frühling
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Außenpolitik
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