# taz.de -- Debatte Verfolgung arabischer Autoren: Die Beleidigung des Propheten | |
> Vielen arabischen Autoren wird vorgeworfen, vom Islam abgefallen zu sein | |
> oder Blasphemie zu betreiben. Dabei ist dies nur ein Vorwand, sie zu | |
> verfolgen. | |
Bild: Ensaf Haidar hält ein Bild ihres inhaftierten Ehemanns Raif Badawi in de… | |
In diesen Tagen, die so gerne besinnlich genannt werden, tut es not, sich | |
jener Kollegen zu entsinnen, die inhaftiert sind und deren Leben teilweise | |
bedroht ist. Der saudische Blogger Raif Badawi ist inzwischen | |
(ironischerweise seit sich die Bild-Zeitung seines Falles angenommen hat) | |
eine weltweite Cause célèbre. | |
Neulich erhielt er den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. Die von | |
einem saudischen Gericht am 17. November dieses Jahres gegen den Dichter | |
Ashraf Fayadh verhängte Todesstrafe wegen Apostasie (Abfall vom Islam) ist | |
hingegen viel weniger bekannt und von unseren Medien – auch von dieser | |
Zeitung – kaum wahrgenommen worden. | |
Ganz abgesehen davon, wie man grundsätzlich zu diesem „Delikt“ steht, ist | |
der Vorwurf in diesem Fall an den Haaren herbeigezogen. Die angeblich | |
verwerflichen Gedichte sind 2008 im Beiruter Verlag Dar al-Farabi | |
erschienen, der betreffende Gedichtband ist schon seit Jahren vergriffen. | |
Der Publizist Hamad Abdel-Samad, der sie als einer von wenigen hierzulande | |
hat lesen können, vermag „kaum klare Indizien auf Blasphemie (zu) erkennen, | |
sondern nur Anspielungen“. | |
## Wieso benötigt der Allmächtige Hilfe? | |
Schwerwiegender als die Poesie dürfte der kurze Film über die öffentliche | |
Hinrichtung eines Minderjährigen in der Stadt Abha gewesen sein, den Ashraf | |
Fayadh samt kritischem Kommentar auf Facebook gepostet hat. | |
Wer die Macht im Land verteidigen will, gibt vor, Gott zu schützen. (Die | |
kleine theologische Frage, wieso der Allmächtige solche Hilfe benötigt, ist | |
noch nicht abschließend geklärt. Der Koran sieht eigentlich nur | |
Höllenqualen für dieses „Verbrechen“ vor. Spätere „Quellen“ fordern … | |
diesseitige Bestrafung.) | |
Also schickte die religiöse Polizei einen Agent provocateur zum Dichter, | |
der sich als Verehrer seiner Poesie ausgab und ihn um ein signiertes | |
Exemplar bat. Als der geschmeichelte Dichter diesem einen Band seiner | |
Gedichte übergab, wurde er als Gotteslästerer verhaftet, der sich zudem der | |
Sünde schuldig gemacht hat, seine teuflischen Einflüsterungen unter den | |
Gläubigen zu verbreiten, um sie zu verwirren (ein weiteres schweres | |
Vergehen). Der Verteidiger hat inzwischen Einspruch wegen eines Formfehlers | |
eingelegt. | |
Das Präsidium des deutschen PEN hat übrigens Fayadh umgehend zum | |
Ehrenmitglied ernannt. Somit sei dies, so der Vizepräsident der | |
Autorenvereinigung und Beauftragte für writers in prison, Sascha Feuchert, | |
nicht mehr nur ein Todesurteil gegen einen Kollegen, „es ist ab sofort ein | |
Urteil gegen ein Mitglied des deutschen PEN“. | |
## Der Emir ist vergrätzt | |
Ashraf Fayadh ist keineswegs der einzige Dichter, der in einem arabischen | |
Land inhaftiert ist. In den meisten Fällen ist der Vorwurf der Apostasie | |
oder Blasphemie nur ein Vorwand. Autoren und Blogger werden vielmehr | |
verfolgt, weil sie für mehr Bürgerrechte im eigenen Land plädieren, | |
Machtmissbrauch und Korruption kritisieren oder die Aufstände in anderen | |
arabischen Staaten preisen. | |
Muawiya al-Rawahi etwa, ein Dichter aus dem Oman, ist schon vor Jahren | |
wegen Blasphemie in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen worden. Heute | |
sitzt er in den Vereinten Arabischen Emiraten im Gefängnis, in Erwartung | |
eines Verfahrens wegen Beleidigung des Herrschers dieses Landes. | |
Ein ähnlicher Vorwurf brachte Mohammed al-Ajami, einen Dichter aus Katar, | |
für fünfzehn Jahre ins Gefängnis. Wenigstens wird in diesen Fällen die | |
Hybris der Machtausübung ehrlich zugegeben. | |
Nicht Gott ist beleidigt worden, sondern der Emir oder der Scheich oder | |
seine parasitäre Kamarilla. (Die kleine rechtstheologische Frage, ob nicht | |
die Konstruktion der Blasphemie den Allmächtigen auf menschliches Maß | |
reduziert, ist auch noch nicht abschließend geklärt.) Der Koran sieht | |
eigentlich nur Höllenqualen für dieses „Verbrechen“ vor. Spätere „Quel… | |
fordern eine diesseitige Bestrafung. | |
## „Alles nur Verbrecher“ | |
Die Feinfühligkeit der Herrscher von Katar (Sie wissen schon, WM und | |
massenhaft tote Bauarbeiter) lässt sich durchaus nachvollziehen, wenn man | |
das „Jasmingedicht“ von Mohammed al-Ajami liest: „Die Arabischen | |
Regierungen und die über sie befehlen / Sind alles nur Verbrecher, die uns | |
bestehlen.“ | |
Das dürfte zwar die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sein, aber diese | |
zu äußern muss in vielen Ländern dieser Welt teuer bezahlt werden. | |
Noch weniger bekannt ist das Schicksal des saudischen Dichters Adel | |
al-Labbad, der zu dreizehn Jahren Haft verurteilt wurde, weil er ein | |
Gedicht über den Arabischen Frühling verfasst hat. Ähnlich gelagert ist | |
auch der Fall des mauretanischen Schriftstellers und Bloggers Mohammed | |
al-Sheikh Walad Mukheiter. | |
Er wurde vor einem Jahr wegen Beleidigung des Propheten (der nur ein Mensch | |
war, wenn auch ein vorbildlicher) in seinem Heimatland zum Tode verurteilt. | |
Er hatte in einem Artikel vermeintlich über den Propheten geschrieben, doch | |
eigentlich den gesellschaftskritischen Finger auf die vielen Wunden der | |
mauretanischen Gesellschaft gelegt, auf Sklaverei, Diskriminierung und | |
Unterdrückung. | |
## Subversive Aussagen | |
Die Anklage wegen Blasphemie zur Verfolgung oder gar Ermordung politisch | |
unliebsamer Gegner hat Tradition. Der große sufistische Mystiker | |
al-Halladsch wurde am 26. März 922 in Bagdad gekreuzigt, angeblich wegen | |
Ketzerei. | |
Jahre zuvor hatte er, auch das wird manchen bekannt vorkommen, wegen einer | |
Fatwa, die ihn zum Tode verurteilt hatte, unter Polizeischutz gestanden. In | |
Wirklichkeit hatte er die Herrscher in Bagdad wegen seiner subversiven | |
Aussagen – etwa den Aufrufen zu einer Revolte gegen die Abbasiden – und | |
seinen politischen Kontakten, etwa zu den Qarmaten, gegen sich aufgebracht. | |
Diese Strategie der Diffamierung zieht sich quer durch die Geschichte bis | |
in unsere Tage hinein. Laut Hamed Abdel-Samad wurde der ägyptische | |
Islamgelehrte Nasr Hamid Abu Zaid, der nach einer Kampagne wegen | |
vermeintlicher Apostasie ins Exil gehen musste, weniger wegen seiner | |
wissenschaftlichen Texte verfolgt, sondern weil er die islamischen | |
Investment Funds als Scharlatanerie kritisiert hatte. | |
Das passte vielen al-Azhar-Gelehrten nicht, die damit gutes Geld | |
verdienten. Gott war schon immer ein bequemer Schutzschild für die | |
(Macht-)Gierigen. | |
30 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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