# taz.de -- Linken-Abgeordnete über Saudi-Arabien: „Ein fataler Kuhhandel“ | |
> Im Syrienkonflikt dürfe Deutschland nicht auf Partner wie Saudi-Arabien | |
> setzen, fordert Sevim Dağdelen. Die Linke hat den Außenminister nach Riad | |
> begleitet. | |
Bild: Protest im Hotelzimmer: Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen in Saudi-Arabi… | |
Frau Dağdelen, Sie haben Außenminister Steinmeier in den Iran und nach | |
Saudi-Arabien begleitet. In Riad haben sie protestiert, sich dabei aber | |
nicht auf die Straße gewagt. Warum nicht? | |
In Saudi-Arabien gibt es kein Demonstrationsrecht. Wir wären sofort | |
festgenommen worden. Es hätte lediglich einen diplomatischen Eklat gegeben. | |
Deshalb habe ich zusammen mit meinem Kollegen Omid Nouripour von den Grünen | |
im Hotel protestiert und davon Fotos macht. | |
Wogegen haben Sie protestiert? | |
Wir haben Schilder „Freiheit für Ali al-Nimr“ und „Freiheit für Raif | |
Badawi“ vor die Fenster gehalten. Die beiden stehen stellvertretend für | |
alle politischen Gefangenen in Saudi-Arabien, Ali al-Nimr steht auch für | |
die zahlreichen Angehörigen der schiitischen Minderheit, die im Gefängnis | |
sind. | |
Al-Nimr wurde mit 17 Jahren verhaftet und später zum Tode verurteilt. Was | |
hat er getan? | |
Ihm wird vorgeworfen, im Rahmen der Proteste des Arabischen Frühlings, die | |
in Saudi-Arabien im Keim erstickt wurden, an einer Demonstration | |
teilgenommen zu haben. Das ist der einzige Grund, warum al-Nimr in Haft ist | |
und zum Tode verurteilt wurde durch Enthauptung und Kreuzigung. | |
Bedauerlicherweise hat das Oberste Gericht das Urteil am Sonntag bestätigt. | |
Konnten Sie ihn im Gefängnis besuchen? | |
Das Auswärtige Amt hat mir meinen Gesprächswunsch mit Ali al-Nimr versagt. | |
Ich hatte auf einen Besuch bestanden, aber das AA teilte mir mit, dass das | |
den Betroffenen nicht gut tun würde. | |
Hilft internationale Aufmerksamkeit den Verhafteten denn wirklich? Der | |
Blogger Raif Badawi ist mittlerweile weltweit bekannt, sitzt aber auch | |
Monate nach dem internationalen Aufschrei noch in Haft. | |
Es ist ein vorgeschobenes Argument, dass internationale Aufmerksamkeit | |
schadet. Dass das nicht so ist, haben mir auch Journalisten und | |
Menschenrechtsverteidiger bestätigt, mit denen ich mich in Riad getroffen | |
habe. Internationale Aufmerksamkeit ist ihr Schutz. Je höher die | |
Aufmerksamkeit, desto besser sind Menschenrechtler vor Ort geschützt. | |
Aus dem Umfeld von Badawi verlautet, dass sich das Auswärtige Amt zumindest | |
in der Anfangszeit für den Blogger eingesetzt habe. Wie erklären Sie sich, | |
dass Sie die Gefangenen nicht besuchen durften? | |
Das hängt mit dem Anlass der Reise zusammen. Steinmeier wollte als | |
Brückenbauer in der Syrienkrise nach Iran und Saudi-Arabien fahren. Er | |
wollte das so geräuschlos wie möglich machen und hat sich dem Diktat der | |
beiden Länder unterworfen, etwa wenn es darum ging, die Menschenrechtslage | |
öffentlich anzusprechen. Das ist ein fataler Kuhhandel: Menschenrechte | |
ignorieren, damit es Bewegung gibt im Syrienkonflikt. Wir brauchen eine | |
grundlegende Wende in der Politik gegenüber Saudi-Arabien und den | |
Golfstaaten insgesamt. Die Regierung muss die Rüstungsexporte an die | |
saudische Monarcho-Diktatur beenden. Der Krieg gegen den Jemen findet mit | |
deutschen Waffen statt. Und auch wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss | |
die Unterstützung für das saudische Königshaus einstellen, das den | |
islamistischen Terror in der Region fördert. Die Menschenrechtslage in | |
Saudi-Arabien ist katastrophal: Unterdrückung Andersdenkender und der | |
schiitischen Minderheit, Repression gegen Menschenrechtsaktivisten und eine | |
mit dem Islamischen Staat vergleichbare Todesstrafe mit anschließender | |
Kreuzigung. | |
Auch Sie werden aber zugeben, dass niemand an Saudi-Arabien vorbeikommt, | |
der ernsthaft an einer politischen Lösung des Syrienkonflikts interessiert | |
ist. | |
Dass die regionalen Akteure eingebunden werden müssen, ist richtig. Der Weg | |
zum Frieden in Syrien führt über Riad und ich bin dafür, Gespräche zu | |
führen. Aber Saudi-Arabien ist bisher an einer Lösung des Konflikts nicht | |
interessiert. Die Saudis setzen weiter auf eine Bewaffnung terroristischer | |
Terrorbanden wie al-Nusra, dem al-Kaida-Ableger. Mit Saudi-Arabien ist man | |
auf dem völlig falschen Weg. Da spielen natürlich auch die USA eine | |
wichtige Rolle. Ohne grünes Licht aus Washington könnte Saudi-Arabien seine | |
Schützlinge der al-Kaida nicht unterstützen. Beide setzen auf eine | |
Verlängerung des Bürgerkriegs in Syrien. Anders kann ich mir nicht | |
erklären, dass weiter Waffenlieferungen an Terrormilizen stattfinden. | |
Das müssen Sie erklären. Warum setzen Washington und Riad Ihrer Meinung | |
nach auf eine Verlängerung des Syrienkriegs? | |
Panzerbrechende Waffen werden an islamistische Terrorbanden geliefert. | |
Welches politische Interesse steht dahinter? | |
Offenbar geht es ihnen um einen Stellvertreterkrieg gegen Russland und den | |
Iran. Sie wollen günstigere Ausgangsbedingungen für ihnen nahestehende | |
Akteure bei künftigen Verhandlungen schaffen. | |
Und die wären? | |
Eine territoriale Aufspaltung Syriens, eine Balkanisierung. Das spielt in | |
verschiedenen strategischen Plänen eine Rolle. | |
Glauben sie denn noch, dass Syrien in seinen bisherigen Grenzen als Staat | |
weiter bestehen kann? | |
Ich hoffe es. Was auf dem Balkan passiert ist, ist kein Vorbild für den | |
Nahen Osten. Man muss an der staatlichen Integrität festhalten und | |
versuchen, durch Autonomie Besserung zu schaffen, etwa in Rojava, dem | |
Gebiet der Kurden in Nordsyrien. Wir brauchen keine neuen Grenzen im Nahen | |
Osten. | |
Ist das ein Plädoyer für eine politische Lösung, die Baschar al-Assad | |
einschließt? | |
Ich bin für Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Die letzten Jahre haben | |
Hundertausende Todesopfer gefordert. Der Westen war uneingeschränkt für | |
einen Regimechange und gegen Dialog. Das hat die Situation nur | |
verschlimmert. Wir müssen alle Akteure an einen Tisch bringen. | |
Ist das moralisch vertretbar? Assad ist der Hauptverantwortliche für die | |
vielen Toten in Syrien. | |
Es ist wichtig, mit den Staatsoberhäuptern Dialog zu führen, selbst mit | |
einem Despoten wie Erdoğan oder mit Saudi-Arabien, Katar und den Emiraten, | |
wohlwissend, dass die Saudis Krieg im Jemen führen und Terror fördern. Man | |
muss mit Assad verhandeln, wenn man an einer Beendigung des Syrienkrieges | |
interessiert ist. Es sind zwei unterschiedliche Fragen: Ist man für einen | |
Regimechange oder möchte man den Krieg beenden? Ich möchte eine Beendigung | |
dieses Krieges. | |
28 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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