# taz.de -- Kolumne Macht: Die Toten der Omaheke-Wüste | |
> Der Papst hat die Massaker an den Armeniern als ersten Genozid des 20. | |
> Jahrhunderts bezeichnet. Das ist falsch. Die Deutschen waren schneller. | |
Bild: Man stelle sich vor, jemand – zum Beispiel der Papst – hätte den Mas… | |
Der Papst ist fehlbar. Was ja nur menschlich ist, aber nicht | |
gleichbedeutend mit einem Freibrief für Ignoranz. So gedankenlos wie jetzt | |
im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern sollte das geistliche | |
Oberhaupt einer Weltkirche nicht daherreden. | |
Franziskus hat die Massaker an diesem Volk, die vor 100 Jahren verübt | |
wurden, als Genozid bezeichnet. Es ist erfreulich, dass sich der Papst | |
dafür einsetzt, das Leid der Armenier nicht in Vergessenheit geraten zu | |
lassen. Weniger erfreulich ist es, dass er seinem Anliegen mit der | |
Behauptung Nachdruck zu verleihen suchte, es habe sich um den ersten | |
Völkermord des 20. Jahrhunderts gehandelt. | |
Das trifft nicht zu. Der erste Völkermord im 20. Jahrhundert wurde an den | |
Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika verübt, nachdem ein | |
Aufstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft 1904 in der Schlacht am | |
Waterberg niedergeschlagen worden war. Tausende flohen in die | |
Omaheke-Wüste. Generalleutnant Lothar von Trotha ließ das Gebiet abriegeln | |
und befahl seinen Truppen, die Flüchtlinge von den wenigen Wasserstellen zu | |
vertreiben. | |
## Beschämendes Kapitel unserer Geschichte | |
Männer, Frauen und Kinder verdursteten. Überlebende wurden in | |
Konzentrationslagern interniert, in denen viele verhungerten. Die genaue | |
Zahl der Opfer steht nicht fest, geschätzt wird, dass mindestens zwei | |
Drittel, möglicherweise aber sogar 80 Prozent der Herero und etwa die | |
Hälfte der Nama ums Leben kamen. | |
„Die Nation als solche“ müsse vernichtet werden, schrieb von Trotha 1904 an | |
den deutschen Generalstab. Einige Jahre später erklärte er: „Dass ein Krieg | |
in Afrika sich nicht nach den Gesetzen der Genfer Konvention führen lässt, | |
ist selbstverständlich.“ | |
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen sah das 1948 anders und | |
erkannte den Völkermord als solchen an. Es gehört zu den beschämenden | |
Kapiteln unserer Nachkriegsgeschichte, dass Deutschland sich bis heute | |
weigert, dasselbe zu tun – aus Angst vor Forderungen nach Entschädigung der | |
Nachkommen. | |
## Das Thema interessiert kaum jemanden | |
Dass der Papst das alles offenbar nicht weiß und der Fehler auch in seinem | |
Stab niemandem auffiel, ist betrüblich genug. Aber nicht das Hauptproblem. | |
Viel schlimmer ist es, dass das Thema auch im Land der Täter kaum jemanden | |
zu interessieren scheint. Wer das nicht glaubt, kann sich mit einer simplen | |
Internetrecherche selbst ein Bild machen. Die Stichworte „Papst“ und | |
„Herero“ genügen. | |
Aber es passt ja alles ins Bild. Afrikanische Opfer zählen nicht, bis heute | |
nicht. Die angebliche Grausamkeit kenianischer Mau-Mau-Krieger in den | |
1950er Jahren lieferte Stoff für Kitschfilme und Romane. Die Fakten: 33 | |
europäische Siedler wurden ermordet – und zwischen 20.000 und 100.000 | |
Kenianer starben. Will das jemand wissen? Nein. | |
Man stelle sich vor, jemand hätte bei einer weltweit beachteten Ansprache | |
den Massenmord an den europäischen Juden vergessen. Ein internationaler | |
Aufschrei wäre die Folge gewesen. Zu Recht. | |
## Völkermord bleibt Völkermord | |
Vorsicht, Vorsicht, das eine lässt sich doch gar nicht mit dem anderen | |
vergleichen? Nun ja. Die Herero und die Nama dürften das anders sehen. | |
Völkermord bleibt Völkermord. Und die Tatsache, dass Deutsche mit dem | |
Holocaust eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte verübt | |
haben, kann doch eigentlich kein Grund sein, frühere Untaten nicht mehr so | |
wichtig zu nehmen. | |
Die Geschichte bedeutet für uns Mahnung und Verpflichtung: ein Standardsatz | |
bei Gedenkfeiern in ehemaligen Konzentrationslagern. Wenn ich ihn das | |
nächste Mal höre, dann werde ich an die Verdurstenden in der namibischen | |
Omaheke-Wüste denken. Und meine Zweifel haben, wie ernst dieser Satz zu | |
nehmen ist. | |
18 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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