# taz.de -- Cem Özdemir über Genozid an Armeniern: „Niemand will damit zu t… | |
> Im April jährt sich der Völkermord an den Armeniern. Grünen-Fraktionschef | |
> Özdemir reiste vorab nach Jerewan und klagt über das Desinteresse der | |
> Bundesregierung. | |
Bild: Özdemir und die Grünen-Abgeordnete Ekin Deligöz in Jerewan. | |
taz: Herr Özdemir, am 24. April wird in der armenischen Hauptstadt Jerewan | |
mit einer internationalen Feier an den 100. Jahrestag des Völkermordes an | |
den Armeniern gedacht. Die Bundesregierung wird dort nicht vertreten sein. | |
Warum waren Sie Mitte März in Armenien, werden aber nicht zur großen | |
Gedenkfeier fahren, wenn schon die Kanzlerin oder ihr Außenminister nicht | |
dort sein werden? | |
Cem Özdemir: Weil ich voraussichtlich zu dem Thema Völkermord an den | |
Armeniern am 24. April im Deutschen Bundestag reden werde. Es ist | |
jedenfalls mit den anderen Fraktionen verabredet, dass es am 24. April im | |
Deutschen Bundestag dazu eine Debatte geben soll. | |
Warum will die Bundesregierung an der Gedenkfeier nicht teilnehmen? | |
Wir wurden in Armenien häufig danach gefragt, aber die Grünen sind ja nicht | |
in der Regierung, deshalb weiß ich das nicht. Doch selbst die deutsche | |
Botschaft in Jerewan konnte dazu nichts sagen, weil in Berlin offenbar | |
jedes Ministerium die heiße Kartoffel an den Nächsten weitergibt, weil | |
niemand etwas damit zu tun haben will. Ich halte das für falsch, genauso | |
wie ich es für falsch halte, dass die Bundesregierung sich nach wie vor um | |
den Begriff des Völkermordes drückt. Das ist eine falsche Rücksichtnahme | |
auf die falschen Leute in Ankara. | |
Handelt es sich tatsächlich nur um Rücksichtnahme oder hat die | |
Bundesregierung noch andere Gründe? | |
Es gibt noch einen weiteren Grund, nämlich die Sorge vor | |
Restitutionsansprüchen. Aber auch das halte ich für falsch, denn das steht | |
nicht im Zentrum der Aufarbeitung. Im Zentrum steht, dass wir ehrlich zu | |
uns und zu den Nachfahren der Opfer des Völkermordes sein müssen. Im | |
Übrigen glaube ich, dass es auch die Aufarbeitung der Vergangenheit in | |
Ankara eher erleichtern würde, wenn vor allem Deutschland die Dinge beim | |
Namen nennt. Denn ein Verzicht darauf wird in Ankara doch so interpretiert, | |
dass die türkische Regierung glaubt, man könne durch Drohungen sogar | |
Deutschland beeinflussen. | |
Werden Sie wegen Ihres Engagements bei der türkischen Regierung zur | |
unerwünschten Person? | |
Jeder, der sich mit dem Thema ehrlich beschäftigt, muss mit Anfeindungen | |
rechnen. Ich bin ja bei der Regierungspartei AKP schon länger unbeliebt, | |
aber ich fahre trotzdem in die Türkei. Die Reaktionen dort sind auch ganz | |
unterschiedlich. Die Zivilgesellschaft und die offizielle Politik | |
entwickeln sich gerade in ganz unterschiedliche Richtungen. | |
Während in der Zivilgesellschaft eine viel größere Offenheit da ist als | |
noch vor zehn Jahren, verhärtet sich die offizielle Politik gerade wieder. | |
Das kann man auch an den türkischen Schulbüchern sehen, in denen der | |
Völkermord nicht nur geleugnet wird, sondern anders herum die Armenier | |
beschuldigt werden, quasi selbst an ihrem Schicksal schuld zu sein. Umso | |
wichtiger ist es, dass die Bundesregierung eine klare Haltung zeigt. | |
In deutschen Schulbüchern kommt der Völkermord an den Armeniern fast gar | |
nicht vor. | |
Das stimmt. Die Tatsache, dass das deutsche Kaiserreich damals aufs Engste | |
mit dem Osmanischen Reich verbündet war, ist in der deutschen Gesellschaft | |
und auch an deutschen Schulen nicht weit verbreitet. Ich hoffe, dass die | |
Debatte im Bundestag dazu beitragen wird, deutlich zu machen, wie eng | |
Deutschland mit dem schrecklichen Geschehen während des Ersten Weltkrieges | |
verbunden war, dass wir eine Mitverantwortung daran haben und das nicht | |
einfach abschieben können auf den Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches, | |
den heutigen türkischen Staat. | |
28 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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