# taz.de -- Völkermord an Armeniern: 100 Jahre und kein Vergessen | |
> Armenien gedenkt am Freitag der Massaker an 1,5 Millionen seiner | |
> Landsleute. Die Türkei weigert sich, die Verbrechen aus den Jahren 1915 | |
> bis 1917 anzuerkennen. | |
Bild: Blick auf die Genozid-Gedenkstätte in Eriwan. | |
ERIWAN afp | Inmitten anhaltenden Streits mit der Türkei gedenkt Armenien | |
am Freitag der Massaker an bis zu 1,5 Millionen Landsleuten durch | |
osmanische Truppen vor hundert Jahren. Zu einer Zeremonie am Mahnmal in der | |
Hauptstadt Eriwan werden hunderttausende Menschen erwartet. Überschattet | |
wird das Gedenken von der Weigerung der Türkei als Rechtsnachfolger des | |
osmanischen Reichs, die Massaker der Jahre 1915 bis 1917 als Völkermord | |
anzuerkennen. | |
Die frühere Sowjetrepublik Armenien bemüht sich seit Jahrzehnten auf | |
internationaler Ebene um diese Anerkennung. Die Türkei argumentiert jedoch, | |
während des Ersten Weltkriegs seien im Kampf gegen das zaristische Russland | |
auf beiden Seiten hunderttausende Menschen getötet worden. Der Begriff des | |
Völkermords ist für Ankara eine rote Linie, die aus türkischer Sicht nicht | |
überschritten werden darf. | |
Der armenische Präsident Sersch Sarkissjan will das Gedenken jedoch dazu | |
nutzen, die Welt an das Leid zu erinnern und hinter sich zu sammeln. „Es | |
geht um ein wichtiges geschichtliches Datum für das armenische Volk und die | |
internationale Gemeinschaft“, sagte er kürzlich. Dabei wolle Armenien aber | |
„nicht nur zurückschauen und über historische Fakten nachdenken“. „Niem… | |
wieder“, müsse die Botschaft vielmehr lauten. | |
Eine Einordnung der Massaker als Völkermord nehmen bislang weniger als zwei | |
Dutzend Staaten weltweit vor. Auch die internationale Gästeliste für die | |
Gedenkveranstaltung zeigt, wie gespalten die Welt ist. Nur eine Handvoll | |
Staats- und Regierungschef wird in Eriwan erwartet, unter ihnen Frankreichs | |
Präsident François Holland und Russlands Staatschef Wladimir Putin. Viele | |
weitere lassen sich vertreten, um Ankara nicht zu verärgern. | |
Aus Deutschland soll Außenstaatsminister Michael Roth (SPD) nach Armenien | |
reisen. Auch die Bundesregierung vermied bisher die Einordnung der Massaker | |
als Völkermord. In einem Text einigten sich die Spitzen von Union und SPD | |
zuletzt aber auf eine Formulierung, die den Begriff enthält. Über den | |
Antragsentwurf soll der Bundestag am Freitag beraten. Am Donnerstag will | |
Bundespräsident Joachim Gauck zum Thema sprechen. | |
## Affront durch Parallelgedenken | |
Als Affront wird in Armenien gewertet, dass die Türkei das Gedenken an die | |
Schlacht um die Halbinsel Gallipoli vor hundert Jahren um einen Tag auf | |
Freitag vorverlegte - und damit auf denselben Tag wie das armenische | |
Gedenken. Eine kleinere Veranstaltung der Armenier ist in Istanbul geplant, | |
sowie viele weitere Zeremonien weltweit. Die orthodoxe Kirche in Armenien | |
gedenkt der Massaker am Donnerstag - mit Rückendeckung von Papst | |
Franziskus, der vor wenigen Tagen von Völkermord sprach. | |
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte Armenien zwar im | |
vergangenen Jahr sein Mitleid ausgedrückt. Und Regierungschef Ahmet | |
Davutoglu erklärte am Montag, die Türkei teile den „Schmerz der Kinder und | |
Enkelkinder der Armenier, die ihr Leben bei Deportationen 1915 verloren“. | |
Weitere konkrete Schritte blieben bislang jedoch aus. | |
Auch das Europaparlament forderte die Türkei bereits auf, die Massaker als | |
Völkermord anzuerkennen, und bot seine Hilfe bei einer Aussöhnung an. Die | |
USA halten sich diplomatisch bedeckt und verlangen von Ankara eine | |
„vollständige und offene“ Anerkennung der Fakten. Während die | |
internationalen Debatten über die Massaker andauern, haben die wenigen | |
verbleibenden Überlebenden kaum Hoffnung auf ein Einlenken Ankaras. | |
„Ich sage meinen Kindern und Enkelkindern immer, dass es für uns, die | |
Überlebenden, sehr wichtig ist, die Erinnerung am Leben zu erhalten“, sagt | |
etwa der 105-jährige Chosrow Frangian, der im Jahr 1910 unter osmanischer | |
Herrschaft geboren wurde und nun in Armenien lebt. Auch mit Blick auf seine | |
Nachkommen ist er überzeugt: „Ihre Seelen finden keinen Frieden, bis die | |
Türken ihre Schuld anerkennen und um Vergebung bitten.“ | |
22 Apr 2015 | |
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