# taz.de -- Kolumne Macht: Hoffnungslos in Kairo | |
> Ägyptens Präsident al-Sisi hat rechtzeitig zur UNO-Vollversammlung ein | |
> paar Regimegegner begnadigt. Das sieht aber nur gut aus. | |
Bild: Ägyptens Präsident al-Sisi am ersten Tag des Opferfestes in Kairo. | |
Vor ein paar Wochen bin ich für einige Tage nach Kairo gefahren. Ein | |
trauriger Urlaub. Sehr lustig war es allerdings immer, wenn wir mit einer | |
Gruppe von Freunden unterwegs waren. Vielleicht war die Stimmung ein | |
bisschen fiebrig, etwas überdreht – aber eben ausgelassen. Gespräche mit | |
Einzelnen waren weniger heiter. | |
„Wenn ich mich nicht um meine alten Eltern kümmern müsste, wäre ich längst | |
weg“, sagt ein 32-jähriger Ingenieur. Nach Kanada ginge er gern, aber ihm | |
wären auch andere Länder recht. In Ägypten sieht er für sich keine Zukunft | |
mehr. Einer seiner engsten Freunde lebt bereits in Kanada, ein anderer | |
bemüht sich um Arbeit in Südeuropa. „Unsere Generation hatte ihre Chance, | |
und wir haben es nicht geschafft, sie zu nutzen“, meint der. „Das war‘s. | |
Für uns ist es vorbei.“ | |
Die Chance, von der er spricht: das war die Demokratiebewegung, der | |
sogenannte arabische Frühling. Der von großen Hoffnungen begleitet war und | |
fast überall gescheitert ist. 2011 jubelten meine ägyptischen Freunde auf | |
dem Tahrirplatz in Kairo über den Sturz des langjährigen Präsidenten Hosni | |
Mubarak. Heute regiert Abdel Fattah al-Sisi, ein ehemaliger Chef des | |
militärischen Geheimdienstes, und viele halten ihn für einen schlimmeren | |
Diktator, als es Mubarak je gewesen ist. Sisi hat die Meinungsfreiheit und | |
andere Bürgerrechte gesetzlich verboten. | |
Nein, Horst Seehofer. Sie brauchen Ihren ungarischen Kumpel Viktor Orbán | |
nicht zu bitten, das Militär gegen meine Freunde einzusetzen. So dramatisch | |
ist die Lage in Ägypten nicht, dass sie und Millionen andere die Flucht | |
ergreifen, selbst wenn sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Es | |
geht nicht um Fassbomben. Sondern um Hoffnungslosigkeit. | |
## Repressives Versammlungsrecht | |
„Ich komme mit meinen Schuldgefühlen nicht zurecht“, sagt eine 29-Jährige. | |
„Jedes Mal, wenn ich etwas Schönes erlebe, denke ich, dass mir das nicht | |
zusteht. Weil doch andere im Gefängnis sitzen. Sanaa! Sanaa im Knast! Ich | |
kenne sie, seit sie auf der Welt ist. Sie war immer irgendwie mein Baby. | |
Und jetzt ist sie also im Knast.“ | |
Nein, ist sie nicht mehr. Nach über einem Jahr ist die 21-jährige Studentin | |
nun begnadigt worden. Das Regime hat ihr netterweise das Verbrechen | |
verziehen, auf einer friedlichen Demonstration die Freilassung ihres | |
Bruders, des Bürgerrechtlers Alaa Abdel Fattah, gefordert zu haben. Dafür – | |
und für nichts anderes! – war sie zu zunächst drei Jahren, in einem | |
späteren Verfahren dann zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Das unter | |
Sisi beschlossene Versammlungsrecht gibt solche Richtersprüche her. | |
Aber jetzt ist der ägyptische Präsident zur Vollversammlung der Vereinten | |
Nationen gereist. Und da macht es sich gut, wenn man vorher Gnade walten | |
lässt – zumal in einem Fall, für den sich sogar Samantha Power, die | |
US-Botschafterin bei der UNO, persönlich eingesetzt hat. | |
Insgesamt sind 100 Häftlinge vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. | |
Sanaas Bruder sitzt weiter. Wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. | |
„Früher fand ich so etwas immer bewundernswert“, meint eine Bekannte von | |
ihm. „Jetzt habe ich den Eindruck, es ist einfach eine Verschwendung von | |
Lebenszeit. Das bringt doch sowieso alles nichts mehr.“ | |
Der ägyptische Präsident al-Sisi hat offenbar gewonnen – zumindest den | |
Kampf um die geistige Vorherrschaft. Und die Wertegemeinschaft der | |
westlichen Staaten versorgt ihn weiterhin mit Militärhilfe. Da kann für ihn | |
ja kaum noch etwas schiefgehen. | |
25 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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