# taz.de -- Kolumne Macht: Solidarität mit Angela Merkel | |
> Der Kanzlerin nützt es wenig, sich für Menschenrechte einzusetzen. | |
> Dennoch verfolgt sie in der Flüchtlingspolitik unbeirrt ihre Linie. | |
> Warum? | |
Bild: Wie links muss man sie verorten? Angela Merkel während einer Debatte im … | |
Was ist mit Angela Merkel los? Es wird häufig behauptet und stimmt fast | |
nie: dass nämlich eine ganze Nation über ein einziges Thema diskutiert. Im | |
Hinblick auf den Kurs der Kanzlerin zur Flüchtlingsfrage trifft es zu, | |
jedenfalls im Hinblick auf den politisch interessierten Teil der | |
Öffentlichkeit. Überall bietet sich dasselbe Bild: Fassungslosigkeit. | |
Am wenigsten überrascht, sondern vor allem fassungslos wütend sind | |
vermutlich die alten Granden in ihren eigenen Reihen. Die wussten immer, | |
dass Angela Merkel mit dem Gesellschaftsbild der männlich und westdeutsch | |
geprägten Union wenig anfangen konnte. Und dachten deshalb, dass sie nur | |
eine Episode bleiben würde. | |
Einige Entmachtungen später stand fest, dass dies ein Irrtum gewesen war. | |
Die kalte Gelassenheit, mit der die Kanzlerin jetzt ihren Innenminister | |
abserviert und zugleich ihres Vertrauens versichert hat, ist keine | |
Sensation. Sondern bewährte Praxis im Umgang mit innerparteilichen Gegnern. | |
Das bedeutet allerdings nicht, dass Angela Merkel mit ihrem Kurs kein | |
Risiko einginge. Zwar hat sie, wie fast alle ihre Vorgänger, dafür gesorgt, | |
dass die Frage ihrer Nachfolge nicht geregelt ist, aber vor einem | |
plötzlichen Sturz ist – wie die Vergangenheit gezeigt hat – dennoch niemand | |
gefeit. Zumal dann nicht, wenn auch die eigene Wählerklientel fassungslos | |
ist. | |
Vermutlich hätte Angela Merkel der Friedensnobelpreis innenpolitisch wenig | |
genutzt, eine Erfahrung, die mittelfristig auch der einstige Bundeskanzler | |
Willy Brandt machen musste. Sie hat ihn ja aber ohnehin nicht erhalten. Wo | |
kam eigentlich die plötzliche Hysterie in dieser Angelegenheit her? Bisher | |
ist aus diesem Komitee noch nie etwas nach außen gedrungen. Eine Leistung | |
übrigens, die in diesen Zeiten der Geschwätzigkeit auch einmal eine | |
besondere Ehrung verdiente. | |
Zurück zu Angela Merkel. Ungekrönt und angefeindet verfolgt sie in der | |
Flüchtlingspolitik unbeirrt weiter eine Linie, die sie unbeliebt macht. | |
Innerhalb Europas, innerhalb der eigenen Partei, bei ihren Wählern. Warum | |
tut sie das? Könnte es sein, könnte es wirklich sein, dass sie – | |
Überzeugungstäterin ist? | |
An dieser Frage entzündet sich die Fassungslosigkeit des linken Spektrums | |
der Öffentlichkeit. Wenn es in der Vergangenheit irgendwelche Gewissheiten | |
im Hinblick auf die Bundeskanzlerin gab, dann diese: Sie orientiert sich | |
nur und ausschließlich an Interessen. Und sie hat keine eigenen | |
Überzeugungen, sondern sie ist eine Pragmatikerin der Macht. | |
## Prinzipienlosigkeit kann man auch ablegen | |
Beides scheint – nein: ist widerlegt. Angela Merkel hat nichts davon, dass | |
sie sich für Menschenrechte einsetzt. Im Gegenteil. Warum also tut sie es? | |
In Leitartikeln und an Stammtischen wird derzeit gerne darüber spekuliert. | |
Kenntnislos und sinnfrei. | |
Manchmal muss man Tatsachen einfach zur Kenntnis nehmen. Und Mythen | |
entlarven. Zum Beispiel: Grundsatztreue ist ein Privileg der Jugend, | |
Jungbrunnen gibt es nicht, und wer ein ganzes Leben lang prinzipienlos war, | |
der oder die wird sich nicht im Alter ändern. | |
Offenbar stimmt das so nicht. Die Bundeskanzlerin achtet Menschenrechte. | |
Vielleicht erst jetzt, vielleicht früher nicht so. Aber jetzt tut sie es. | |
Das genügt mir, um sie zu unterstützen. | |
Man muss die Kanzlerin – beziehungsweise ihre Partei – nicht wählen wollen. | |
Man muss ihre Haltung gegenüber Griechenland in der Finanzkrise nicht | |
vergessen. Aber sie hat einen Anspruch auf Solidarität, wenn sie selbst | |
Solidarität zeigt. Ich sage es sehr gerne: Beim Thema Flüchtlinge bin ich | |
mit Angela Merkel solidarisch. Einschränkungslos. Und ich habe meine | |
Meinung über sie geändert. Auch so etwas kommt vor. | |
10 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
## TAGS | |
Friedensnobelpreis | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Facebook | |
CDU | |
Ägypten | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Angela Merkel als „Person of the Year“: Der Westen als Glaubensfrage | |
Die Kanzlerin ist zweifellos sehr einflussreich. Dass das „Time Magazine“ | |
sie aufs Cover holt, ist aber noch aus anderen Gründen folgerichtig. | |
Kolumne Macht: Meinungsfreiheit für alle | |
Mitglieder der Bundesregierung fordern Facebook auf, Postings auf | |
Verfassungsmäßigkeit zu prüfen – und Linksliberale applaudieren. Wie bitte? | |
CDU-Zukunftskonferenz in Stade: Applaus für die Flüchtlingskanzlerin | |
Norddeutsche CDU-Mitglieder sparen mit Kritik an Merkels | |
Flüchtlingspolitik. Besonders erfreut reagiert der Saal aber, wenn es um | |
Abschiebungen geht. | |
Kolumne Macht: Hoffnungslos in Kairo | |
Ägyptens Präsident al-Sisi hat rechtzeitig zur UNO-Vollversammlung ein paar | |
Regimegegner begnadigt. Das sieht aber nur gut aus. | |
Kolumne Macht: Fachkräfte, sofort! | |
Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat vorgeschlagen, | |
Flüchtlinge von Langzeitarbeitslosen betreuen zu lassen. Buh! |