| # taz.de -- Kolumne Macht: Fachkräfte, sofort! | |
| > Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat vorgeschlagen, | |
| > Flüchtlinge von Langzeitarbeitslosen betreuen zu lassen. Buh! | |
| Bild: Hannelore Kraft, politische Fachkraft. | |
| Es gibt Vorschläge, bei denen allen Leuten der Atem stocken müsste, die | |
| Geschichtsunterricht genossen haben. Zum Beispiel bei der Empfehlung, für | |
| eine „nationale Aufgabe“ sollten Langzeitsarbeitslose eingesetzt werden. | |
| Mit der nationalen Aufgabe ist im konkreten Fall die Hilfe für Flüchtlinge | |
| gemeint. | |
| „Einsetzen“: das klingt nicht nach einer freundlichen Aufforderung, sich um | |
| einen Arbeitsplatz zu bewerben. Das klingt nach Zwangsverpflichtung. | |
| Eine glänzende Idee, ausgerechnet die schwächsten Gruppen einer | |
| Gesellschaft zusammenzuzwingen. Schließlich dürfen oder wollen die | |
| mehrheitlich nicht wählen. Wenn es erst zu Konflikten kommt, dann werden | |
| sich all diejenigen bestätigt fühlen, die sowohl Hartz-IV-Empfänger als | |
| auch Flüchtlinge für Schmarotzer und Asoziale halten. Dann steht man mit | |
| einem solchen Vorschlag auf der „richtigen“ Seite: neben den | |
| Rechtspopulisten nämlich. | |
| Wem traut man eine derartige Empfehlung zu? Nein, sie kommt nicht von dem | |
| CSU-Politiker Joachim Herrmann, bei dem man an einen bösartigen Zwilling | |
| von Pu denken muss, den Bären von „sehr geringem Verstand“. Es war eine | |
| Sozialdemokratin, die auf diese Idee gekommen ist. Die | |
| nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. | |
| Warum bin ich noch überrascht, wenn aus der SPD unanständige Vorschläge | |
| kommen? Ich müsste mich daran gewöhnt haben. | |
| ## Dumme Idee | |
| Diese Idee ist allerdings nicht nur unanständig, sondern dumm. Manchen | |
| verstellt Selbstgerechtigkeit den Blick auf die Realität. Alle anderen | |
| sollten angesichts der chaotischen Zustände allmählich gemerkt haben, dass | |
| die Registrierung und Erstversorgung von Flüchtlingen nicht nur eine Frage | |
| des guten Willens ist. Sondern ein komplizierter Job, für den hoch | |
| qualifizierte Leute gebraucht werden. Statt Langzeitarbeitslose und | |
| Flüchtlinge aufeinander loszulassen, müssten Posten für Fachkräfte | |
| ausgeschrieben werden, die Erfahrung mit Notlagen haben. | |
| Die Reaktion der Öffentlichkeit darauf kann man sich allerdings vorstellen: | |
| „Wir sind hier doch nicht im Kongo.“ Und: „Das werden unsere Beamten doch | |
| wohl hinkriegen, wofür werden sie bezahlt.“ Dafür nicht, jedenfalls bisher | |
| nicht. Wer jemals Mitarbeitern des Roten Kreuzes und anderer Organisationen | |
| bei der Bewältigung von Krisensituationen zugeschaut hat und das mit dem | |
| deutschen Behördenalltag vergleicht, bekommt eine Ahnung davon, warum in | |
| Europa derzeit auch logistisch so vieles schief läuft. | |
| Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat jetzt Soldaten in | |
| Rufbereitschaft versetzt. Sie sollten „im Notfall mit anpacken können“, | |
| sagte die Ministerin. Vielleicht gemeinsam mit den Langzeitarbeitslosen? | |
| Was für ein Zynismus. Der Versuch, das Militär in eine humanitäre | |
| Einrichtung umzuwandeln, ist schon häufiger gescheitert. Gebraucht werden | |
| weder Soldaten noch Arbeitslose, sondern Fachkräfte. Fachkräfte! | |
| Nachsatz: Natürlich benehmen sich derzeit nicht nur SPD-Führungskräfte, | |
| sondern auch andere Leute erwartbar schlecht. Seit einigen Tagen wabert die | |
| heuchlerische Frage durchs Netz, weshalb die Flüchtlinge aus den | |
| Kriegsgebieten des Nahen Ostens eigentlich nicht Zuflucht in den | |
| Golfstaaten suchten. Obwohl da doch „Glaubensbrüder“ lebten. | |
| Von „Glaubensschwestern“ wird wohlweislich nicht gesprochen. Da würde die | |
| Absurdität dann wohl doch zu offensichtlich. Im Klartext heißt das nämlich: | |
| Liebe Syrer, bitte flieht doch von einer Diktatur in die nächste – wo ist | |
| das Problem? Genauso gut hätte man sagen können: Liebe deutsche Juden, | |
| warum geht ihr eigentlich nicht nach Italien? Es ist ekelerregend. | |
| 12 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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