# taz.de -- Kommentar Mahnmal: Die vergessenen Opfer | |
> Besser spät als nie: Der Staatsakt zur Einweihung des Denkmals für Sinti | |
> und Roma wird dazu beitragen, dass das Grauen als Mahnung begriffen wird. | |
Siebzig Jahre nach dem Massenmord an den Juden ist der Antisemitismus in | |
Deutschland geächtet. Einige Neonazis mögen weiter von einer Judengefahr | |
faseln. Eine leider nicht unerhebliche Minderheit der Bundesbürger mag | |
immer noch gewissen antisemitischen Stereotypen nachhängen. Doch der Staat, | |
seine Politiker und alle gesellschaftlich relevanten Kräfte sind sich darin | |
einig, dass der Judenhass keinen Platz in Deutschland haben darf. | |
Der Holocaust gilt auch als Verpflichtung, antisemitische Tendenzen nicht | |
zuzulassen. | |
Siebzig Jahre nach dem Massenmord an Sinti und Roma wird an diesem Mittwoch | |
das zentrale Mahnmal zur Erinnerung an die Ermordung dieser Minderheit | |
eingeweiht. Die Kanzlerin wird eine Rede halten und wohl die richtigen | |
Worte finden – über die Vergangenheit. | |
Doch im Gegensatz zum Judenhass sind die Ressentiments gegen „Zigeuner“ | |
heute keineswegs nur Angelegenheit einer Randgruppe. Auch | |
Regierungspolitiker und viele gesellschaftlich relevante Kräfte scheuen | |
sich bis heute nicht, Vorurteile gegen Sinti und Roma zu verbreiten. | |
Wenn Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) laut den „Asylbetrug“ | |
anprangert, den Menschen aus Serbien und Mazedonien mit ihrer Einreise nach | |
Deutschland begingen, dann vermeidet er zwar das Wort „Zigeuner“. | |
Jeder weiß aber ohnehin, wer gemeint ist. Hätte es der Minister etwa | |
gewagt, so gegen jüdische Kontingentflüchtlinge aus der Sowjetunion zu | |
polemisieren? | |
Das „fahrende Volk“, so wird insinuiert, droht aus den Balkanschluchten | |
hervorzubrechen, unseren Wohlstand zu gefährden und die Mülltrennung zu | |
missachten. So wird die Stigmatisierung einer Minderheit weiterbetrieben, | |
die im Gegensatz zu den Juden auch noch das Pech hat, weder | |
Nobelpreisträger noch einen deutschen Außenminister in ihren Reihen zu | |
haben. | |
Bei Sinti und Roma ist keine christlich-jüdische Tradition in Sicht, die es | |
zu wahren gilt. So hat diese Minderheit wenigstens das Glück, nicht | |
philosemitisch umarmt zu werden. | |
Natürlich ist es dennoch richtig, wenn Kanzlerin und Präsident aus der | |
Einweihung des bescheidenen Denkmals einen Staatsakt machen. | |
Jede Sekunde, die von diesem Ereignis in der „Tagesschau“ zu sehen ist, | |
kann zumindest ein bisschen dazu beitragen, dass die Mehrheit in diesem | |
Land endlich begreift, was die Deutschen diesem Volk angetan haben. Besser | |
Jahrzehnte zu spät als nie. | |
24 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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