# taz.de -- Vorurteile über Osteuropäer: Die Roma gibt es nicht | |
> Norbert Mappes-Niediek kritisiert in seinem Buch „Arme Roma, böse | |
> Zigeuner“ die europäische Roma-Politik. Er holt die Westeuropäer bei | |
> ihren Vorurteilen ab. | |
Bild: Alle Roma reisen mit dem Zirkus umher und sind kriminell: nur ein Vorurte… | |
Die Begriffe „Roma“ und „Zigeuner“ produzieren in unseren Köpfen Bilde… | |
die verhindern, dass wir die Roma so sehen, wie sie sind. Diesen Vorgang | |
beschreibt Norbert Mappes-Niediek in „Arme Roma, böse Zigeuner“ | |
einleuchtend und vor allem sehr kenntnisreich. Sein Essay ist eine | |
Intervention in eine Debatte, die seit Beginn der „Dekade der | |
Roma-Inklusion“ 2005 vielerorts in Europa schwelt. Sie kreist um die Frage: | |
Warum integrieren sich die Roma trotz aller Programme, Konferenzen und | |
Projekte nicht? | |
Der langjährige Balkan-Korrespondent Mappes-Niediek hat nicht nur den Mut, | |
diese Frage auszusprechen, er nimmt sie auch ernst – und beschreibt die | |
größte Minderheit Europas von den Vorurteilen der „Gadschos“, der anderen | |
Europäer, aus. Dabei belegt er, dass es „die Roma“ als Volk im europäisch… | |
Sinne nicht gibt. | |
Was es gibt, ist die Ethnie der Roma. Die vor etwa tausend Jahren | |
eingewanderten Vorfahren der Menschen, die sich auch Sinti, Kale, | |
Kalderasch oder Manusch nennen, kamen aus Indien. Ihr gemeinsames Erbe | |
besteht aus ungefähr 700 Wörtern einer Sanskrit-Sprache, dem Romanes. Aber | |
wie diese Wörter angeordnet werden, welche weiteren Substantive, Verben, | |
Adjektive, Adverbien und Partikel in welcher Anordnung hinzugenommen | |
werden, ist von Region zu Region sehr unterschiedlich. | |
Das gilt auch für die soziale Situation der Roma in den vergangenen | |
Jahrhunderten: In Rumänien waren sie bis 1855 Sklaven, im Osmanischen Reich | |
Handwerker, in Iberien Landfahrer. In den von den Nazis besetzten Ländern | |
wurden sie verfolgt und ermordet, in der Türkei integriert. Dementsprechend | |
unterscheiden sich rumänische Tsigani so sehr von spanischen Gitanos, | |
deutschen Sinti oder türkischen Cingene, wie andere Iberier von Balkaniern, | |
Zentraleuropäern oder Anatoliern. | |
## Kein Hindernis bei der Integration | |
Folglich gibt es auch keine einheitliche „Roma-Kultur“ – die somit auch | |
kein Hindernis bei der Integration sein kann, wie so oft behauptet wird. | |
Als Beleg dafür führt Mappes-Niediek die Zehntausende Roma-Gastarbeiter an, | |
die seit den 1960er Jahren aus Italien, Spanien, Jugoslawien oder der | |
Türkei nach Westeuropa gekommen sind: Sie registrierten sich nicht als | |
Roma, sondern als Bürger ihrer Herkunftsländer. Wirtschaft und Gesellschaft | |
in den Aufnahmeländern boten interessantere Perspektiven als das Konzept | |
ethnischer Identität. | |
Das gilt auch für die kommunistischen Staaten Ost-, Ostmittel- und | |
Südosteuropas. Vor 1989 gab es dort keine Roma-Slums. Die entstanden in den | |
vergangenen 20 Jahren, weil der Übergang zum Kapitalismus nicht | |
funktioniert. In Rumänien, Bulgarien und Ungarn gibt es heute etwa 50 | |
Prozent weniger Arbeitsplätze als 1989. Im Westen Tschechiens, der | |
Ostslowakei und weiten Teilen Exjugoslawiens sind alle arm – die Roma sind | |
„nur“ noch ärmer. | |
Die „Ökonomie der Armut“, die Mappes-Niediek anhand vieler Beispiele | |
beschreibt, ist eine Reaktion auf diese massenhafte Verarmung. Zu ihr | |
gehört auch Kleinkriminalität. Ja, viele Roma haben ein „sportliches | |
Verhältnis zu Eigentumsdelikten“, aber nicht mehr als andere Arme und vor | |
allem nicht schon immer. Deshalb sind die Slums Osteuropas auch – im | |
Gegensatz zu den Favelas Brasiliens oder den Townships Südafrikas – keine | |
No-go-Areas für Weiße: Es sind verarmte Nachbarschaften – keine | |
Ansiedlungen von Menschen, die schon immer arm waren. | |
Um die Massenarmut in Osteuropa anzugehen braucht es, so Mappes-Niediek, | |
weniger gut gemeinte Minderheitenprogramme als vielmehr Anstrengungen für | |
die Gesamtgesellschaften. Die exkommunistischen Staaten brauchen 20 Jahre | |
nach Einführung der Marktwirtschaft ein großes europäisches | |
Infrastrukturprogramm. „Die Roma sind wahrlich nicht die Wurzel der | |
Probleme Europas“, schreibt Mappes-Niediek am Schluss, „sie können aber der | |
Ansatz zur Lösung sein.“ Es ist zu hoffen, dass seine Intervention in die | |
Roma-Debatte die Entscheidungsträger erreicht. | |
## ■ „Arme Roma, böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer | |
stimmt“. Ch. Links Verlag, Berlin 2012, 208 Seiten, 16,90 Euro | |
21 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Rüdiger Rossig | |
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