| # taz.de -- Völkermordmahnmal für Sinti und Roma: Der Ort des Nichts | |
| > In Berlin wurde das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten | |
| > Sinti und Roma Europas eingeweiht. Es ist ein Werk voll innerer | |
| > Ergriffenheit. | |
| Bild: Die Gedenkstätte für den Genozid an den Sinti und Roma durch die Nazis … | |
| BERLIN taz | Eine kreisrunde Steinplatte von zwölf Metern Durchmesser. Auf | |
| der schwarzes Wasser eine unendliche Tiefe symbolisiert. Jeden Tag steigt | |
| aus dessen Fluten eine dreieckige Stele empor, auf der eine frische Blume | |
| drapiert ist. Seit Mittwoch ist das Mahnmal für die im Nationalsozialismus | |
| ermordeten Sinti und Roma Europas mitten im Berliner Regierungsviertel | |
| öffentlich zugänglich. Eher versteckt liegt es auf halber Strecke zwischen | |
| dem Deutschen Bundestag und dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas | |
| gleich neben dem Brandenburger Tor. | |
| Das symbolische Gewicht des Vorgangs im politischen Herzen der Hauptstadt | |
| war der Staatsspitze deutlich anzumerken, die sich gestern zu der | |
| Einweihung in dem schmalen Grünstreifen vollzählig versammelte. Doch so | |
| ergriffen es auch zuging an diesem Berliner Herbstmorgen – es ist schwer zu | |
| sagen, ob dieses Denkmal wirklich „unmissverständlich“ deutlich macht, | |
| „dass wir die Verbrechen an den Sinti und Roma nicht verdrängen und nicht | |
| vergessen, sondern dass wir den Opfern ein würdiges Andenken bewahren“. So | |
| formulierte es Kulturstaatsminister Bernd Neumann zur Eröffnung. | |
| Es erinnert nämlich nichts Spezifisches an diesem Denkmal an die mutmaßlich | |
| 500.000 Menschen, die zwischen 1932 und 1942 planmäßig vernichtet wurden. | |
| Es sei denn, man hält seine Kreisform schon für ein für Sinti und Roma | |
| spezifisches Charakteristikum. Dani Karavan, der 1930 geborene, israelische | |
| Künstler, der das Denkmal schuf, will sie sich von deren „Ritual des | |
| Zusammensitzens“ abgeschaut haben. | |
| ## Anerkennung des Porjamos | |
| Andererseits spricht die Tatsache, dass eine Bevölkerungsgruppe, die mehr | |
| als alle anderen Opfer der Nazis darum kämpfen musste, überhaupt als | |
| Opfergruppe anerkannt zu werden, im Ensemble der Berliner Erinnerungsorte | |
| derart herausgehoben wird, für Bernd Neumanns Annahme: Der Porajmos, wie | |
| die massenhafte Vernichtung der Sinti und Roma auf Romani genannt wird, ist | |
| nun auch symbolisch keine Fußnote der Schoah mehr. Der historische Fakt | |
| teilt sich aber nur mithilfe einer Chronologie der Vernichtung mit. | |
| Glasplatten mit den historischen Daten schirmen das Denkmal von dem | |
| umgebenden Park ab. | |
| In der Erinnerungsästhetik, die sich seit dem Mauerfall 1989 durchgesetzt | |
| hat, nimmt das Werk von Dani Karavan einen markanten Platz ein. Peter | |
| Eisenmans Holocaust-Mahnmal war ein erfolgreiches Missverständnis zwischen | |
| der Minimal Art, die mit der Erfahrung natürlicher Materialien eine | |
| Wahrnehmungskatharsis hervorrufen will, und den Projektionen von Lea Rosh, | |
| die bei der Eröffnung im Mai 2005 ein „Gräberfeld“ beschwor. Letzlich | |
| funktioniert das Mahnmal aber nur so gut, weil es abstrakt und nicht | |
| figurativ ist. | |
| Das 2008 eingeweihte Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten | |
| Homosexuellen des Künstlerpaars Elmgreen und Dragset setzt auf mediale | |
| Repräsentation: Videos küssender Jungs und Mädchen. Den vorläufigen | |
| Schlusspunkt markierte 2010 die neu gestaltete Topographie des Terrors. Die | |
| nüchterne Anlage der Architekten Wilms und Hallmann beweist, dass das | |
| Erinnern keineswegs im mnemotechnischen Disneyland enden muss, so sehr | |
| leitet sich hier alles von dem Ort ab, den Folterkellern von SS und | |
| Gestapo. | |
| ## Ästhetisierung der Erinnerung | |
| Karavan treibt nun im Berliner Tiergarten die Ästhetisierung der | |
| Erinnerung, die unausweichlich ist, je weniger Zeugen noch von ihr künden | |
| können, auf eine emotionale Spitze. Anders als bei dem stählernen Korridor, | |
| mit dem er 1994 der Flucht und dem Suizid Walter Benjamins 1940 im | |
| französischen Portbou eine beklemmende Form gab. | |
| Anders auch als bei den 19 Glasscheiben am Jakob-Kaiser-Haus des | |
| Bundestags, auf die er die 19 Grundrechtsartikel des Grundgesetzes mit | |
| Laser eingravierte. Denn in seinem neuesten Werk setzt Karavan auf innere | |
| Ergriffenheit und greift zu einem ungewohnt lyrischen Motiv. | |
| Um den „Ort des Nichts“ zu schaffen, um den es ihm ging, hätte es Karavan | |
| aber besser bei der schwarzen Wasseroberfläche belassen sollen. Hier | |
| gewinnt er der Mahnmalsästhetik ein beeindruckendes Moment der Stille und | |
| eine kontemplative Qualität zurück. Die täglich wechselnde Feldblume | |
| jedoch, Symbol des neuen Lebens, das immer wieder aus den dunklen Fluten | |
| steigt, begleitet vom „Klang einer einsamen Geige … schwebend im Schmerz“… | |
| ist ein Tupfer zu viel Erlösung. | |
| Doch wer stumm vor dem spiegelglatten, schwarzen Bassin steht, in dem sich | |
| der Betrachter, der Himmel und das nahe Reichstaggebäude spiegeln, bekommt | |
| eine Ahnung von der Dialektik, aus der es kein Entkommen gibt: Leben und | |
| Tod, der Mensch vor der Geschichte. | |
| 24 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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