| # taz.de -- Analyse zur Lage in Ägypten: Mursi kann nicht gewinnen | |
| > Der ägyptische Präsident hat keine Basis, um jetzt einen Machtkampf mit | |
| > allen anderen politischen Strömungen durchzuhalten. Ägypten wird keinen | |
| > neuen Pharao mehr zulassen. | |
| Bild: Jetzt ist alles offen und möglich: Protest auf dem Tharir-Platz in Kairo. | |
| KAIRO taz | Der ägyptische Präsident Muhammad Mursi hat sich mit seinem | |
| Verfassungs-Dekret in eine Situation manövriert, aus der er und seine | |
| Muslimbrüder nicht ungeschoren davonkommen werden. Er kann dabei nicht | |
| gewinnen. | |
| Nimmt er das Dekret zurück, in dem er seine Entscheidungen über das Gesetz | |
| stellt, dann ist das für ihn eine Niederlage, die dem öffentlichen Druck | |
| geschuldet ist. Zieht es das Ganze durch, dann droht er damit, die Lage in | |
| Ägypten zu eskalieren. | |
| Mit einer Opposition, die gerade ihre Ränge gegen ihn schließt, und die | |
| Rücknahme des Dekrets zu ihrem gemeinsamen Nenner macht, können die | |
| Muslimbrüder dieser Eskalation nicht gewinnen. | |
| Bei den Parlamentswahlen Anfang des Jahres hatten sie noch die Hälfte der | |
| Stimmen der Ägypter erhalten. In den Präsidentschaftswahlen im Sommer war | |
| Mursi gerade einmal von einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt worden | |
| und hatte damit sehr knapp die Wahl gegen Ahmad Schafik, den Vertreter des | |
| alten Regimes gewonnen. Mit vielen Stimmen für ihn, die eigentlich gegen | |
| Schafik gedacht waren, gewann Mursi damals gerade mit einem Prozent | |
| Unterschied. | |
| Keine solide Basis, um jetzt einen Machtkampf mit allen anderen politischen | |
| Strömungen durchzuhalten. Zumal die Zustimmung für die Muslimbrüder seitdem | |
| wahrscheinlich noch zurückgegangen ist. Mit einem von den Muslimbrüdern | |
| dominierten Parlament, das dann aufgelöst wurde und einem halben Jahr einem | |
| Muslimbruder als Präsident, ohne dass es mit dem Land am Nil politisch und | |
| wirtschaftlich wirklich entscheidend vorwärts gegangen wäre, ist der Stern | |
| der Muslimbrüden mit der wachsenden Ungeduld der Ägypter gesunken. | |
| ## Innenpolitisch verkalkuliert | |
| Also dachten sich Mursi und die Brüder, wir treten die Flucht nach vorne | |
| an. Der Zeitpunkt, glaubten sie, war günstig, hatte Mursis internationales | |
| Ansehen doch gerade durch die Vermittlung für einen Waffenstillstands-Deal | |
| zwischen der palästinensischen Hamas und Israel einen ungeahnten Höhepunkt | |
| erreicht. International rechneten sie nicht mit all zu viel Kritik. Dabei | |
| haben sich die Muslimbrüder aber offensichtlich innenpolitisch | |
| verkalkuliert. | |
| Mit streikenden Richtern und einer Opposition, die sich seit ihrem | |
| gemeinsamen erfolgreichen Kampf gegen den obersten Militärrat noch nie so | |
| einig war, sind die nächsten 48 Stunden entscheidend, bevor Anhänger und | |
| Gegner am Dienstag nicht weit voneinander entfernt, alle ihre Kräfte auf | |
| der Straße mobilisieren werden. | |
| Für die Muslimbrüder besonders erschreckend, selbst in der Provinz und in | |
| ihren Hochburgen im Nildelta kommt es inzwischen zu gewalttätigen | |
| Auseinandersetzungen vor ihren Parteizentralen. | |
| Ginge es Mursi tatsächlich darum, wie er sagt, „die Revolution | |
| voranzubringen“ und endlich die Institutionen wie die Staatsanwaltschaft | |
| und Justiz von den Restposten des Mubarak-Regimes zu säubern und alle | |
| Prozesse neu aufzurollen, in dem Vertreter des alten Regimes und der | |
| Sicherheitskräfte nach dem Tod von Demonstranten ungeschoren davon kamen, | |
| dann wäre es für ihn ein leichtes gewesen ein breites politisches Bündnis | |
| aufzustellen, um das zu erreichen. Stattdessen argumentiert er, er müsse | |
| das nun im Alleingang durchziehen, indem er sich diktatorische Rechte | |
| zugesteht, von denen niemand weiß, ob die Muslimbrüder diese jemals wieder | |
| abgeben würden. Das weckt das Misstrauen aller anderen politischen | |
| Strömungen. | |
| ## Jetzt ist alles möglich | |
| Jetzt ist alles offen und möglich: Die Muslimbrüder könnten es auf eine | |
| Konfrontation ankommen lassen, von der sie sich aber ausrechnen können, | |
| dass sie sie nicht gewinnen können. Es wäre aber mit Sicherheit eine | |
| blutige Option für das Land. | |
| Oder Mursi nimmt seinen Entschluss zurück. Um sein Gesicht zu wahren, | |
| könnte er auch einen Kompromiss anbieten. Er könnte weiter zusichern, dass | |
| den Opfern von Polizeigewalt Gerechtigkeit wiederfährt und dem Schreiben | |
| der Verfassung mehr Zeit geben, um einen gesellschaftlichen Konsens zu | |
| finden. Gleichzeitig müsste er aber seine neuen „Pharao“-Allüren und die | |
| gesetzliche Immunität seiner Entscheidungen wieder zurücknehmen. Das könnte | |
| er politisch überleben. | |
| Wenn die letzten Tage in Ägypten etwas bewiesen haben, dann dass die | |
| Mehrheit der politischen Kräfte keinen neue Pharao mehr zulassen werden. | |
| Egal ob der Mubarak, oberster Militärrat oder Mursi heißt. Für die heiß | |
| umkämpfte demokratische Entwicklung des bevölkerungsreichsten arabischen | |
| Landes ist das eine gute Nachricht. | |
| 25 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
| Karim El-Gawhary | |
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