# taz.de -- Bildband und Musik von Jeff Mills: Flirrender, entrückter Weltraum… | |
> Jeff Mills ist Klangforscher, DJ-Wizzard, Label-Gründer und der | |
> bestangezogene Produzent des Techno. Nun hält er Rückschau auf seine | |
> Karriere. | |
Bild: Immer elegant gekleidet: Der Techno-Produzent Jeff Mills. | |
Der afroamerikanische DJ und Technoproduzent Jeff Mills ist ohne Unterlass | |
auf der Suche nach neuen Sounds, nach klanglicher Substanz und nach mehr | |
Geist in der Musik. Berühmt geworden in den Clubs der Neunzigerjahre, sucht | |
er heute nach der Anerkennung von Techno auf dem Feld der Kunst. | |
Vor 20 Jahren gründete Mills sein Label Axis Records. Getrieben von einer | |
missionarischen Energie veröffentlichte er bis heute 60 Alben, die meisten | |
produzierte Jeff Mills im Alleingang. | |
Mit „Sequence“ einem Bildband samt USB-Stick, der mit 30 Stücken eine | |
persönliche Auswahl seiner unzähligen Tracks beinhaltet, präsentiert Jeff | |
Mills zum Axis-Jubiläum eine eigene Retrospektive seines Schaffens als | |
Technoproduzent, DJ und Labelbetreiber auf 320 hochglänzenden Seiten. „Das | |
Buch ist für Sammler gemacht“, erklärt Jeff Mills im Interview. | |
„Es ist ein künstlerisch gestaltetes Archiv unserer Arbeit.“ Was Mills | |
jedoch verschweigt, es ist auch das längst fällige Dokument der | |
künstlerischen Entwicklung eines der Protagonisten der Technogeschichte. | |
## Detroit, Detroit | |
Geprägt ist der DJ und Produzent Jeff Mills von den Industrieruinen seiner | |
Heimatstadt Detroit. In den Achtzigern entwickelte sich in der kriselnden | |
Autometropole Detroit eine besonders harte Spielart elektronischer | |
Tanzmusik. | |
Während die Firmenimperien von General Motors, Ford und Chrysler ins Wanken | |
gerieten und die Motor-City verkümmerte, führte eine Gruppe zumeist | |
afroamerikanischer Produzenten das Ächzen der Maschinen mit ihren | |
Drum-Machines und Synthesizern zu künstlerischer Größe. | |
„Malcolm X meets Kraftwerk“, nach diesem Motto fand der junge Jeff Mills | |
1990 zu Robert Hood und Mike Banks und gründete zusammen mit ihnen das | |
Produzentenkollektiv Underground Resistance. Ihr in Viervierteltakte | |
gepacktes Wummern gehört zur zweiten Generation von Detroit-Techno. | |
In den USA fristete ihre radikale Tanzmusik zunächst ein Nischendasein, | |
aber in England und Deutschland fand sie schnell massenkulturelle | |
Verbreitung. | |
Vor allem im Berlin der frühen Neunziger wurde dieser kompromisslose Sound | |
zum Motor einer neu entstehenden Clubszene. Eine Gruppe Detroiter DJs legte | |
regelmäßig in Berlin auf, Mills lebte sogar zwischen 1993 und 1994 an der | |
Spree. Das Debütalbum von Underground Resistance, „X-101“ (1991), schlug | |
mit voller Wucht in Berlin ein. Tresor Records, das Plattenlabel des | |
sagenumwobenen Tresor-Clubs, wurde eigens für die Veröffentlichung dieses | |
Albums gegründet. | |
## Ohne Straßenbeleuchtung | |
„In den Neunzigern wiesen Berlin und Detroit viele Gemeinsamkeiten auf“, | |
sagt Jeff Mills. „Beide Städte wirkten verlassen und dunkel. Damals gab es | |
in Ostberlin noch nicht mal funktionierende Straßenbeleuchtung. Die | |
Menschen brauchten irgendwie unseren hypnotischen, minimalen Sound. Legte | |
ich wärmere House-Tracks auf, war die Tanzfläche wie leergefegt, aber zum | |
düsteren Minimalsound wurde wie besessen getanzt.“ | |
Im Gespräch ist Mills – wie immer elegant gekleidet – äußerst zurückhal… | |
und konzentriert, ein Gentleman. In den Clubnächten am DJ-Pult hingegen | |
kann er sich zu einem irrwitzigen Performer wandeln. Zu einem, der völlig | |
ausrastet und mit seinen äußerst präzisen und schnellen Moves an Tellern | |
und Reglern in totale Versunkenheit gerät. | |
„The Wizzard“, so wurde er schon in den Achtzigern genannt. Mit seinen | |
Live-Sets wurde Mills in den Neunzigern berühmt. Aus dem technoiden Klang | |
seiner Heimatstadt ist Mills zwar hervorgegangen, schon früh schlug er für | |
sich aber einen anderen Weg ein. | |
Die Motor-City und Underground Resistance ließ er 1992 hinter sich, lebte | |
fortan in New York und Berlin als DJ und baute parallel sein eigenes Label | |
auf. Chicago sollte dann zur Heimstätte von Axis Records werden, der | |
Geburtsort der House-Musik, „weil es ein guter Ort zum Leben und Arbeiten | |
ist“, sagt Mills. | |
Von hier aus produzierte und veröffentlichte er Tracks, die in den | |
Neunzigern weltweit die Tanzflächen beschallten. Viele von ihnen fasste er | |
1996 in seiner Compilation „Purpose Maker“ zusammen. | |
## Ein Gesamtkunstwerk | |
Blättert man etwas länger durch den Bildband zum Jubiläum von Axis Records, | |
wird klar, dass sich die Kunst eines Jeff Mills in den letzten Jahren ganz | |
eigene Sphären erschlossen hat. Es ist ein Gesamtkunstwerk, ein | |
Ineinandergreifen von Geist, Klang, Bild und Performance. | |
So vertonte Mills etwa Fritz Langs „Metropolis“ und Robert Fleischers | |
„Fantastic Voyage“. Von der Clubmusik, das zeigen die ausgewählten Tracks | |
auf „Sequence“, wandte sich Mills zusehends ab, hin zu einem kosmischen | |
Sound, zu einem flirrenden, entrückten Weltraumklang. „One Man Spaceship“ | |
oder „The Messenger“ heißen seine letzten Alben, die das klangliche Abbild | |
utopischer Visionen bilden. | |
„Meine Musik soll die Zuhörer in eine jenseitige Stimmung versetzen“, | |
erklärt er. „Schon immer habe ich Science-Fiction-Romane verschlungen. | |
Kubricks ’Odysee: 2001‘ ist für mich ein Meisterwerk. Mich interessiert | |
einfach, was kommen wird. Filme, die wir sehen, haben mehr Bedeutung, als | |
wir denken. Es sind Träume, aber sie zeigen, wie wir heute mit Visionen | |
umgehen.“ | |
Schon früh ließ Jeff Mills in den Veröffentlichungen von Axis Records seine | |
kosmische Weltsicht manifest werden. Auf den Gedanken einer zyklischen | |
Entwicklung der menschlichen Psyche baute er 1994 das Konzept von „Cycle | |
30“. Die auf Vinyl gepressten Rillen der Platte formen Ringe, acht endlos | |
abspielbare Grooves, die die infinite Kreisbewegung der Geistesentwicklung | |
widerspiegeln sollen. | |
Verfolgte er mit „Cycle 30“ seinen ganz eigenen Fetisch, seine | |
psychophilosophischen Entwürfe am Objekt der Schallplatte zu | |
materialisieren, sollte das Album ganz nebenbei mit seinen simplifizierten | |
Loops zu einem Wegbereiter des Minimal-Techno werden. | |
Immer wieder positionierte sich Mills in seinem unermüdlichen Austesten von | |
elektronischer Musik als Avantgarde. Früh trat er für die Verschmelzung von | |
Techno mit E-Musik ein: | |
2005 inszenierte er gemeinsam mit dem Orchestre Philharmonique de | |
Montpellier seinen Clubhit „The Bells“. Nicht er sampelte, sondern | |
umgekehrt, sein rein elektronisch produzierter Track wurde für ein | |
orchestrales Arrangement umgeschrieben. | |
## Grenzgänger | |
„Sequence“ bildet einige der Notationen für die instrumentale | |
Interpretation ab – ein interessantes, musikwissenschaftliches Dokument. | |
„Techno hat einen eigenen künstlerischen Wert. Diese Musik ist Teil eines | |
zivilisatorischen Prozesses. Wenn ich mit einem Orchester zusammenarbeite, | |
dann will ich Techno auf ein höheres Niveau bringen.“ | |
Mittlerweile lebt Mills in Paris, wo er sich als Grenzgänger zwischen den | |
Feldern Performance, Film und Klangkunst bewegt. Seine Soundinstallationen | |
stellte er im Centre Pompidou und im Musée du Quai Branly aus. | |
Für die Grande Nation stieg er endgültig in den Olymp der ganz Großen auf, | |
2007 erhielt er vom französischen Kulturministerium die Auszeichnung | |
„Chevalier des Arts et des Lettres“. Vom Abfallprodukt zur Akademie – Mil… | |
ist in der Sphäre der Hochkultur angekommen. Aber „The Wizzard“ gibt es | |
auch noch: 100 DJ-Shows gibt Mills jedes Jahr, ohne dass der Irrwitz seiner | |
Performance nachgelassen hätte. „Auflegen ist meine Sucht.“ | |
Jeff Mills: „Sequence. A Retro- spective of Axis Records“. Bildband & | |
USB-Stick/oder 2 CDs, Axis Publi- shing, Chicago, 2012, 320 Seiten, 36,99 | |
Euro | |
7 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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