# taz.de -- Singer-Songwriter Rodriguez: Sex, Protest und Verfall | |
> Die Wege des Pop sind unergründlich – wie die Karriere des kriminell | |
> unterschätzten US-Sängers Rodriguez. Er steuert den Soundtrack zu | |
> „Searching for Sugar Man“ bei. | |
Bild: Der Mann mit der Sonnenbrille ist mittlerweile 70 Jahre alt: Rodriguez. | |
Abenteuerlich, tragisch und ziemlich brutal. Die Karriere des | |
amerikanischen Singer-Songwriters Sixto Diaz Rodriguez hat manch | |
unerwartete Wendung genommen. 1969 hatte der Sohn mexikanischer Einwanderer | |
in Detroit sein Debütalbum aufgenommen, „Cold Fact“. Bezaubernde Hooklines, | |
klassische folky Instrumentierung mit psychedelischem Space-Zuckerguss. Die | |
Texte sozialkritisch, politisch, entwaffnend gut beobachtet. Und von | |
enormer poetischer Qualität. | |
Dylanesk, hieß es damals. Rodriguez hatte aber mehr Groove und ein anderes | |
Verständnis von Soul, schließlich kam er aus der Motorcity Detroit, Heimat | |
von Motown Records. Seine Plattenfirma Sussex versäumte jedoch, Rodriguez’ | |
hitverdächtiges Album passend zu promoten. Es floppte. Die Texte, in denen | |
er auch den dräuenden Verfall der eben noch prosperierenden Autostadt | |
antizipiert, waren einfach zu explizit und reell für den Durchschnittshörer | |
der sechziger Jahre. | |
Das zwei Jahre später erschienene, keinen Deut schlechtere Album „Coming | |
from Reality“ verkaufte sich noch schlechter. Rodriguez verdiente fortan | |
seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter, absolvierte nebenher ein Studium | |
der Philosophie und kandidierte, erfolglos, für ein Amt im Stadtrat. | |
Während er zu Hause ein unbescholtenes Leben als Familienvater führte und | |
nur pro forma mit Gitarre in der Hand durch die Straßen lief, wurde er am | |
anderen Ende der Welt zum Star, ohne sein Zutun, ohne dass er auch nur das | |
Geringste davon mitbekam – ganz zu schweigen von Tantiemen. Erst 1979 | |
erfuhr er von seinen Erfolgen in Australien und Neuseeland, ging dort auf | |
Tournee. Die Kunde, dass er in Südafrika einmal größer war als die Beatles, | |
erreichte ihn selbst erst in den Neunzigern, mit 15 Jahren Verzögerung. | |
## Auf der Bühne verbrannt | |
Offensichtlich war der Verstoßenen-Song „I Wonder“ und sein unverblümt | |
offener Umgang mit dem Thema Sex zu einer Art Anti-Establishment-Code im | |
Südafrika der siebziger Jahre avanciert. „I wonder how many times you had | |
Sex / And I wonder do you know who’ll be next.“ Irrerweise fungierten | |
Protestsongs wie „This is Not a Song, It’s an Outburst: Or, The | |
Establishment Blues“ gleichzeitig als Soundtrack der weißen | |
Anti-Apartheid-Bewegung und als Beschallung von Grillpartys des | |
südafrikanischen Establishments: „Gun sales are soaring / Housewives find | |
life boring / Divorce the only answer / Smoking causes cancer / This system | |
is gonna fall soon / To an angry young tune / And that’s a concrete cold | |
fact.“ In seiner Heimat war Rodriguez dagegen schlicht und einfach | |
vergessen. Um seinen Verbleib rankten sich die wildesten Gerüchte, von | |
„irre geworden“ bis „hat sich auf der Bühne selbst verbrannt“. | |
Inzwischen ist der Mann mit der getönten Brille, den alle nur beim | |
Nachnamen nennen, 70 Jahre alt. Seine Musik hat in den USA und Europa eine | |
Renaissance erfahren, und die absurde Geschichte seiner Karriere ist Thema | |
eines Dokumentarfilms, der Ende des Jahres in die Kinos kommt. | |
Der Soundtrack zu „Searching for Sugar Man“ ist bereits jetzt | |
veröffentlicht und vereint die prägnantesten Songs der beiden | |
Rodriguez-Alben sowie drei weitere Stücke aus den Jahren 1972 und 1973. | |
Immerhin, diesmal erhält er Tantiemen. Das steht als unmissverständliche | |
Botschaft auf dem Albumcover. | |
## Von Intrigen durchsetzt | |
„Sugar Man“, der titelgebende Song, ist nur beim ersten Hören ein reiner | |
Drogenkurier-Herbeisehn-Knaller. Rodriguez’ wütend-verzweifelte Stimme und | |
die erhabene Schönheit der Melodie betört. Doch hier ergeht sich kein | |
Hipster in schnöder Drogenverherrlichung. Rodriguez äußert Verständnis für | |
den Eskapismus aus einem deprimierenden Alltag, der keine Zukunft | |
bereithält und von Intrigen durchsetzt ist. „Sugar Man, won’t you hurry, | |
’cos I’m tired of these scenes / For a blue coin won’t you bring back all | |
those colours to my dreams.“ Mag die vordergründige Coolness des Songs auch | |
der erste Impuls für den New Yorker Rapstar Nas gewesen sein, die Hookline | |
von „Sugar Man“ im Jahr 2001 zu sampeln, hat er Rodriguez damit einer | |
breiten Hörerschaft bekannt gemacht. | |
Und dass es jetzt nicht absurd wirkt, wenn ein Mann Songs, die er vor 40 | |
Jahren schrieb, vor ausverkauften Häusern mit extrem jungen Publikum | |
darbietet, liegt an der zeitlosen Aktualität seines schmalen Werks. Und | |
daran, dass Rodriguez diese neuerliche Wendung seiner Karriere mit dem | |
gleichen zufriedenen Gleichmut annimmt wie alle Wendungen zuvor. | |
Rodriguez: „Searching for Sugar Man“ (Legacy Recordings/Sony Music) | |
12 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
## TAGS | |
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