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# taz.de -- Betrug mit falsch deklarierten Eiern: Auf Kosten der Hennen
> Rund 200 Landwirte stehen im Verdacht, Eier unter Missachtung der
> Tierschutzregeln produziert zu haben. Betroffen sind konventionelle und
> Biobetriebe.
Bild: Sonntags auch mal zwei: Staatsanwälte ermitteln, warum zu viele Hühner …
Die Biobranche wird gerade medial ans Kreuz genagelt. „Jetzt Betrug mit
Bio-Eiern!“, titelte die Bild-Zeitung am Montag. Auch der Spiegel berichtet
in seiner neuen Ausgabe fast ausschließlich über Ökobetriebe, die zu viele
Legehennen pro Stall untergebracht haben. Doch in Wirklichkeit sind von dem
neuen Betrugsskandal in der Lebensmittelbranche vor allem konventionelle
Geflügelfarmen betroffen.
Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen rund 150
Betriebe. Sie sollen im Schnitt 10 bis 20 Prozent mehr Hühner pro
Quadratmeter als gesetzlich erlaubt gehalten haben, wie Behördenleiter
Roland Herrmann der taz sagte. Weitere 50 Verfahren haben die
niedersächsischen Fahnder an Ermittler in anderen Bundesländern abgegeben,
vor allem in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Obergrenze für die Legehennenhaltung beträgt neun Tiere pro
Quadratmeter Stallfläche. Das gibt die Bundesverordnung zum Schutz
landwirtschaftlicher Nutztiere vor. Biobetriebe dürfen laut
Ökolandbaugesetz pro Quadratmeter im Stall sogar nur sechs Tiere halten.
Für die Farmen bedeuten mehr Hennen mehr Eier und entsprechend mehr Gewinn.
„Aber für die Tiere führt das zu mehr Stress“, sagt Fachreferentin Esther
Müller vom Deutschen Tierschutzbund. „Sie brauchen Platz, um zu picken, zu
scharren und im Sand zu baden.“ Den Stress versuchten sie zu kompensieren,
indem sie ihren Artgenossen Federn aushacken oder sie anderweitig
verletzen. „Das ist ein Tierschutzproblem.“
## Manipulierte Buchführung
Und es ist illegal. „Die meisten Eierproduzenten wussten, dass sie gegen
die gesetzlichen Vorgaben verstoßen. Deshalb haben sie das mit einer Art
doppelter Buchführung zu kaschieren versucht“, erklärt Staatsanwalt
Herrmann.
Der Trick: Die Farmen ließen sich zwei Lieferscheine von ihren
Legehennen-Lieferanten geben – einen mit der zulässigen Tierzahl und einen
mit dem illegalen Rest. Nur der Schein mit der zulässigen Zahl ging in die
offizielle Buchführung ein, die die Kontrolleure einsehen – nachzählen
können Inspektoren bei Zehntausenden Tieren pro Stall eh nicht. Der andere
Schein wanderte in den Giftschrank.
So kann es auch mit Dokumenten wie den Lieferdokumenten für die
Schlachthöfe passiert sein, die die Tiere nach ihrer Dienstzeit in der
Eierfabrik töteten. Oft muss die Dokumentation über den letzten Weg aber
gar nicht manipuliert werden: „Zwischendurch sterben ja auch welche“, sagt
Hermann.
Für den Ermittler steht fest: „Wir haben den Eindruck, dass das eine
flächendeckende Methode ist. Dieses System läuft schon seit Jahren.“
Millionen Eier seien so produziert worden.
## Betrugsmasche nebenbei aufgeflogen
Aufgeflogen ist die Masche, weil ein Bauer sie bei einem Gerichtsprozess
gegen einen Legehennen-Lieferanten nebenbei verriet. Der zuständige
Zivilrichter informierte laut Hermann das Niedersächsische Landesamt für
Verbraucherschutz, das wiederum die Staatsanwaltschaft einschaltete. Die
nahm Ende 2011 die Ermittlungen auf. Die Öffentlichkeit sei zunächst nicht
informiert worden, um die Arbeit nicht zu gefährden.
Die meisten der in Niedersachsen verdächtigten Betriebe sind laut
Staatsanwalt Herrmann konventionell. Dazu gehören Farmen mit Freiland-,
Boden- und Käfighaltung. Auch die Biobetriebe hätten zwar mehr Tiere als
für Ökofarmen erlaubt eingestallt, aber nicht mehr als für den
konventionellen Bereich zugelassen.
Der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer (Grüne) kritisierte im
Gespräch mit der taz: „Mich nervt, dass das ausschließlich als Bioskandal
hochgezogen wird. Da wird ein Image erzeugt, dass Bio ganz schlecht sei und
ganz wenig kontrolliert werde.“ Tatsächlich würden Ökobetriebe aber besser
überprüft als konventionelle.
## Ab 10 Cent mehr für Bio
Biofarmen unterstehen nicht nur den Kontrollen der Behörden, sondern auch
der privaten Ökokontrollstellen. Natürlich, ergänzt Meyer, gebe es auch in
der Biobranche gravierende Probleme, etwa „im agrarindustriellen Bereich
von Bio“ – besonders wenn Betriebe sowohl öko als auch konventionell
arbeiteten. Doch das sei nicht die Branche insgesamt.
Aber „Bio-Bashing“ verkauft sich in den meisten Medien einfach besser als
Kritik an der konventionellen Tierhaltung. Zudem sind die
Tierschutzanforderungen und die Erwartungen der Verbraucher bei Bio
besonders hoch, was sich auch in dem höheren Preis ausdrückt: Ein Bioei
kostet im Schnitt gut 10 Cent mehr als eines aus konventioneller
Bodenhaltung.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg geht deshalb davon aus, dass den
Konsumenten wegen des Biobetrugs einige Millionen Euro Schaden entstanden
sind – sie haben den Bioaufpreis bezahlt, obwohl sich die Bauern nicht an
alle Ökoregeln gehalten haben. Immerhin sei die Gefahr jetzt gebannt, meint
Agrarminister Meyer. Nach den Razzien der Fahnder dürfe der „systematische
Betrug jetzt rum sein in der Branche“.
Der Grüne macht sich nun an die Konsequenzen: „Wir prüfen, ob die
Kontrollen versagt haben. Die Landkreise und Ökokontrollstellen hatten den
Fall ja nicht bemerkt.“ Als Erstes hat er den Kommunen per Erlass eine
Hinweisliste zukommen lassen, die bei der Aufdeckung von Überbelegungen
helfen soll.
Auch die Selbstkontrollorganisation der Eierbranche, der Verein für
kontrollierte alternative Tierhaltungsformen, arbeitet an Verbesserungen.
„Ich möchte, dass die Mischfutterindustrie uns meldet, wie viel Futter sie
an die Betriebe verkauft, die wir kontrollieren“, sagt Geschäftsführer
Caspar von der Crone. Ein Huhn fresse im Schnitt 120 Gramm pro Tag. „Wenn
es 80 Gramm sind, wissen wir, dass zu viele Hühner da sind.“
25 Feb 2013
## AUTOREN
Jost Maurin
Jost Maurin
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