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# taz.de -- Debatte Bio-Lebensmittel: Abrüsten im Hühnerstall
> Die Zahl der Tiere muss begrenzt werden. Bio- und konventionelle Hennen
> parallel zu halten gehört verboten. Alles andere ist Makulatur.
Bild: Eng ist es nicht nur in konventionellen Hühnerställen
Der Bioverband Demeter hat seine Stellungnahme zum Bioeierskandal mit einem
Foto illustriert, auf dem ein Hahn (!) und eine Henne beim vertraulichen
Tête-à-Tête auf der grünen Wiese flanieren. Fehlt noch die rotbackige
Bäuerin, die dem glücklichen Hühnervolk lecker Fresschen serviert.
Die Zahl der Verbraucher, die sich die Biohaltung von Legehennen derart
idyllisch vorstellen, dürfte in diesen Tagen allerdings gegen null gehen.
Der aktuelle Skandal um voll gestopfte Ställe und illegal produzierte
Bioeier sowie die Bilder von fast federlosen Legehennen in verheerendem
Zustand räumen mit solchen Illusionen gründlich auf.
Wir nehmen zur Kenntnis: Auch in Biobetrieben wird betrogen, werden Tiere
systematisch gequält. Und die Kontrollen finden entweder gar nicht oder mit
verbundenen Augen statt.
Der Skandal trifft eine extrem heterogene Branche, die seit Jahren durchaus
selbstgefällig ihre strammen Wachstumszahlen präsentiert. Die aber
gleichzeitig nicht in der Lage ist, Fehlentwicklungen auf dem Biosektor
offensiv zu benennen und dagegen anzugehen.
## Eier wie Ziegelsteine
Euphorie aufgrund steigender Umsätze ist deshalb fehl am Platz. Denn mit
dem sprichwörtlichen Bioboom ist die Branche immer stärker von der
Agrarindustrie vereinnahmt worden. Gerade bei den Legehennen. Der größte
Teil der von Discountern verkauften Bioeier kommt heute von Großbetrieben.
Klassische Agrarkonzerne wie Wiesengold, Tiemann, Deutsche Frühstücksei und
Co klopfen den Takt und produzieren Bioeier wie Ziegelsteine. Je größer die
Ställe, desto höher die Profitrate.
Die wohlfeilen Erklärungen einiger Bioverbände, dass beim Eierskandal kein
Betrieb aus den eigenen Reihen betroffen sei, können die Wucht des Skandals
nicht mindern.
Auch die reflexartige Forderung nach härteren Strafen genügt nicht. Die
Biobranche muss jetzt selbst aktiv werden. Viel zu lange hat sie Strukturen
geduldet und mitgetragen, die zum Betrug regelrecht einladen. Die
notwendigen Veränderungen werden zwar immer wieder mal auf Verbandstagen
diskutiert – aber ohne Konsequenz.
Dringend notwendig sind zuerst Bestandsobergrenzen. Auch im Biosektor sind
Herden und Ställe immer größer geworden. Bei Legehennen muss bei höchstens
10.000 Tieren Schluss sein. Es war ein Riesenfehler, diese Grenzen nicht
früher gezogen zu haben und somit die Agrarkonzerne anzulocken. Heute gibt
es 24 Biobetriebe in Deutschland, die jeweils mehr als 30.000 Legehennen
halten. Manche sogar 50.000. Ist das noch bio?
Auch die sogenannte Betriebsteilung mit gleichzeitiger Haltung von
konventionellen und Biohühnern (oft über Tochterfirmen) ist ein strukturell
angelegter Betrug. Wie viele Millionen Eier aus Quälhaltung sind so über
Nacht quasi betriebsintern zum schicken Bioprodukt geworden?
## Es wird teurer
Beide Maßnahmen, Bestandsgrenzen einziehen und Betriebsteilungen verbieten,
würden die industrielle Landwirtschaft stärker auf Distanz halten. Sie
würden Bioeier allerdings auch verteuern, das ist richtig.
Wenn dann noch die laschen EU-Biovorschriften auf das Niveau der weit
ambitionierteren Standards etwa von Bioland angehoben würden, wäre schon
viel gewonnen. Nur: Dazu braucht es eine Kampagne und kein
Stillhalteabkommen, wie wir es gegenwärtig zwischen Bauernhofbio und
Industriebio erleben.
Auch das veraltete Kontrollsystem ist und bleibt lächerlich. Dass sich
Biobetriebe ihre Zertifizierer und Kontrollorgane selbst aussuchen, sorgt
für unselige Verquickungen und Abhängigkeiten.
Zudem wechseln Bioverbandsfunktionäre immer mal wieder zu den
Kontrollorganen über und umgekehrt. Das ist, als würden die Radprofis ihre
Dopingkontrolleure selbst bestimmen. Für die Zertifizierer gilt: Wenn sie
besonders streng vorgehen, sucht sich der Betrieb künftig jemanden, der
sich kooperativer zeigt.
Staatliche Kontrollen muss ohnehin niemand fürchten; die finden, wenn
überhaupt, am Schreibtisch statt. Fehlendes Personal und fehlendes Know-how
sind die Regel bei Bundesländern und Kommunen. Dass auch und gerade die
Biobranche regelmäßige, unangemeldete und strenge Kontrollen von wirklich
unabhängigen Organen braucht, ist eine Selbstverständlichkeit.
## Und jetzt noch zu den Genen
Zu den großen, weitgehend unbekannten Defiziten der Branche gehört außerdem
die Genetik der Nutztiere. Die Bioaktivisten reden zwar gerne über die
notwendige Entwicklung eigener Zuchtlinien und Rassen. Doch tatsächlich
stallen sie die gleichen Hühner vom gleichen „Hersteller“ ein, die auch in
konventionellen Betrieben gackern.
Diese Tiere sind über eine jahrzehntelange gnadenlose Selektion ganz auf
Leistung getrimmt. Sie sind krankheitsanfällig, verhaltensgestört bis hin
zum Kannibalismus, verrückt vor lauter Eierlegen. Die Nutztierethnologin
Christiane Keppler hat eindrucksvoll beschrieben, welche
Gesundheitsprobleme die Turbohennen auch in Biobetrieben haben.
Zu deren trüber Realität gehört auch, dass die männlichen Brüder der
Biolegehennen, also die jungen Hähne, kurz nach dem Schlüpfen aus dem Ei im
sogenannten Kükenvermuser geschreddert werden – eine ethische Katastrophe.
Erste Ansätze, die männlichen Küken leben zu lassen und zu mästen – sie
setzen, genetisch bedingt, nur langsam Fleisch an –, sind jetzt zu
erkennen, etwa bei Demeter. Aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.
So zeigt sich die Biobranche, aufgesplittert von Premium- bis Billigbio,
bei näherem Hinsehen in bedenklicher Verfassung. Nach einer langen Phase
schnellen Wachstums ist es höchste Zeit, die Entwicklung der letzten Jahre
ehrlich auszuleuchten und sich wieder stärker auf Ethik, Tierwohl, Umwelt
und Qualität zu konzentrieren, also den Kern der Biobewegung.
20 Prozent Bio in der Landwirtschaft oder gar 100 Prozent, wie sie
Naturland-Geschäftsführer Steffen Reese fordert, können nicht das Ziel
sein, wenn dabei am Ende Bio light herauskommt: eine industrialisierte,
grüngewaschene Massentierhaltung mit ökologischen Ministandards und
regelmäßigen Skandalen.
9 Mar 2013
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
Bio
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
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