# taz.de -- Italien und Lebensmittelbetrüger: Krieg gegen die Biofälscher | |
> Raffinierte Firmennetze, fragwürdige Transportwege und korrupte | |
> Kontrolleure: Professionelle Banden deklarieren herkömmliche Ware in | |
> teure Ökoprodukte um. | |
Bild: Heißer Mais: Im April veröffentlichte die italienische Finanzpolizei ei… | |
ROM/BERLIN taz | Früher, in der angeblich guten alten Zeit, betrog in der | |
Biobranche allenfalls ein einzelner Bauer oder Händler. Hier hat er ein | |
bisschen Pestizide aufs Feld gespritzt; da hat er ein paar konventionelle | |
Billigeier unter die teuren biologischen gemischt. Hat kaum einer gemerkt, | |
fiel mengenmäßig auch nicht ins Gewicht. | |
Doch über dieses Stadium sind Biobetrüger in Italien längst hinaus. Dort | |
deklarieren neuerdings auch gewerbsmäßig operierende Banden mit Hilfe eines | |
ganzen Netzwerks von Firmen in verschiedenen Ländern riesige Mengen | |
herkömmlicher Ware in Ökoprodukte um. Die organisierte Kriminalität hat die | |
Biobranche erreicht. | |
Im April schon wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft im italienischen | |
Adriastädtchen Pesaro nicht etwa gegen einen Verdächtigen, sondern gleich | |
gegen 23 mutmaßliche Mitglieder eines Fälscherrings ermittelt. Zwar stammen | |
alle aus Italien, arbeiteten aber unter anderem in der Republik Moldau, auf | |
Malta oder in Westeuropa. Zu den Verdächtigen gehört sogar der moldauische | |
Ableger einer Ökokontrollstelle aus Italien, die ja eigentlich Betrügern | |
auf die Schliche kommen sollte. | |
Alle waren den Ermittlern zufolge daran beteiligt, konventionelle | |
Futtermittel aus Moldau und der Ukraine mit falschen Biozertifikaten zu | |
versehen. Um die Wege der Ware zu verschleiern, nutzten sie ein Geflecht | |
aus mindestens zehn Firmen in verschiedenen Ländern. 1.500 Tonnen Mais und | |
30 Tonnen Soja [1][hat die Staatsanwaltschaft schon beschlagnahmt] in dem | |
groß angelegten Verfahren, das sie „Green War“ nennt. | |
Bei früheren Fällen wurde konventionelle Ware in die EU geschafft und dort | |
umdeklariert. „Jetzt dagegen entsteht das Produkt schon als Bioware etwa in | |
Moldau, wird gleich vor Ort zertifiziert, dann exportiert und | |
weitervermarktet“, sagt Staatsanwältin Silvia Cecchi aus Pesaro der taz. | |
Diese Masche soll es den Behörden noch schwerer machen, den Betrug zu | |
entdecken. | |
## Falschware auch in Deutschland | |
Für Cecchi ist klar: Auch nach Deutschland fand die gefakte Bioware ihren | |
Weg. Darauf deute eine E-Mail des Landwirtschaftsministeriums in Berlin an | |
das Ministerium in Rom vom 28. November hin. Der Gegenstand: Zwei am 31. | |
Oktober 2012 ausgestellte Zertifikate der Kontrollstelle ICS Biozoo Moldau, | |
die Anomalien aufwiesen. | |
„Elemente der Fälschung“, so drückt sich die Ermittlerin aus, seien | |
tatsächlich auf diesen Zertifikaten wie auch auf anderen | |
Biozoo-Bescheinigungen von August 2011 bis August 2012 festgestellt worden, | |
auf die Berlin aufmerksam gemacht habe. | |
Unter Verdacht ist auch die Importfirma Delva auf Malta, aktiv seit 2012. | |
Deren Chef, Stefano Detassis, ist bereits als Mittäter in Biobetrügereien | |
bekannt: Er war an dem bisher wohl größten Bioskandal Europas beteiligt. Im | |
Dezember 2011 flog dieser auf: Der damals entdeckte Fälscherring | |
verwandelte binnen vier Jahren rund 700.000 Tonnen konventionelles Getreide | |
und Soja in lupenreine Bioware. | |
Ein Teil gelangte auch nach Deutschland. Vor einem Jahr einigte sich | |
Detassis mit der Staatsanwaltschaft Verona auf eine dreimonatige Haftstrafe | |
wegen Fälschung einer Rechnung. Doch die Strafe wurde zur Bewährung | |
ausgesetzt und wenig später war Detassis wieder im Biobusiness. | |
Detassis weist seinerseits im Gespräch mit der taz jeden Verdacht | |
unlauterer Machenschaften zurück. „Bloß zwei Schiffslieferungen von Soja | |
und Mais aus organischem Anbau“ habe Delva im Jahr 2012 über den Hafen | |
Malta abgewickelt, und die maltesischen Behörden, die die Ware genau | |
geprüft hätten, hätten nichts beanstandet. | |
Es stimme gar nicht, dass gegen die Delva und ihn selbst jetzt im Rahmen | |
von „[2][Green War]“ ermittelt werde; seine Firma sei definitiv „draußen… | |
Ebendies mag Staatsanwältin Cecchi nicht bestätigen. Namen nenne sie nicht, | |
weiterhin aber „spielen Delva und Firmenvertreter der Delva eine Rolle in | |
den Ermittlungen“, formuliert sie zurückhaltend. | |
## „Organisierte Kriminalität“ | |
Große Mengen, internationale Warenflüsse, ein komplexes Firmengeflecht, | |
korrupte Aufsichtsorgane und notorische Profis – darauf trifft der Begriff | |
„organisierte Kriminalität“ zu, wie ihn die Gemeinsame Arbeitsgruppe der | |
deutschen Justiz- und Polizeibehörden 1990 definiert hat. Auch Paolo | |
Carnemolla, Präsident der Dachorganisation Federbio von Bioerzeugern, | |
Verarbeitern und Händlern in Italien, spricht unumwunden von „organisierter | |
Kriminalität“, die da am Werke sei. | |
Möglich, so Carnemolla, sei deren Wirken, weil auch die Aufsichtsbehörden | |
immer wieder versagten. So habe das Betrugsinspektorat im italienischen | |
Landwirtschaftsministerium bis vor wenigen Monaten einen Leiter gehabt, | |
gegen den jetzt in einer anderen Geschichte wegen Korruption ermittelt | |
werde. Schon das lasse tiefe Zweifel aufkommen, ob da ein entschlossener | |
Fahnder der Kontrollbehörde vorstand. | |
Schon im Sommer 2012 hatte Federbio sich ans italienische | |
Landwirtschaftsministerium gewandt, um die Beamten auf Merkwürdigkeiten | |
beim Import von nun unter Verdacht geratenen Futtermitteln zu stoßen. „Im | |
Ministerium jedenfalls haben sie sich lange blind gestellt“, sagt | |
Carnemolla. | |
Auch bei der Aufklärung ist das Ministerium langsam. Die deutsche | |
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat nach eigenen Angaben bis | |
heute keine Mitteilung aus Rom erhalten, ob Deutschland vom aktuellen Fall | |
betroffen ist oder nicht. „Unglaublich“, kommentiert das ein | |
Behördensprecher. Das italienische Ministerium war für eine Stellungnahme | |
nicht zu erreichen. | |
## Waren auch Staatsbeamte verwickelt? | |
Immerhin ist bisher nicht der Verdacht aufgekommen, dass das Ministerium in | |
Rom selbst in die Sache verwickelt sei. In Moldau und auf Malta ist das | |
anders. Federbio-Chef Carnemolla findet es sehr auffällig, dass der Import | |
in die EU – und damit die Verzollung und Kontrolle der Ware – über Malta | |
getätigt wurde, wo das Biobusiness kaum präsent ist. | |
Staatsanwältin Cecchi geht noch weiter: Mit den Behörden in Moldau und auf | |
Malta gebe es keinerlei Zusammenarbeit bei den Ermittlungen, „wir wissen | |
nicht, welchem Gesprächspartner wir vertrauen können, wir fürchten die | |
Verwicklung auch dortiger Staatsbeamter“. | |
Wie sich die Strukturen der organisierten Kriminalität in Teilen der | |
italienischen Biobranche verfestigen, zeigt die Tatsache, dass der 2011 | |
aufgeflogene Bioskandal ähnliche Merkmale aufweist. Auch hier haben die | |
Fälscher ein raffiniertes Firmennetz gesponnen. Die Menge der gefälschten | |
Waren war so groß, dass sie Lastwagen in einer 507 Kilometer langen | |
Schlange gefüllt hätte. Damals wurden sieben Manager von | |
Import-/Exportfirmen sowie von Kontrollstellen verhaftet. Vier der | |
Beschuldigten einigten sich mit der Staatsanwaltschaft Verona dann auf | |
Haftstrafen von drei Jahren. | |
Der Delva-Chef Detassis ist nicht der Einzige, der auch heute noch in der | |
Biobranche arbeitet. Davide Scapini wurde 2012 in Verona zu drei Jahren | |
Haft verurteilt, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung. Er arbeitet | |
heute unter anderem als Adressenvermittler für den Mannheimer | |
Biorohstoffhändler P. Krücken Organic GmbH. Scapini helfe dabei, | |
Ökolieferanten in der Republik Moldau zu finden, sagt | |
Krücken-Geschäftsführer Martin Köster der taz. „Wir haben drei | |
Bauernadressen von Scapini bekommen.“ | |
## Forderung nach Berufsverbot | |
Dafür erhalte er möglicherweise ein Honorar, wenn das Geschäft in Moldau | |
zustande kommen sollte. Auf die Frage, ob man mit einem Kriminellen wie | |
Scapini noch zusammenarbeiten dürfe, antwortet Köster: „Selbst Uli Hoeneß | |
kann uns noch Adressen liefern.“ | |
Darüber hinaus dürfe Scapini nichts für die P. Krücken Organic GmbH | |
erledigen. „Der Mann berührt bei uns keinen Geschäftsvorfall.“ | |
Branchenkenner wie der Geschäftsführer der Göttinger Kontrollstelle GFRS, | |
Jochen Neuendorff, sind ob solcher Naivität entsetzt. „Wir brauchen | |
Berufsverbote für Leute, die notorisch gegen die Regeln verstoßen haben“, | |
fordert er. | |
20 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.oltremedianews.com/5/post/2013/04/operazione-green-war-la-guardi… | |
[2] /!114710/ | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
Jost Maurin | |
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