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# taz.de -- Kommentar CDU/CSU und Energiewende: Merkels Sargnagel
> Beim Thema Energiewende ist die Union gespalten. Die Mehrheit stellen
> jedoch die Gegner. Dadurch gehen den Konservativen Wähler verloren.
Bild: Umweltfragen haben die Konservativen den Linken überlassen.
Auch zwei Jahre nach der Energiewende ist das Verhältnis der Regierung
Merkel zu erneuerbaren Energien widersprüchlich. An manchen Tagen lobt sie
den Wechsel zu Wind- und Solarenergie geradezu in den Himmel. Um dann, kurz
darauf, zur Vorsicht zu mahnen, sich darüber zu beklagen, dass alles zu
schnell gehe, und die EEG-Umlage für zu hohe Energiepreise verantwortlich
zu machen.
Die Konservativen sind, allen verbalen Bekenntnissen zum Trotz, noch immer
über die Energiewende gespalten – mit den Gegnern in der Mehrheit. Dies
könnte negative Konsequenzen nicht nur für Deutschland, sondern auch den
deutschen Konservatismus haben. Die Nein-Sager geben nicht nur ein Thema
auf, das zu einer konservativen Weltanschauung passt, sondern auch eines,
das der Partei Stimmen kosten wird.
Dabei hatten die Christdemokraten schon in den achtziger Jahren einen
kleinen Öko- und Pro-Erneuerbaren-Flügel. Nur wenige wissen noch, dass
nicht die Grünen den Einspeisetarif für Erneuerbare erfunden haben, sondern
die Kohl-Regierung in den frühen Neunzigern. Nicht grüne Wutbürger drängten
Kohl dazu, sondern konservative Grundbesitzer, die den Strom ihrer kleinen
Wasserkraftwerke an die Energiekonzerne verkaufen wollten.
Und noch weniger dürften sich daran erinnern, dass die Grünen auch von
Konservativen wie dem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl
mitgegründet wurden, dem Autor des Bestsellers „Ein Planet wird
geplündert“.
Mit dem Slogan „weder links, noch rechts, sondern vorn“ wollte er
ideologische Differenzen durch eine Ausrichtung auf Zukunftsfragen
überwinden. Aber Gruhl und einige andere Konservative traten aus den Grünen
aus, als die Absplitterungen der K-Gruppen und der Spontis auf der Bühne
erschienen und die Partei nach links trieben.
## Die CDU bleibt eine hierarchische Partei
Seitdem haben die Konservativen Umweltfragen und das Erneuerbaren-Thema im
Großen und Ganzen den Linken überlassen. Die bekanntesten Konservativen,
die mit Umweltthemen verbunden werden, Klaus Töpfer und Norbert Röttgen,
spielen in der Union keine führenden Rollen.
Röttgens Nachfolger Peter Altmaier ist ein Technokrat, der alle Flügel
bedient, aber vor allem den Argumenten der Energiewende-Gegner folgt. Diese
Kräfte, vor allem im Bundestagsausschuss für Wirtschaft konzentriert, haben
der Union die Energiepolitik bis Fukushima diktiert, darunter auch die
Verlängerung der Reaktorlaufzeiten im Jahr 2010.
Die CDU, sosehr sie sich auch in den letzten 15 Jahren modernisiert hat,
bleibt eine hierarchische Partei, in der Politik von oben nach unten
betrieben wird. Als Angela Merkel ihre 180-Grad-Wende in der Energiepolitik
vollzog, folgte ihr pflichtbewusst der größte Teil der Partei. Aber weder
die Kanzlerin noch sonst irgendjemand in der Partei hatte einen Plan, um
die Energiewende umzusetzen – oder auch nur überzeugende Argumente dafür.
Deshalb sieht die Bundesregierung bei diesem Thema seitdem so erbärmlich
aus und stammelt vor sich hin, wenn es um Netzausbau, Strompreise und
Versorgungssicherheit geht.
Und deshalb haben auch die beinharten Befürworter der konventionellen
Energien von Thomas Bareiß über Michael Fuchs bis zu Joachim Pfeiffer sich
neue Geltung verschaffen können. Ihre Scheinargumente bestimmen die
Debatte. Und haben einen äußerst rührigen Unterstützer in
FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der die Energiewende bei jeder
Gelegenheit abbremst.
Aber all das ist kurzsichtig gedacht. Die Konventionellen-Fans in der Union
verkämpfen sich in einer rückwärtsgewandten Auseinandersetzung. Ihre Vision
ist vom Boom der Erneuerbaren längst in die Geschichtsbücher verabschiedet
worden.
Deutschlands Wechsel zu Erneuerbaren hat eine mächtige Industrie ins Leben
gerufen, hat Arbeitsplätze geschaffen – und eine Lobby, die sich nicht nur
auf traditionell konservative Wählerschaften stützt, sondern heute auch
mächtiger ist als die Kohle- und Atomlobby.
Der Mittelstand etwa hat enorm von dem Einspeisetarif profitiert: Sowohl
die 1,3 Millionen Besitzer von Photovoltaikanlagen als auch die 1,8
Millionen von Solarthermie-Installationen sind private Eigentümer. Über
drei Viertel aller Erneuerbaren-Anlagen sind in der Hand von
Einzelbesitzern, kleinen und mittleren Unternehmen und Kooperativen – ein
klassisches konservatives Wählerpotenzial. Wähler, die in Baden-Württemberg
jemanden wie Winfried Kretschmann wählen, solange die konservativen
Parteien ihre Interessen nicht besser repräsentieren.
## Bayern vorn
Nicht alle Konservativen sind blind für die Umbrüche. Der bayerische
CSU-Abgeordnete Josef Göppel etwa hat ebenso wie andere Christsoziale
verstanden, dass die Energiewende die Kerninteressen seiner Wählerschaft
verändert hat. Bayern hat die meisten Photovoltaikanlagen, die meisten
Biogasproduzenten und die meisten Beschäftigten in der
Erneuerbaren-Branche. Kein Wunder, dass Göppels Büro Altmaiers
Strompreisbremsenplan schon eine Stunde nach dessen Veröffentlichung
verurteilte.
Aber während die CSU aufholt, stecken die CDU und ihre Energiehardliner in
der Vergangenheit fest. Sie lassen sich als Lobbyisten der chemischen
Industrie einspannen, die von der Energiewende und der damit verbundenen
Produktion und vor allem der energetischen Gebäudesanierung zwar erheblich
profitiert.
Gleichzeitig macht sie aber die Energiewende in der Öffentlichkeit nieder,
damit sie nicht einen Cent dafür bezahlen muss. Irgendwann aber wird die
Angstmache vor Stromausfällen, hohen Energiepreisen und dem Verlust der
Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ihr Schreckenspotenzial verlieren.
Die Regierung Merkel hat ihren Namen unverdienterweise mit der Energiewende
verbunden. Sie hat sich als unfähig erwiesen, mit deren Erfolg mitzuhalten.
Und wenn sie es nicht endlich schafft, die Energiewende in den eigenen
Reihen positiv zu besetzen, könnte das Thema zum Sargnagel der
schwarz-gelben Koalition werden.
Aus dem Englischen von Martin Reeh
24 Mar 2013
## AUTOREN
Paul Hockenos
## TAGS
Energiewende
Windkraft
Erneuerbare Energien
Peter Altmaier
Schwerpunkt Angela Merkel
Lesestück Recherche und Reportage
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