# taz.de -- Der britische Comicautor Luke Pearson: „Als Kind sah ich noch Rie… | |
> Luke Pearson, für zwei Eisner Awards nominiert, über den Verlust der | |
> Fantasie beim Erwachsenwerden, die Vorteile des Lebens in der Stadt und | |
> seine Hilda-Comicreihe. | |
Bild: Umgeben von Minielfenhäusern: das mutige Mädchen Hilda. | |
taz: Herr Pearson, Sie sind gerade mal 25 Jahre alt und bereits für einen | |
der wichtigsten Comicpreise der Welt nominiert: den Eisner Award in der | |
Kategorie „Best Writer/Artist“. Käme ein Sieg nicht viel zu früh? | |
Luke Pearson: Nein, dafür ist es niemals zu früh. Klar würde ich gern | |
gewinnen. Nur wird das nicht passieren, nicht im Jahr von Chris Wares | |
„Building Stories“. Aber ich bin ja auch in einer der Kinderbuchkategorien | |
nominiert, ich glaube, da habe ich eine Siegchance. Vielleicht. | |
Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie von der Nominierung erfahren | |
haben? | |
Nicht genau. Als es bekannt wurde, haben mir alle gratuliert und waren | |
supernett und aufgekratzt. Das war wohl ein karrieredefinierender Moment. | |
Freuen Sie selbst sich denn auch ein wenig? | |
Oh, klar, die Nominierung ist cool, ich bin glücklich. Es ist nur … ich | |
messe solchen Auszeichnungen keine allzu hohe Bedeutung bei. Wenn | |
Preisrichter über etwas entscheiden, geht es am Ende doch immer um | |
persönlichen Geschmack. Ich habe bei den British Comic Awards letztes Jahr | |
einen Preis gewonnen, da haben Kinder über den Sieger abgestimmt. So etwas | |
erfüllt mich mit mehr Stolz. | |
Sie wurden ausgezeichnet für „Hilda und der Mitternachtsriese“, den zweiten | |
Teil Ihrer Reihe über ein Mädchen, das Abenteuer mit Trollen, Minielfen und | |
vielen anderen Wesen erlebt. War Hilda eigentlich von Anfang für Kinder | |
gedacht? | |
Ja, schon. Es sollte ein Kindercomic werden, das auch Erwachsenen gefällt | |
und sie gern anderen Erwachsenen empfehlen. Wenn ich mir eine Zielgruppe | |
aussuchen müsste, wären es Kinder. | |
Was hat Sie beim Entwerfen der Hilda-Welt beeinflusst? | |
Ich hatte Hilda zunächst in meine Skizzenbücher gezeichnet, ohne zu wissen, | |
was ich mit ihr anfangen würde. Dann habe ich mit meinen Eltern eine | |
Kreuzfahrt durch die norwegischen Fjorde gemacht – ich hatte vorher | |
Geschichten über Trolle gelesen und die neblige, felsübersähte Wildnis mit | |
ihren Berghängen hat meine Fantasie beflügelt. Wichtig waren auch ein | |
Uniprojekt über die Sagenwelt Islands und die Mumins-Bücher der finnischen | |
Comicautorin Tove Jansson, die mich als Kind sehr beeindruckt haben. | |
Ich musste sehr an die Filme des japanischen Animeregisseurs Hayao Miyazaki | |
denken: die mutige Heldin, ein gewisser Animismus, die vielen seltsamen | |
Wesen, die nur eine Spur neben der Realität liegen. | |
Ja, seine Filme haben mich generell geprägt. Ich liebe sie, vor allem | |
„Chihiros Reise ins Zauberland“ und „Prinzessin Mononoke“. Es gibt viele | |
Fantasyelemente, aber sie sind so weit weg von westlichen Ideen von Fantasy | |
und viel mehr in der Natur verwurzelt. Das macht es vollkommen surreal, es | |
ist so viel Zeug, bei dem du denkst: Das habe ich noch nie zuvor gesehen! | |
Du kriegst nicht zusammen, wo es herkommt, aber es ergibt in seiner völlig | |
verdrehten Logik doch einen Sinn. Außerdem gibt es kein Gut und Böse, es | |
sind nur verschiedene Mächte am Werk. | |
Ihre fragmentarisch erzählte Graphic Novel „Everything We Miss“ weicht | |
erzählerisch und gestalterisch sehr von den Hilda-Comics ab. Sind Sie noch | |
auf der Suche nach Ihrem Stil? | |
Ich passe definitiv meine Zeichnungen an das an, was ich schreibe, und mag | |
es, zu experimentieren. Andererseits fühle ich mich manchmal mies deswegen | |
– als hätten alle schon eine starke visuelle Stimme gefunden und nur ich | |
springe ständig hin und her und entwickele mich nicht so schnell weiter, | |
wie ich könnte. | |
Eine Gemeinsamkeit hingegen ist eine zarte Magie. Ihre Welten sind belebt, | |
es passieren übernatürliche Dinge, auch im düsteren „Everything We Miss“: | |
Ein Baum tanzt, Weltraumriesen spielen Zielwerfen mit Asteroiden. Ist das | |
ein bisschen die Art, wie Sie die Welt sehen? | |
Nein. Das wäre ja auch ziemlich naiv, oder? Es bildet eher meine Erinnerung | |
daran ab, wie es als Kind war. Als ich mir noch besser vorstellen konnte, | |
dass da noch andere Dinge auf der Welt sind, etwa wenn wir im Urlaub auf | |
dem Land waren und ich große Riesen gesehen habe, die am Horizont | |
entlanggelaufen sind. Ich glaube, diese Lust am Spekulieren, die Lust | |
daran, Dinge im Kopf weiterzutreiben, bis zu dem Punkt, an dem man sich | |
beinahe selbst überzeugt hat, sie zu glauben, hat viel damit zu tun, warum | |
ich gern Comics mache. | |
Was waren Sie für ein Kind? Eher ein einsames? | |
Ich habe eine Schwester, also war ich nicht komplett allein. Aber ich war | |
schon eher in mich gekehrt, ein schüchterner Junge – das bin ich noch | |
heute. | |
Schweifen Sie leicht mit Ihren Gedanken ab? | |
Früher kamen die Dinge wie von alleine zu mir, manchmal musste ich nur die | |
Augen schließen und hatte sehr klare, lebhafte Tagträume. Heute kann ich | |
das längst nicht mehr so gut, das macht mich etwas traurig. | |
Liegt das an der Professionalisierung als Comickünstler oder am | |
Erwachsenwerden generell? | |
An beidem, denke ich. Als Erwachsener gibt es so viel Bullshit, über den | |
man nachdenken muss, dass man nicht mehr das Privileg hat, einfach | |
wegzuschalten. Und klar, ich zeichne seit drei Jahren professionell, und | |
irgendwann realisierst du, dass du dich darauf verlassen können musst. Das | |
erhöht den Druck. | |
Wie ist Ihr Arbeitsmodus, wenn Sie so auf kreative Schübe angewiesen sind? | |
Ich habe eine furchtbar miese Disziplin. Dabei hänge ich ein wenig in der | |
Luft: Einerseits sage ich mir, dass eine Nine-to-Five-Routine nur ein | |
vorgestanztes System ist, das ich nicht brauche. Ich bin ein freier Mann, | |
ich kann machen, was ich will! Aber dann sitze ich um fünf Uhr nachmittags | |
da und sehe, wie alle nach Hause kommen und sich einen schönen Abend machen | |
– und ich habe einfach noch gar nichts getan und zeichne bis spät in die | |
Nacht. Oder ich arbeite zwei, drei Tage fast ohne Schlaf und bin danach | |
total ausgebrannt. | |
So etwas hängt ja auch vom Freundeskreis ab. Wenn alle so einen Rhythmus | |
haben wie man selbst, kann man auch um Mitternacht noch Leute auf ein | |
After-Work-Bier treffen. Wo leben Sie eigentlich? | |
In Nottingham. Es ist ziemlich klein, gerade mal eine Stadt. | |
Kommen Sie von dort oder wie landet man sonst in Nottingham? | |
Gute Frage. Ich bin in der Nähe von Birmingham aufgewachsen, und als ich | |
vor zwei Jahren mit meiner Freundin zusammengezogen bin, endeten wir, warum | |
auch immer, in Nottingham. Also es ist in der Nähe meiner früheren Uni … | |
aber vor allem ist es billig, und das ist alles, was ich brauche. | |
Hilda zieht nach zwei Bänden vom Land in die Stadt. Was denken Sie: Wo | |
werden Sie leben, wenn Sie 40 sind? | |
Ich denke, in einer Stadt. Ich fahre kein Auto und ich möchte dann lieber | |
irgendwo sein, wo ich alles zu Fuß erreichen kann – oder mit öffentlichen | |
Verkehrsmitteln. Das ist ein ziemlich langweiliger Grund. | |
Ach, Unsinn. Aber haben Sie denn keinen Führerschein? | |
Doch, schon. Ich habe ihn zum 16. Geburtstag geschenkt bekommen, bin aber | |
seitdem nie wieder gefahren. Für mich ist Autofahren eine stressige und | |
beängstigende Erfahrung. Außerdem lebe ich lieber in der Stadt, weil ich | |
dazu neige, soziale Verpflichtungen zu vermeiden. Es ist sehr schwer, mich | |
zu irgendwas zu bewegen. In Städten gibt es zumindest das Potenzial, dass | |
ich das Haus verlasse. Würde ich mit meiner Einstellung auch noch auf dem | |
Land leben, wäre das mein Todesurteil. | |
19 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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