# taz.de -- Der Comiczeichner Tom Gauld: „Die Bibel ist so einseitig“ | |
> Der Comiczeichner Tom Gauld hat die Geschichte von David und Goliath aus | |
> Sicht des Riesen erzählt. Ein Gespräch über Außenseiter, Humor und | |
> Roboter. | |
Bild: Eigentlich ist er ein Schreiber: Goliath im Lager der Philister. | |
taz: Herr Gauld, wenn Zeitreisen möglich wären – wohin würden Sie reisen? | |
Tom Gauld: Wenn es nur zu Besuch wäre, würde ich nach London zur Zeit von | |
Heinrich VIII. reisen. Oder würde ich mir die Dinosaurier anschauen? Hmmm. | |
Sagen wir, Sie haben drei Reisen frei. | |
Dann will auch ein paar Dinosaurier und Steinzeitmenschen sehen. Obwohl, | |
ich habe die Zukunft vergessen. Okay: Ich nehme Dinosaurier, Henry VIII. | |
und die Zukunft. Das wird hart genug. | |
Auch in Ihren Comics und Illustrationen reisen Sie in andere Welten, | |
normalerweise treten hier vier Figurensorten auf: Fabelwesen, Roboter, | |
Menschen aus der Zukunft und Menschen aus vergangenen Zeiten. Warum ist die | |
Welt von heute kein Thema für Sie? | |
Ich mag es einfach, mit meinen Comics eine ganz neue Welt zu schaffen, die | |
in sich schlüssig ist. Sodass man hingehen und sie besuchen kann. Deswegen | |
finde ich das Hier und Jetzt nicht so spannend. | |
Was Sie von vielen anderen Independent-Comiczeichern unterscheidet, für die | |
es im Moment kaum ein anderes Thema zu geben scheint als ihren Alltag und | |
ihre direkte Umgebung. | |
Alltägliche Geschichten, die in einer alltäglichen Welt passieren, | |
interessieren mich nicht so. Und genauso wenig Märchengeschichten, die in | |
einer Märchenwelt spielen. Aber ich mag die Verbindung von fantastischen | |
Welten, Robotern, dem ganzen Zeug mit normalen Dingen. Bei mir sind die | |
Dinge, die passieren, ja beinahe banal. | |
Das trifft auch auf Ihr erstes längeres Comic „Goliath“ zu, das die | |
biblische Geschichte von Goliath und David neu erzählt – aus der Sicht des | |
Riesen. Die meisten der 96 Seiten verbringt dieser mit Warten. Wie kamen | |
Sie auf diese Idee? | |
Es ist schon schwer genug, Ideen zu haben, und da ist es nett, eine kleine | |
Starthilfe zu bekommen, indem man auf Vorhandenes aufbaut – deshalb war | |
recht klar, dass ich eine bestehende Geschichte aus einem anderen | |
Blickwinkel nacherzählen würde. Außerdem nutze ich gern visuell leicht | |
voneinander zu unterscheidende Figuren. In diesem Fall dachte ich an einen | |
großen und einen kleinen Charakter und kam so auf die Geschichte von David | |
und Goliath. Und da war mir schon beim Lesen klar, dass ich eine Graphic | |
Novel daraus machen würde. | |
Warum? | |
Die Bibelgeschichte ist so einseitig! Goliath ist nicht einmal ein | |
richtiger Charakter, er ist nur eine Serie von Maßangaben. Sie erzählen, | |
wie groß er ist, wie lang sein Speer ist, wie viel das Ende des Speers | |
wiegt und woraus seine Rüstung gemacht ist – aber sonst ist er total leer. | |
Was gut für mich war, denn auf diese Art konnte ich ihn und seine Sicht | |
beschreiben, ohne dem Original zu widersprechen. Er musste nur groß und all | |
die anderen Sachen sein. | |
Sie füllen die Leerstellen, indem Sie aus Goliath einen sehr | |
zurückgenommenen, introvertierten Charakter machen. Er hat bei der Armee | |
der Philister einen eigentlich unspektakulären Job als Schreiber und wird | |
erst durch seinen karrierewütigen Hauptmann zum vermeintlich unbesiegbaren | |
Kämpfer aufgebaut. Eine eher traurige Gestalt. | |
Zunächst denkt bei der Geschichte von David gegen Goliath jeder an den | |
Kampf eines kleinen Jungen gegen einen Riesen. Doch wenn man genauer | |
hinschaut, kämpfen eigentlich ein kleiner Junge und der allmächtige | |
Schöpfer des Universums gemeinsam gegen einen Riesen, und dann realisiert | |
man, wer hier eigentlich der Underdog ist. „Goliath“ ist eine Tragödie, | |
denn in dem Moment, wo die Geschichte beginnt, weiß man, dass er verlieren | |
wird. | |
Comiczeichner scheinen generell ein Herz für Außenseiter zu haben. Woran | |
liegt das? | |
Ich glaube, letztlich geht es in der Kunst immer um den Underdog. Eine | |
Geschichte über einen Helden, der heldenhafte Dinge macht und am Ende | |
gewinnt, ist nicht so spannend. Und Comiczeichner? Nun, wir sind nicht alle | |
antisoziale Robert Crumbs, die sich verstecken und den ganzen Tag | |
masturbieren. Aber: um ein Comic zu machen, muss man viel Zeit allein | |
verbringen, in seiner eigenen kleinen Welt am Schreibtisch. Was wohl dazu | |
führt, dass Comics – zumindest meine – häufig von Leuten handeln, die kei… | |
Konfrontationen mögen. Das ist ja auch die Tragödie von Goliath: Dass er | |
niemals die Kontrolle übernimmt und für seine Rechte aufsteht. Deswegen | |
nimmt es ein böses Ende für ihn. | |
Obwohl „Goliath“ eine Tragödie ist, hat es auch einen elegischen, sehr | |
zurückgenommenen Humor, der in vielen Ihrer anderen Arbeiten noch | |
deutlicher wird. Versuchen Sie gezielt lustig zu sein oder passiert das | |
einfach? | |
Ich weiß noch, als ich am College war und mich an Arbeiten versucht habe, | |
die beklemmend oder wütend sein sollten. Die wurden dann immer entweder | |
lustig oder ein bisschen lustig – oder langweilig. Irgendwann habe ich | |
realisiert, dass es an meinem Blick auf die Welt liegen muss und alles, was | |
ich mache, eine humoreske Note hat. Niemals „Lustig, haha, Crazyness“, aber | |
eben ein unauffälliger Humor, der ein bisschen traurig und ein bisschen | |
komisch zugleich ist. | |
So etwas gilt hier als typisch britischer Humor. Oder ist es ein | |
schottischer Humor? | |
Ich glaube schon, dass der Humor aus Nordengland und Schottland noch ein | |
wenig trockener und schwärzer ist. Mehr dead-pan – wie Buster Keaton, | |
verziehe niemals das Gesicht! | |
Wo in Ihren Arbeiten kommt das Schottische sonst noch durch? | |
Ich bin auf dem Land aufgewachsen, an einem ziemlich abgelegenen Ort, und | |
habe viel Zeit damit verbracht, draußen mit meinem Bruder zu spielen. Und | |
so ähnlich ist das oft auch in meinen Comics: zwei Charaktere an einem | |
verlassenen Ort, wie dem Mond, der Wüste oder der Wildnis. | |
Was hat Sie noch beeinflusst? | |
Als Kind war ich besessen von Lego. Und von den „Star Wars“-Filmen. Diese | |
Szene, in der die Jawas auf einem Wüstenplaneten Luke Skywalker und seinem | |
Onkel Roboter verkaufen wollen, und die sind alle rostig, kaputt, richtig | |
beschissen, muss tief in meinem Gehirn verankert sein. Deswegen zeichne ich | |
so viele alte Roboter. | |
Wie sieht es mit Marvin aus, dem depressiven Roboter aus der Roman-Reihe | |
„Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams? | |
Das Buch habe ich tatsächlich nie gelesen. Nur mal angefangen, aber hat | |
mich nicht gefesselt. Ich kann mit zu viel Wortwitz einfach nicht viel | |
anfangen, wenn alles betont schlau geschrieben ist, wirft mich das eher aus | |
der Story. Und so geht es mir auch mit Douglas Adams: Er ist mir einfach | |
ein bisschen zu clever. | |
Glauben Sie denn, dass wir noch hyperintelligente Roboter auf der Erde | |
erleben? | |
Ich denke schon, dass es irgendwann passieren wird. Allerdings klappt das | |
nie so wirklich gut mit hyperintelligenten Robotern, nicht wahr? Sie drehen | |
dann immer durch und versuchen, die Welt zu zerstören. Also vielleicht ist | |
das keine so gute Sache. | |
Normalerweise zeichnen Sie Illustrationen und kleinere Geschichten – hat | |
die Arbeit an einem ganzen Band Spaß gemacht? Oder war es ätzend? | |
Es hat auf jeden Fall sehr lange gedauert. Bei den kurzen Strips, etwa | |
meinen Sachen für den Guardian, denke ich: Wenn jemand es nicht mag, hat es | |
ihn nur zehn Sekunden gekostet, es zu lesen. Und nächste Woche gibt es | |
etwas Neues. Wer sich aber „Goliath“ kauft und es liest, zeigt viel mehr | |
Bereitschaft. Deswegen sollten es nicht irgendwelche Wegwerf-Witze werden, | |
sondern eine befriedigende Erzählung. Das war ganz schön schwierig, aber | |
ich habe viel gelernt und werde definitiv noch mal was Längeres machen. Was | |
dann hoffentlich einfacher wird. | |
Wissen Sie schon, worüber? | |
Ich habe einige Ideen, aber bin mir noch nicht sicher, wie es aussehen | |
wird. Es ist gut möglich, dass es wieder in der Vergangenheit spielt. Und | |
es wird ein Bär darin vorkommen. | |
18 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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