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# taz.de -- Comic „Für das Imperium“: Reise ins Innere einer Supermacht
> In dem Dreiteiler „Für das Imperium“ zeigt sich der französische
> Comiczeichner Bastien Vivès von einer ungewohnten Seite – als
> Historienerzähler im antiken Rom.
Bild: Gesichter eines Imperiums: Ausschnitt vom Titel des ersten Bandes.
Spätestens seit ihm zu Beginn des Jahres für sein Buch „Polina“ vom
französischsprachigen Kritikerverband der „Grand prix de la critique“ für
das beste Comic-Album verliehen wurde, scheint Bastien Vivès das Pantheon
der erzählenden Zeichner erobert zu haben. Bei dem Hype um Graphic Novels
könnte deutschen Lesern die Sandalencomicreihe „Für das Imperium“ entgehe…
Darin bebildert Bastien Vivès das Szenario von Merwan Chabane und überlässt
die Farbgebung Sandra Desmazières.
Die Bilder von Vivès und Desmazières sehen aus, als ob sie vor langer Zeit
auf Tafeln festgehalten worden wären, als ob die Zeit auf dem Material, das
sie beherbergt, seine Spuren hinterlassen hätte. Der Hintergrund wirkt
verwittert. Die Tableaus sind gescheckt wie oxidierte Bronze. Das lässt sie
wie ein Zeitzeugnis wirken, als mythologisierende Bildfolge. Grün, Rot und
Blau dominieren die drei Bände.
Das Zentrum der römischen Macht ist von Rot gesättigt, das paradiesische
Land der Amazonen erscheint in prallem Grün, und das Reich löst sich
zuletzt in einem kalten Blau auf. Die Coloristin Sandra Desmazières hätte
auf dem Cover aufgeführt werden sollen. Selbst Bastien Vivès sagt über
ihren Anteil: „Ohne diese Farben wäre ’Für das Imperium‘ ganz sicher ni…
zu dem geworden, was es ist.“
Ein Elitetrupp des römischen Reichs wird auf dem Höhepunkt seiner Macht
beauftragt, die Grenzen seines Einflussbereichs zu erweitern. Die römischen
Imperialisten erfahren auf ihrer Reise etwas, das sie nicht kennen:
Schwäche, Aufruhr, Zerfall und Niederlagen. Sie sind Zöglinge aus dem
Zentrum der Macht, die nichts anderes als ihre eigene Stärke kennen. Wenn
sie aufbrechen, belagern sie zwar ständig Widerständige, sie nehmen sie
aber nur als Hindernis ihrer Reise wahr: Im Ausbreitungsbereich der Macht
gibt es nichts, was sie beunruhigen könnte.
## Ins Innere der Macht
Merwan lässt Allmachtsfantasie auf Selbstfindung prallen. Sein Szenario
führt die römische Elite wie im Entwicklungsroman ins Ungewisse: Es ist die
Reise ins Ich, bei der die Helden ihre eigene Identität erkunden, nur dass
der mythologische Erkundungszug hier ins Innere der Macht geht. Im ersten
Band „Ehre“ passiert denn auch nicht viel. Die Ehre führt die Helden nicht
wie bei der Ritterfahrt in der höfischen Literatur dorthin, wo sie
hinwollen: zur Selbstvergewisserung ihrer eigenen Werte. Solange sich die
Soldaten noch im Imperium aufhalten, erfahren sie, was sie im
allgegenwärtigen Schlachtgetümmel nicht kennengelernt haben: vollkommene
Leere. Bevor sie zum ersten Feind gelangen, müssen sie erfahren, dass sie
ohne Gegner nichts sind.
Die Soldaten treffen im zweiten Band, der der eindrucksvollste der Reihe
ist, eine Gruppe von Amazonen, die buchstäblich von ihrer Omnipotenz
profitieren wollen. Sie benutzen einen römischen Spähertrupp, um ihre
eigene Lebensform fortzupflanzen. Jeder Mann, der erschlafft, wird sofort
getötet.
Unter den Römern befindet sich jemand, der besessen davon ist, seine Potenz
zu beweisen. Er ist berauscht davon, dass sich ihm die Schönheiten endlich
reihenweise unterwerfen. Darüber erkennt er nicht, dass er für sie nur eine
Funktion erfüllt. Er ist so selbstherrlich, dass er seine eigenen Grenzen
nicht sieht. Gerade als er sich seiner Potenz wegen gottgleich vorkommt,
lauert der Kollaps. Die unbegrenzte Eroberung ist bloß ein feuchter Traum.
Das historische Sujet war für Bastien Vivès Neuland. Die Comics, die er
allein zeichnete, kreisen schon ein wenig manisch um Frauengestalten, die
Selbstsicherheit und Eleganz verkörpern. Immerhin konnte er sich da im
zweiten Band austoben. Bei den unterschiedlichen Charakteren der Soldaten
ist die Ausdruckspalette in „Für das Imperium“ deutlich weiter gefächert.
## Kalbsgleich in die Welt schauen
Es zeigt sich, wie wenig Vivès bislang durch den Ausdruck von Gesichtern
erzählt hat. In seinen Porträts verzichtet er größtenteils darauf,
Emotionen zu visualisieren, indem er einzelne Züge herausarbeitet. Die
Gesichter bleiben auch aus der nahen Perspektive sehr flächig. Expressiv
werden sie beinah ausschließlich über die Augen und den Mund. Die
jugendliche Unschuld erkennt man an den Riesenpupillen, die kalbsgleich in
die Welt schauen und von einem Kranz pechschwarzer Haare umrandet sind,
damit sich unser Blickfeld auf sie konzentriert. Beim detailreich
ausgestatteten, für Bastien Vivès bemerkenswert realistischen Setting geht
beinah unter, wie cartoonesk er die Gesichter hier zeichnet.
Expressiv werden die Zeichnungen gerade, wenn Vivès die naturalistischen
Pfade verlässt, um ein Bildkonzept zu verwirklichen. Als der Truppenführer
der Letzte ist, der an das Imperium glaubt, sehen wir, wie seine Haare, die
Brauen und die Augen mit dem Schwarz der Nacht verschmelzen. Das Nichts
legt sich wie ein Helm auf seine Präsenz.
Die Soldaten öffnen sich zum Schluss einem neuen Leben. Nach „Für das
Imperium“ hoffen wir darauf, dass auch Bastien Vivès nun neue Geschichten
ausprobieren wird und nicht bei seinen zeichnerischen Oden an weibliche
Grazie stehenbleibt, für die ihm das Publikum zu Füßen liegt.
## Bastien Vivès, Merwan: "Für das Imperium". Band 1 bis 3. Aus dem
Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2011 bis 2012, je Band
mind. 56 Seiten, ab 12 Euro
6 Aug 2012
## AUTOREN
Waldemar Kesler
## TAGS
Französischer Comic
Graphic Novel
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