# taz.de -- Comic „Ich habe Adolf Hitler getötet“: Zeitreisen und legale A… | |
> Parallelwelten aus Pop und Pulp: Im lakonischen Comic „Ich habe Adolf | |
> Hitler getötet“ geht es um Zeitreisen, Nazis – und eigentlich doch um | |
> etwas ganz Anderes. | |
Bild: Da es 50 Jahre dauert, die Zeitmaschine einmal voll aufzuladen, hat der A… | |
Zeitreisen sind immer ein tolles Erzählmotiv, werfen sie doch einen Batzen | |
storytreibender Elemente und hochphilosophischer Fragen ab: Die Begegnung | |
von Menschen aus verschiedenen Epochen etwa, super geeignet für | |
Gesellschaftskritik oder lustige Missverständnisse. | |
Dann die Frage nach der Veränderbarkeit der Geschichte, die Bedeutung des | |
Schmetterlingseffektes, laut dem kleinste Veränderungen im Früher einen | |
Rieseneinfluss auf das Heute haben können, dazu wunderschöne Paradoxien | |
(darf ich meine eigenen Großeltern erschießen?) und natürlich diverse | |
Parallelwelt- und „Was wäre, wenn“-Gebilde. | |
Mit Parallelwelten kennt sich der norwegische Comicautor Jason aus. Durch | |
nur leichte Verschiebungen der Realitätsmatrix schafft er absurde | |
Szenarien: „Hemingway“ etwa, sein erster beim Berliner Independent-Verlag | |
Reprodukt herausgegebener Band, erzählt, wie sich James Joyce, Ernest | |
Hemingway, Scott Fitzgerald und Ezra Pound im Paris der 1920er | |
durchschlagen müssen – als erfolglose Comiczeichner. Im nun | |
veröffentlichten „Ich habe Adolf Hitler getötet“ zeigt Jason ein Berlin d… | |
1990er, das sich von unserer Welt nur in einem Detail unterscheidet: | |
Auftragsmorde sind legal. | |
So müssen täglich zahllose Menschen sterben, auf der Straße, in Cafés, | |
einfach so, weil gelangweilte Ehepartner, unterdrückte Angestellte oder | |
gierige Erben sich dafür entschieden haben. Mit einer ungeheuren | |
Beiläufigkeit wird dieser Zustand ausgestellt, der von keinem der | |
Beteiligten infrage gestellt wird. Die kennen es nicht anders. | |
Ein brutal kühler Effekt, der durch die entmenschlichten Figuren noch | |
verstärkt wird: Jason bevölkert seine Geschichten mit sich einander sehr | |
ähnelnden Hunden, Wölfen, Hasen und Vögeln mit leeren weißen Augen, alle | |
schlank und gleich groß, die sich allenfalls durch Nuancen in der Mimik | |
voneinander unterscheiden. Anders als aber etwa die symbolbeladene | |
Fabeltierwelt in Art Spiegelmans „Maus“ scheint es keinen Zusammenhang | |
zwischen Tierart und Charakter zu geben. | |
## Doppelter Buzzword-Alarm | |
Auch Jasons namenloser Protagonist, nennen wir ihn der Einfachheit halber | |
Q., arbeitet als Killer. Sein Alltag bietet keine spektakulären Ereignisse: | |
Töten, Kundengespräch, Kneipe, Töten, Schlafen, Töten. Bis ein | |
Wissenschaftler ihn mit einem Spezialauftrag konfrontiert: Er soll Adolf | |
Hitler im Jahr 1938 umbringen und so den Zweiten Weltkrieg ungeschehen | |
machen. | |
Da es 50 Jahre dauert, die Zeitmaschine einmal voll aufzuladen, hat Q. nur | |
einen Versuch – der dummerweise fehlschlägt. Q. wird von Hitlers Schergen | |
überwältigt, Hitler selbst findet die Zeitmaschine, drückt den falschen | |
Knopf und reist ins Jetzt, wo auch ein gealterter Q. plötzlich auftaucht. | |
Das ist nun natürlich doppelter Buzzword-Alarm: zum einen Zeitreisen, die, | |
siehe oben, ganze Generationen von Science-Fiction-Autoren über Wasser | |
halten. Und zum anderen der böse Mann mit dem kleinen Bart und seine | |
hakenbekreuzten Helfer, die nicht totzukriegen sind und in den vergangenen | |
Jahren nochmals einen Schub in ihrer Transformation zum Pop- und | |
Pulppersonal vollzogen haben, etwa in Tarantinos „Inglorious Basterds“ oder | |
dem bald startenden Retrofuturismus-B-Movie „Iron Sky“. In dem überlebt das | |
Dritte Reich auf der erdabgewandten Seite des Mondes. | |
Doch wer jetzt auf ein komplexes Durcheinander von | |
Zeit-hin-und-her-Verfolgungsjagden, Beeinflussungen der Gegenwart, | |
Antworten auf die Frage „Wie verhält sich der 1938-Hitler in der heutigen | |
Zeit?“ oder auf trashige NS-Memorabilia hofft, wird enttäuscht. | |
Kontrafaktische Geschichte, Großvaterparadoxa und den ganzen Rest ignoriert | |
Jason komplett. | |
Und auch Hitler ist nicht mehr als ein MacGuffin, er taucht in der | |
Gegenwart sofort unter und dient nur dazu, das eigentliche Thema | |
voranzutreiben: die ungeklärte Liebe zwischen Q. und seiner Exfreundin. Er | |
verließ sie, kurz bevor er den Hitler-Auftrag annahm, sie hetzte ihm, | |
möglicherweise, einen anderen Auftragskiller auf den Hals. Nun ist Q. im | |
Alter ihres Großvaters und wohnt wieder bei ihr, weil er sonst nirgends | |
unterkommt. Gemeinsam machen sie eine „Jagd“ auf Hitler, die größtenteils | |
aus ereignisarmen Observationen besteht. | |
Es wird viel geschwiegen und Alltag zelebriert bei Jason – was seinen | |
absurden Welten nur noch zu weiterer Legitimität verhilft. Seine Figuren | |
und Geschichten zeichnet eine spröde Sensibilität aus. Genauso nüchtern und | |
streng sind auch die klaren Linien, die flächige, gedämpfte Farbgestaltung, | |
die strenge Seitenstruktur mit stets zwei mal vier Panels, mit denen Jason | |
arbeitet, und der Verzicht auf jegliche Textkästen und Erklärungen. | |
So schafft Jason in „Ich habe Adolf Hitler getötet“ eine geradezu soghafte | |
Lakonie. Und genau dafür kann man diesen Comic mögen – nicht für Hitler | |
oder irgendwelche Zeitreisen. | |
Jason: "Ich habe Adolf Hitler getötet". Aus dem Französischen von Mireille | |
Onon. Reprodukt, Berlin 2012, 48 Seiten, 13 Euro | |
25 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
## TAGS | |
Science-Fiction | |
Graphic Novel | |
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