| # taz.de -- Comicbiografie eines Phantoms: Der Mann, der sich verbarg | |
| > Der französische Zeichner Golo nähert sich der abenteuerlichen Vita eines | |
| > mysteriösen Schriftstellers. "B. Traven. Portrait eines berühmten | |
| > Unbekannten". | |
| Bild: Schwer zu greifende Figur: der Schriftsteller B. Traven, hier an seiner S… | |
| Begibt man sich auf das Terrain eines Meisters der Täuschung, empfiehlt es | |
| sich, ihm mit ebenbürtigen Strategien zu begegnen. Und wenn man eines über | |
| das vielleicht berühmteste Phantom der modernen Literaturgeschichte B. | |
| Traven weiß, dann eben, dass er zu Lebzeiten alles daransetzte, auch nur | |
| die geringsten seiner biografischen Anhaltspunkte systematisch zu | |
| verschleiern. | |
| Für einen Autor, dessen Werke weltweit in einer geschätzten Auflage von 30 | |
| Millionen gedruckten Exemplaren kursieren, der zu späteren Ruhmeszeiten | |
| 1948 zudem als Drehbuchautor bei der Verfilmung seines Romans "Der Schatz | |
| der Sierra Madre" einen Flirt mit Hollywood riskierte und dessen Sympathien | |
| mit den proletarischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts fernab von bloßen | |
| Koketterien in fortgesetztem politischem Engagement mündeten, ein schweres | |
| Unterfangen. | |
| Zum Schluss stößt man auch in der vorliegenden Comicbiographie des | |
| französischen Zeichners und Autors Guy Nadaud, der unter dem Pseudonym Golo | |
| seine Arbeiten veröffentlicht, auf Travens berühmte apodiktische | |
| Selbsterklärung: "Wenn man den Künstler nicht in seinem Werk erkennt, dann | |
| taugt er nichts oder sein Werk hat keinerlei Wert." | |
| Dass in sämtlichen Werken Travens, insbesondere in seinen mexikanischen | |
| Romanen, der Blick auf die ökonomischen, sozialen und politischen Umbrüche | |
| fokussiert ist, noch dazu in einem vergleichsweise eingängigen | |
| belletristischen Stil, verdankt sich nicht zuletzt diesem Credo. | |
| ## Schwarze Balken | |
| Bei seinem Annäherungsversuch geht Golo zwar historisch linear vor. | |
| Allerdings arrangiert er sein Material nicht rund um biografische Eckdaten, | |
| um am Ende des Plots ein vollwertiges Traven-Porträt in Aussicht zu | |
| stellen, wie es der Untertitel suggeriert. | |
| Stattdessen wird uns ein sehr ausdrucksloser Traven präsentiert, die Augen | |
| bloß schwarze Balken, der Mund meist mürrisch nach unten verzogen, seine | |
| Konturen zwischen dickem und dünnem Strich oszillierend - dank dieser | |
| Universal-Eigenschaften eine schwer zu greifende Figur. | |
| Bei defätistischen Vorträgen aus seiner eigenen Zeitschrift Der | |
| Ziegelbrenner im Münchener Künstlerviertel Schwabing 1918 spricht lediglich | |
| eine Silhouette, die dem anwesenden Publikum hingegen, sozusagen im | |
| Einklang mit der Traven-Forschung, als der Schauspieler Ret Marut | |
| (vermutlich eines der Pseudonyme Travens) bekannt ist. | |
| Auch sonst sind es verschiedene, oftmals nicht eindeutige Stimmen, die sich | |
| zur Konturierung vereinen: Mal fungiert Traven selbst als Ich-Erzähler, | |
| dann wiederum erinnert sich seine Frau und immer wieder spricht auch ein, | |
| scheint es, neutraler, dem personalen Erzähler der Literatur nicht | |
| unähnlicher Beobachter. Ein Sammelsurium aus Mutmaßungen und Gewissheiten | |
| entspannt sich. | |
| Dominiert in der Zeit der bayerischen Räteregierung ein geradezu | |
| sozialgeschichtlicher Ansatz, hinter dem Traven, bis zu seiner Flucht 1919, | |
| zugunsten der Machtkämpfe des sozialistischen und bürgerlichen Personals | |
| als Figur verschwindet, so ist er ab der zweiten Hälfte, seiner Zeit in | |
| Mexiko, omnipräsent. | |
| ## Literaturstar inkognito | |
| Die zuvor zum Großteil bloß dreifarbigen, mit Graustufen variierenden | |
| Panels sind nun aquarelliert. Sei es, weil für diesen Zeitraum die | |
| Traven-Forschung weitaus gesichertere Fakten anzubieten hat, sei es, weil | |
| die jene spätere Epoche sukzessiv durchdringenden Perversionen | |
| kapitalistischer Ausbeutung ebenso in unserer Gegenwart angesiedelt sein | |
| könnten, dieses Verfahren wirkt nur bedingt methodisch. | |
| Offensichtlich verlangt das Genre Künstlerbiografie zu viel Akkuratesse, | |
| und so entsteht ein Wechselspiel aus historischer Kontextualisierung und | |
| biografischer Verpflichtung, das im weiteren Verlauf zur unverbundenen | |
| szenischen Einheit gerät: | |
| Traven, der unorthodoxe linke Agitator, der Matrose, der Schriftsteller, | |
| der Baumwollpflücker, der inkognito auftretende Agent und Drehbuchautor und | |
| schließlich also der verschwundene Literaturstar, dessen Asche über den | |
| mexikanischen Urwald verstreut wird. | |
| 23 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Jachmann | |
| ## TAGS | |
| B. Traven | |
| Literaturwissenschaft | |
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