| # taz.de -- Biografie über B. Traven: Erschaffung eines Künstlers | |
| > Der Bestsellerautor hat zeitlebens alles unternommen, um anonym zu | |
| > bleiben. Nun lüftet Jan-Christoph Hauschild B. Travens letzte | |
| > Geheimnisse. | |
| Bild: Eine Aufnahme britischer Behörden von dem Mann, der B. Traven gewesen se… | |
| Auch wenn sie ihn nie persönlich getroffen haben, hätten es die | |
| sozialdemokratisch-sozialistischen Lektoren und Redakteure im fernen | |
| Deutschland eigentlich besser wissen müssen. Da bietet ihnen ein | |
| Schreiberling Anekdoten vom Leben und Arbeiten des einfachen Volkes im | |
| fernen Mexiko an, von denen er vorgibt, sie selbst hautnah erlebt zu haben. | |
| Schreiben tue er nur nebenbei, ansonsten verdinge er sich wahlweise als | |
| „Oelmann“, Farmarbeiter, Apfelsinenpflücker oder Maultiertreiber. | |
| Dass dieser Tagelöhner aber nahezu fehlerfrei deutsch schreibt, nach | |
| Auflagenziffern fragt, um mögliche Honorare abzuschätzen, und sogar | |
| Vorschläge macht, in welcher Schrifttype und mit welchem Zeilendurchschuss | |
| seine Werke erscheinen sollen, wundert in Deutschland keinen. Vielleicht | |
| auch, weil das Bild vom Proleten an der Schreibmaschine so schön zu den | |
| Geschichten passt, die er schreibt, sind seine zwölf Romanen und | |
| zahlreichen Erzählungen doch eine gekonnte, seltene Mischung aus | |
| Abenteuergeschichten und Kapitalismuskritik: Karl May meets Karl Marx. | |
| B. Traven hat Zeit seines Lebens alles unternommen, um anonym zu bleiben. | |
| Der Schriftsteller, dessen Werke in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt | |
| wurden und die auf eine Gesamtauflage von über dreißig Millionen Exemplare | |
| kommen, scheute die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser – | |
| schließlich sei es nur seine Arbeit, die zähle: „Meine Werke sind wichtig, | |
| meine Person ist unwichtig, genauso unwichtig, wie die Person des | |
| Schuhmachers unwichtig ist, der es als seine Pflicht ansieht, gute und | |
| passende Schuhe für die Menschen anzufertigen. Der Setzer, der mein Buch | |
| setzt, ist genauso wichtig für die Kultur wie ich.“ | |
| So schreibt Traven es 1929 von Mexiko aus an seinen Lektor in Deutschland. | |
| Aufgrund dessen Indiskretion gelangen die für ihn bestimmten Zeilen bereits | |
| damals an die Öffentlichkeit, bis heute gelten sie als Beleg für Travens | |
| Bescheidenheit und das von ihm vorgeblich hochgehaltene Ideal der | |
| künstlerischen Namenslosigkeit. | |
| Dass Traven auch handfestere Gründe gehabt haben könnte, um sein wahres Ich | |
| geheimzuhalten, zeigt Jan-Christoph Hauschild in der neuen Biografie „Das | |
| Phantom. Die fünf Leben des B. Traven“. Akribisch und bis ins Detail | |
| zeichnet der Literaturwissenschaftler und Historiker das Leben des | |
| Schriftstellers nach, dessen Erfolg in der eigentümlichen Verbindung von | |
| Bekanntem und vermeintlich Exotischem lag. | |
| Immer wieder hat Traven in der Korrespondenz mit seinen überwiegend | |
| deutschen Partnern, wie dem im Gewerkschaftsumfeld entstandenen Verlag | |
| Büchergilde Gutenberg oder dem sozialdemokratischen Vorwärts, beteuert, | |
| seine Romane und Erzählungen beruhten auf eigenen Erfahrungen, die er | |
| selbst während allerlei abenteuerlicher Unternehmungen gesammelt habe. | |
| Auch deswegen, zeigt Hausschild, hatte Traven ein Interesse daran, seine | |
| wahre Herkunft zu vertuschen: Hätten sich seine Werke ebenso gut verkauft, | |
| wenn das Publikum gewusst hätte, dass er erst seit Kurzem in Mexiko lebt | |
| und B. Traven in Wahrheit das Pseudonym eines „deutschen Revolutionärs“ | |
| ist, wie die Weltbühne bereits 1929 zu Recht vermutet hatte? | |
| ## Schauspieler und Revolutionär | |
| Heute gilt als gesichert, dass Traven und der Schauspieler „Ret Marut“ eine | |
| Person sind. Marut kam Ende 1915 nach München, damals, so Hauschild, „die | |
| mit Abstand liberalste Großstadt des Deutschen Reichs mit einem intensiven | |
| kulturellen und intellektuellen Leben“. So kann auch Marut dort ab 1917 mit | |
| dem Ziegelbrenner eine anarchistische Zeitschrift herausgeben, die trotz | |
| der vielen Kraftausdrücke die – vergleichsweise liberale – Zensur passiert. | |
| Heute gehen Originale der Zeitschrift für dreistellige Preise über den | |
| Ladentisch, doch bereits zu Lebzeiten ist sie beliebt in Antiquariaten, so | |
| dass Marut höchstpersönlich mit vergriffenen Exemplaren handelt und sie | |
| gerne auch mal zum dreißigfachen des ursprünglichen Preises verkauft. | |
| Nach Ende des Ersten Weltkrieges verlässt Marut den Posten eines | |
| Einzelkämpfers, schließt sich der Revolution an und übernimmt in München | |
| schnell die Leitung des Presseamts, später wird er außerdem Vorsitzender | |
| und Sprecher des Revolutionstribunals. Nachdem die Münchner Räterepublik | |
| von Reichswehr und Freikorps blutig niedergeschlagen wurde, wird auch Marut | |
| verhaftet. Seiner standesrechtlichen Exekution kann er sich durch Flucht | |
| entziehen. Die führt den steckbrieflich gesuchten Aktivisten, bevor er in | |
| Mexiko aufschlägt, zunächst nach Kanada und England. | |
| In England macht er, wie Mitte der Siebziger nach Aktenfreigabe | |
| herauskommt, eine Aussage gegenüber Scotland Yard. Dort gibt er an, in | |
| Wirklichkeit Hermann Otto Albert Max Feige zu heißen – denn auch Ret Marut | |
| ist wie B. Traven nur ein weiteres Pseudonym ein und derselben Person. Nur | |
| durch diese seine eigene Aussage gilt die wahre Identität B. Travens heute | |
| als gesichert. | |
| Vielleicht bildet Traven aka Feige sein erstes Pseudonym Ret Marut als | |
| Anagramm aus der Aufforderung „Ratet rum!“, wie Hausschild vermutet. Auch | |
| die Wörter „Armut“ und „Traum“ lassen sich daraus bilden. Zufall? Absi… | |
| wäre plausibler, stammt Feige, der es mit seinem organisatorischen Talent | |
| zum erfolgreichen Gewerkschaftsfunktionär bringt, doch aus proletarischen | |
| Verhältnissen. | |
| ## Gelöschte Existenz | |
| Hausschild: „Als gleichsam symbolische Bekräftigung der Künstlerexistenz | |
| erleichtert der fremd und geheimnisvoll anmutende Name dem Unbekannten den | |
| Einstieg ins Schauspielfach. Denn viel mehr hat er nicht anzubieten: Weder | |
| kann er auf eine künstlerische Familientradition verweisen, noch verfügt er | |
| über entsprechende Referenzen; seine Bühnenkompetenz hat er sich selbst | |
| erarbeitet. Ret Marut ist allerdings mehr als bloß ein Pseudonym. Dem | |
| Namensträger geht es um die Konstruktion eines Künstlers. Das Einzige, was | |
| seinem Wunsch nach Selbstverwirklichung im Weg stehen kann, ist Widerstand, | |
| der sich aus der Kenntnis seiner Vergangenheit speist. Also erschafft er | |
| sich eine neue, löscht seine bisherige Existenz radikal aus, vernichtet | |
| alles, was auf sein bisheriges Leben verweist, und versieht sich mit einer | |
| neuen, bald sogar behördlich anerkannten Identität: Ret Marut, | |
| Schauspieler, geboren am 25. Februar 1882 in San Francisco.“ | |
| Seinen vorgeblichen Wohnort hat er dabei mit Bedacht gewählt: In San | |
| Francisco sind während des Erdbebens von 1906 und der folgenden Brände | |
| sämtliche amtlichen Urkunden vernichtet worden – davon weiß man seinerzeit | |
| auch in Deutschland. Doch Otto Feige belässt es nicht bei Ret Marut und B. | |
| Traven. Auch hinter Traven Torsvan und Hal Croves steckt mit an Sicherheit | |
| grenzender Wahrscheinlichkeit kein anderer als der ehemalige | |
| Gewerkschafter. Als Hal Croves gibt Traven sich aus, um über die Filmrechte | |
| an Travens Werken zu verhandeln. Und selbst am Set der erfolgreichen | |
| Blockbuster taucht er auf. | |
| Natürlich gibt es in all den Jahren immer wieder Situationen, in denen | |
| Feige-Marut-Traven-Torsvan-Croves kurz vor der Entlarvung steht, mehrfach | |
| liegen Arbeitskollegen und Weggefährten mit Mutmaßungen ziemlich nahe an | |
| der Wahrheit, verfolgen investigative Journalisten mit kriminalistischen | |
| Methoden und Bestechung heiße Spuren. Doch in der Regel wirft Traven im | |
| richtigen Moment eine neue Nebelkerze, streut Gerüchte und veröffentlicht | |
| Halbwahrheiten, um Spuren zu verwischen – vielleicht auch, um das Interesse | |
| an seiner Arbeit aufrechtzuerhalten. | |
| Das Verdienst von Hausschild ist, Orientierung in den verworrenen Pfaden | |
| eines Lebens zu geben, das trotz viel Flunkerei Abenteuer genug war. In | |
| weiten Teilen liest sich „Das Phantom“ wie ein Krimi. Die Nicht-Fans könnte | |
| der detektivische Detailreichtum der Biografie allerdings erschlagen; ihnen | |
| sei der Griff zu einem von Travens Werken empfohlen. | |
| 31 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Tilmann Ziegenhain | |
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