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# taz.de -- Graphic Novel über Palästina: Traum von einem gemeinsamen Staat
> Maximilien Le Roys Comic „Die Mauer“ erzählt von der Konfrontation in
> Israel und Palästina. Er ist arg ideologisch, zeichnerisch aber reizvoll.
Bild: Szene aus „Die Mauer“.
Mahmoud ist ein junger Palästinenser, Audrey eine junge Französin. Sie
wollen sich in Beer Sheva treffen. Für Audrey ist das kein Problem, da sie
mit ihrem Ausländervisum überallhin reisen darf. Er aber, der in einem
Lager im Westjordanland lebt, muss sich Schmugglern anvertrauen, um die
Mauer, die Israel abriegelt, zu überwinden. Bei seiner Heimkehr wird
Mahmoud von israelischen Soldaten erwischt. Sie werfen ihn zu Boden,
verhören ihn. Werde er noch einmal beim illegalen Grenzübertritt erwischt,
drohe ihm Gefängnis.
„Die Mauer“ ist eine eher ungewöhnliche Graphic Novel. Der französische
Comic-Künstler Maximilien Le Roy hat den gleichaltrigen Mahmoud Abu Srour
vor vier Jahren bei einem Workshop, der in einem palästinensischen
Flüchtlingscamp stattfand, kennengelernt. Aus der Begegnung erwuchs eine
Freundschaft, die dazu geführt hat, dass Le Roy sich in „Die Mauer“
konsequent zum Sprachrohr Mahmouds macht: Das Ich, das hier von seinen
Erfahrungen berichtet, ist im buchstäblichen Sinne ein anderer.
Der Alltag Mahmouds ist von bedrückender Monotonie. Seine Arbeit in dem
bescheidenen Lebensmittelladen, in den kaum Kunden kommen, ist eher ein
Totschlagen von Zeit. Im Grunde lebt er in einem Gefängnis, ähnlich dem
kleinen Vogel, der ihm, in einen engen Käfig gesperrt, Gesellschaft
leistet.
So bleibt ihm nur die Flucht in die Welt von Kunst und Fantasie: Mahmoud
liest Shakespeare und die gefühlvollen Gedichte des französischen
Romantikers Alphonse de Lamartine. Ein paar der Zeichnungen, die er auf dem
Block, den er immer mit sich trägt, verfertigt hat, sind im Geschäft
aufgehängt. Doch niemand würdigt sie eines Blickes. „Die Mauer“ gibt
Mahmoud aber auch Gelegenheit, seine explizit politischen Ansichten zu
äußern. Und hier hat der Comic durchaus seine irritierenden Momente.
Einerseits ist Mahmoud alles andere als ein Fanatiker. Die
palästinensischen Selbstmordanschläge lehnt er strikt ab, nicht nur aus
strategischen, sondern auch aus moralischen und religiösen Gründen: Der
Islam verbiete „das willkürliche Töten“ von Unschuldigen. Außerdem hat
Mahmoud, bevor die Mauer gebaut wurde, mehrere Jahre in Israel gelebt und
damals Freundschaften geschlossen. Seitdem träumt er von „einem gemeinsamen
Staat, in dem Muslime, Juden, Christen und Atheisten gleichberechtigt
zusammenleben“.
## Krude Rhetorik des Antiimperialismus
Andererseits verfällt Mahmoud mitunter in eine problematische
antiimperialistische Rhetorik. Da wird mit vagen Formulierungen „eine
gemeinsame Sache“ von Islam und Marxismus beschworen. Da wird Che Guevara
als Idol gehuldigt und der kubanische Revolutionär auf eine Weise
abgebildet, die an Jesus erinnert, der vor Pilatus geführt wird.
Die Grenze zur Infamie überschreitet der Comic in seiner Deutung des 11.
September. Nach Attacken gegen den israelischen und US-amerikanischen
„Staatsterrorismus“ zeigt eine Seite zunächst Colin Powell, der das winzige
Modell einer Bombe in der Hand hält, und darunter die Skyline von Manhattan
mit den Twin Towers, versehen mit dem Satz: „Die Wolke trägt das Gewitter
in sich.“ Mit anderen Worten: Schuld an 9/11 haben der Westen und die Juden
selbst. 9/11 als Aufschrei der Unterdrückten – eine einfältige und zynische
Interpretation.
Stark unterbelichtet bleibt im Vergleich dazu die Kritik an der arabischen
Gesellschaft. Deutlich wird sie nur im Leitmotiv der quälenden sexuellen
Frustration, das den ganzen Band durchzieht. Die attraktiven
Ausländerinnen, denen Palästinenser Mahmoud begegnet, bleiben unerreichbar.
Und sein Bordellbesuch, den er vor Jahren in Tel Aviv gewagt hat, war eine
einzige Peinlichkeit: „Ich habe für 30 Minuten bezahlt. Ich blieb wie
gelähmt am Bettrand sitzen. Die Religion hatte durch K.o. gesiegt.“
Gezeichnet ist dies alles wunderbar. Manche Seiten sind in Schwarzweiß
gehalten. Behutsame Schraffuren ergänzen sorgfältige Konturen.
Schockierende Erfahrungen und erotische Fantasien werden mit Buntstiften
surreal in Szene gesetzt.
Im größten Teil der Graphic Novel dominiert aber ein etwas depressives
Gelbgrün; eine Farbe, die mehr über Mahmouds Leben aussagt als viele Worte.
Le Roy besitzt einen Sinn für Schönheit und Eleganz, der nie in Kitsch
umschlägt und sich in den verschiedenen Stilen, die er einsetzt,
gleichermaßen bewährt. So ist „Die Mauer“ ein Comic, der den Leser
zwiespältig gestimmt zurücklässt: Wunderbare Bilder dienen hier einer
Sache, an der einige Zweifel anzumelden sind.
## "Die Mauer. Bericht aus Palästina". Aus dem Französischen von David
Basler. Edition Moderne, Zürich 2012. 104 Seiten, 19,80 Euro
20 May 2012
## AUTOREN
Christoph Haas
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