# taz.de -- Protest gegen Spionage: „Team Edward“ kommt zu Besuch | |
> Am US-Armeestützpunkt „Dagger Complex“ demonstrieren Aktivisten gegen | |
> Überwachung. Dazu aufgerufen hat ein angehender Fachinformatiker. | |
Bild: Mit Bollerwagen, Basteleien und Bier: Im Namen des „NSA-Spion-Schutzbun… | |
GRIESHEIM taz | Und plötzlich steigt unter dem Jubel der Menge eine Drohne | |
auf. Dort steht sie nun ungelenk und zerbrechlich am blauen Himmel. Ihr | |
macht sichtlich die ungewohnte Last einer kleinen Kamera zu schaffen, deren | |
Bilder bald im Internet zu sehen sein werden: Eine Doppelreihe aus | |
Stacheldraht, Baracken, Parkplätze, ein paar einstöckige Gebäude hinter den | |
Bäumen, auffällig große Lüftungsschächte, keine Menschen. | |
Das ist der sogenannte „Dagger Complex“ der Streitkräfte der Vereinigten | |
Staaten, sein größter Teil soll unter der Erde verborgen sein. Schließlich | |
beherbergt die klandestine Einrichtung südlich des hessischen Städtchens | |
Griesheim bei Darmstadt gleich mehrere militärische Nachrichtendienste und | |
gilt als zentraler Stützpunkt der NSA in Europa. | |
Rund 1000 Soldaten sollen hier im Schichtbetrieb mit dem Abhören | |
beschäftigt sein, und wenigstens eines der scheuen Geschöpfe hätte Daniel | |
Bangert, 28, gerne mal gesehen. | |
Deshalb lud er am 13. Juli via Facebook zu einem ornithologischen | |
Spaziergang zum Gehege: „Ganz nach dem Vorbild der von uns geschützten Art, | |
der NSA-Spione, wollen wir uns an den Ort des Geschehens begeben. Vor Ort | |
können wir dann gemeinsam den bedrohten Lebensraum der NSA-Spione | |
erforschen und uns über ihre Tages- und Nachtbeschäftigungen austauschen. | |
Wenn wir ganz viel Glück haben, bekommen wir vielleicht sogar einen echten | |
NSA-Spion mit unseren eigenen Augen zu sehen.“ | |
Wer reagierte, war die Polizei, wahrscheinlich informiert von den Spionen | |
selbst – schließlich ist auch Facebook integraler Bestandteil der | |
Überwachungsmaßnahmen. | |
Was er denn mit seiner Aktion bezwecke, ob er Kontakt zu Radikalen habe, | |
solche Sachen wollten die Beamten wissen. „Die waren aber ganz entspannt“, | |
sagt Bangert der taz, „und klärten mich über das Versammlungsrecht auf“. | |
Das hat er dann auch wahrgenommen. | |
## Vereinzelt laufen Piraten mit | |
Zum ersten, korrekt als Demonstration angemeldeten Spaziergang kamen 70 | |
Leute. Jetzt, für das fast gleichlautend angekündigte „Picknick“ am | |
vergangenen Samstag, waren es „schon so 200 oder 300“, wie Bangert schätzt: | |
„Vielleicht lassen sich die Spione durch den Duft diverser Köstlichkeiten | |
aus ihrem Bau locken.“ Die Polizei geht eher von „450 bis 500 Teilnehmern“ | |
aus, „aber wir zählen die natürlich nicht alle“. | |
Eine letzte Absprache mit dem Ordnungshüter, eine letzte Unterschrift, dann | |
klettert Daniel Bangert auf die schreckliche Brunnenskulptur auf dem | |
Markplatz in Zentrum von Griesheim. Er trägt sein weißes „Team | |
Edward“-T-Shirt und wirkt geschmeichelt, aber auch ein wenig | |
eingeschüchtert von der Menge, die er mit seiner Idee angezogen hat. | |
Mit dem Megaphon erläutert er, dass die Polizei den Zug zum „Dagger | |
Complex“ begleiten werde und bittet, dass niemand durch das | |
gegenüberliegende Naturschutzgebiet trampelt oder in die Vorgärten pinkelt. | |
Sichtbar sind jeweils nur sechs oder sieben Polizisten, für Aufregung | |
sorgen eher die vielen Kamerateams von ARD über ZDF bis RTL. | |
Übertragungswagen brüten auf Feldwegen einsam in der Hitze. | |
45 Minuten dauert der Spaziergang durch die pralle Sonne, zuerst an | |
Einfamilienhäusern mit grillenden Familien vorbei, dann hinaus aufs offene | |
Feld. Kinder sind zu sehen und Senioren, ein paar Guy-Fawkes-Masken, | |
Tätowierungen und Behinderte, die von ihren Betreuern begleitet werden. | |
Es gibt aus Schuhkartons gebastelte „Spy TV“-Kameras, „Asyl für | |
Snowden“-T-Shirts, Transparente gegen den Krieg und Pappschilder mit der | |
Aufschrift: „Wer nichts zu verbergen hat, ist langweilig“. Vereinzelt | |
laufen Piraten mit und Mitglieder der Linken, deren angekündigte Teilnahme | |
im Vorfeld für Unmut gesorgt hatte. | |
Der politische „Trittbrettfahrer“ trägt ein Oscar-Lafontaine-Hemd und ein | |
paar marxistische Broschüren, damit hat es sich, alles halb so wild. Und | |
der Mann da mit der dicken Sonnenbrille und dem auffällig gut erzogenen | |
Schäferhund? Garantiert ein Zivilbulle! Der heiteren Stimmung tut das | |
keinen Abbruch, aus einem Soundsystem erklingen in dezenter Lautstärke | |
Reggae und Punk. Schüsse aus der Wasserspritzpistole sorgen für die nötige | |
Erfrischung. Eine Familie auf Fahrradausflug kommt entgegen, hält an und | |
diskutiert, ob man sich dem Zug anschließen solle. Der Vater plädiert | |
dafür, die halbwüchsige Tochter dagegen: „Bist du irre, bei der Hitze?“ | |
Ein paar Meter weiter bemüht sich die Dame vom ZDF vergeblich, einen | |
Demonstranten vor ihr Mikro zu bekommen: „Sie fotografieren uns, wir filmen | |
Sie, wäre das was?“ Wäre es wohl nicht. „Wir sind hier wohl ein Feindbild… | |
stellt sie fest, „sowas wie der Staatsfunk. Aber die Leute bleiben | |
freundlich.“ | |
## Warmes Bier zum Picknick | |
Besonders belagert wird natürlich der Initiator. Bangert spricht mit den | |
Reportern, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Dass manche in Griesheim | |
ihn einen „Spinnerten“ nennen, kümmert ihn kaum: „Alle, alle finden das … | |
und machen mit, nicht nur meine Freunde, auch die Eltern meiner Freunde.“ | |
Was er bedauert: „Eigentlich wollte ich in diesen zwei Wochen im Sommer | |
mein Motorrad über den TÜV bringen, aber daraus wird wohl nichts.“ Den | |
Film, der da stattdessen gerade abläuft, genießt er aber dennoch: „Der | |
Wahnsinn, klar. Das zeigt aber nur, wie nötig es ist, sich nicht alles | |
gefallen zu lassen.“ | |
Dann erreicht der Zug den Komplex. Es wird viel fotografiert und | |
gefachsimpelt: „Siehst du die Lüftungsschächte da?“ – „Ja, ich kenne … | |
Gegend hier, das geht unterirdisch noch viel weiter!“. In einer Kabine | |
hinter dem verschlossenen Haupttor sind Soldaten erkennbar, zwei bewaffnete | |
Flecktarnträger auf Patrouille werden bejubelt („Da ist einer! Ich sehe | |
einen!“), ziehen sich aber rasch zurück. | |
Picknickdecken werden ausgebreitet, Sonnenschirme aufgespannt und Gespräche | |
geführt. Unter einer Linde hockt ein älterer Teilnehmer mit Pferdeschwanz, | |
beschwert sich über die „anerzogene Gewaltfreiheit der deutschen Jugend“ | |
und schwadroniert über die Schuldfrage. Er ist froh, ein Publikum zu haben, | |
auch wenn das zaghaft wirderspricht. Vor dem Schild mit der Aufschrift | |
„Welcome to the Dagger Complex“ verliest ein Aktivist eine Rede mit vielen | |
Anlehnungen an Eisenhowers berühmte Warnung vor dem | |
„militärisch-industriellen Komplex“. | |
## Der Techniker zieht wieder ab | |
Die meisten Teilnehmer aber wahren den ursprünglichen und satirischen Geist | |
der Veranstaltung, klappen vis-à-vis der Barriere ihre Campingstühle auf, | |
holen das Bier aus dem Rucksack, „schön warm!“, und prosten den | |
unsichtbaren Amerikanern zu. | |
Kleine Mädchen flechten Sonnenblumen in den Zaun. Nur ein älterer Herr – | |
Typ pensionierter Erdkundelehrer – lehnt sich mit beiden Armen direkt ans | |
Tor und rüttelt in gewissen Abständen. Das hat etwas passiv-aggressives, | |
und so faucht er auch den Einsatzleiter der Polizei an, er solle nicht mit | |
ihm sprechen, das sei sein Recht. | |
„Da bin ich aber anderer Meinung“, meint der Polizist. Später steht da mit | |
laufendem Motor ein Kleinwagen, und der Polizist telefoniert mit seinem | |
Verbindungsmann hinter dem Zaun: „Hier steht ein Techniker mit einem roten | |
Fahrzeug, der würde gerne rein.“ Ob man es wagen könne, zu diesem Zwecke | |
kurz das Tor zu öffnen? Nein, kann man nicht. Der Techniker zieht im | |
Rückwärtsgang ab, den Demonstranten freundlich winkend. Die Drohne steigt | |
auf. | |
Nach zwei Stunden löst sich das Picknick langsam auf, machen sich die | |
ersten Teilnehmer auf den Rückweg in die Stadt. Wir treffen hier wieder den | |
Herrn mit dem auffällig gut erzogenen Schäferhund. Er erzählt, er sei | |
eigens aus Wetzlar angereist, „das ist ein gutes Stückchen“, weil er „mal | |
selbst Überwachung gemacht“ habe: „Wenn Leute sagen: Das sind nur | |
Meta-Daten, dann ist das gefährlich.“ | |
Als Chef einer Reinigungsfirma hatte er „aus Jux“ einmal die nackten | |
Stechkartendaten seiner Angestellten in einen Computer eingegeben, mehr | |
nicht: „Und da habe ich aber gestaunt, was ich alles über meine Mitarbeiter | |
erfahren habe. Das war schon unheimlich.“ | |
21 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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