Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tierbefreier-Kongress in Potsdam: Mastanlagen sollen brennen
> Mastanlagen sollen brennen, Tierschützer ist ein Schimpfwort und mit
> „Fleischlinken“ will man nichts zu tun haben – zu Besuch beim
> Tierbefreier-Kongress.
Bild: Das Bedürnis, etwas zu tun: Veggie-Parade in Berlin
Im Schneidersitz hocken sie unter dem Baum und hören Jörg Bergstedt zu. Er
habe ja regelmäßig „Genmaisfelder genietet“, erzählt der
Öko-Radikalaktivist. Das hätten anfangs selbst die Umweltverbände
verurteilt. „Und heute? Heute wollen alle bei unseren Aktionen mitmachen
und wir geben den Ton der Debatte an.“ Nun, sagt Bergstedt, müsse sich das
auf die Tierbefreiung übertragen.
Es ist „Tier-/Totalbefreiungskongress“ in Potsdam. Rund 60 Aktivisten aus
dem ganzen Bundesgebiet sind auf das „freiLand“ gekommen, ein
selbstverwaltetes Barackengelände. „Go vegan“, fordert ein Banner vor dem
kleinen Zeltplatz. Dazwischen laufen vor allem Mittzwanziger, Frauen wie
Männer. „Sea Sheperd“ oder „Animal Liberation“ steht auf ihren schwarz…
Shirts. Einige haben ihre Kinder dabei. Hunde springen über Bierbänke.
Unangeleint, natürlich.
Vier Tage lang diskutieren die Aktivisten in Potsdam über „Tierschutzmafia“
oder „tierleidfreie Koexistenz mit Hunden“: Eine der raren Chancen, die
eher öffentlichkeitsscheuen Widerständler zu treffen – es ist ja nicht so,
also ob ihr Protest vom Gesetzbuch gedeckt wäre.
Mai 2013: Hochsitz in Lanke zerstört. „Jagd ist Mord!!!“, heißt es im
Bekennerschreiben. März: Jägerschießstand in Hartenholm sabotiert. Januar:
Pelzladen in Berlin mit roter Farbe beschmiert. November 2012: Drei leere
Hühnermastanlagen in Meppen angezündet. Im gleichen Monat: Zwei Raben aus
Leipziger Wildpark befreit.
## Sympathie für Aktionen ist Konsens
„Direkte Aktionen“ nennen sie das im Potsdamer Camp. Die Tierbefreier haben
einen eigenen Workshop dazu, geleitet von Bergstedt. „Erregungskorridore
nutzen“, wirbt der 48-jährige Gießener. „Wir schaffen Aktionen, über die
alle reden. Dann hast du die Debatte.“ Nicht alle auf dem Kongress
beteiligen sich an den „direkten Aktionen“. Aber die Sympathie dafür ist
Konsens.
Draußen auf der Wiese oder in den Räumen des Alternativzentrums wird
diskutiert. Zum Frühstück gibt‘s Brot und Tofuwurst, zum Mittag
Bratkartoffeln mit geraspelten Möhren und Radieschen. Vegan, wie alles
hier. Geschirr wird selbst gespült. Nebenan auf dem Infotisch liegt die
„Blockadefibel“: „Betonblöcke, Anketten, Hüttendörfer“. Elias ist ei…
derjenigen, der das auch in die Tat umsetzt. Ein unscheinbarer
Mittdreißigjähriger, großgewachsen, Hände in den Jeanstaschen. Bei seiner
ersten Tierbefreiung vor zehn Jahren sei er mit 14 Leuten in eine
Hühnermastanlage, erzählt er. „Der Gestank war unerträglich.“
Vor allem kranke Tiere hätten sie in ihre Bananenkisten gepackt und solche,
die es irgendwie aus ihren Käfigen geschafft hatten. „Die wären zum
Verdursten verdammt gewesen.“ Die Hühner brachten sie auf ein befreundetes
Gehöft und zu „Lebenshöfen“. Dort, sagt Elias, könnten die Tiere als „…
Individuen“ leben. „Es ist herrlich zu sehen, wenn sie wieder Gefieder
bekommen und Sandbäder nehmen.“
Elias heißt eigentlich anders. Seinen richtigen Namen lässt er lieber
ungenannt. Der Verfassungsschutz habe die Bewegung im Blick, sagt er. Nur
soviel: Philosophiestudent, nebenbei betreue er Behinderte. Momentan aber
sei er vor allem Aktivist. Man könne nicht gegen Unterdrückung sein, aber
bei Tieren sich nicht dafür interessieren.
## Veganes Leben ist Trend
Jede größere Stadt habe inzwischen eine Tierbefreiergruppe, sagen sie im
Camp. Der Zeitgeist verspricht Zulauf für die Aktivisten: Veganes Leben
wird zunehmend zum Trend. Deutsche Großstädte bieten vegane Restaurants und
Modeläden. An die Universitäten schwappen aus den USA die „Human Animal
Studies“, die interdisziplinär das Verhältnis zwischen Mensch und Tier
untersuchen. Und die Tierbefreier bieten nicht nur den radical chic,
sondern auch Adrenalin. Auch Elias räumt ein, dass ihn anfangs der
„Eventcharakter“ der Stalleinbrüche gereizt habe. Natürlich änderten ein
paar entwichene Hühner wenig. „Es geht um das Symbol.“
Auf dem Kongress berichten sie über Aktionen für Schweine, Nerze oder
Thunfische. Alle Tiere, die Leid empfinden könnten, hätten ein Recht auf
Unversehrtheit, ist das Credo. Die heutige Gesellschaft mache sie
stattdessen zu Produkten. Noch, sagt Elias sei die Gleichstellung von
Tieren vielleicht Utopie. „Aber das war es bei Sklaven oder Frauen auch
mal.“
Und die Hunde der Aktivisten? Die Frage wird kontrovers diskutiert. Fast
alle kämen aus Tierheimen, verteidigen sie sich aber auf dem Kongress. „Bei
uns haben sie jedenfalls ein besseres Leben als dort“, sagt eine Frau.
Elias und einige andere beherzigen die Gleichstellung auch sprachlich,
reden von „nichtmenschlichen“ und „menschlichen Tieren“. Und meinen mit
Letzterem sich selbst. In diesen Momenten sind die Tieraktivisten wieder
denkbar weit entfernt von einer deutschen Gesellschaft, die immer noch zu
Dreivierteln erklärt, kein Problem mit ihrem Fleischkonsum zu haben.
## Krude KZ-Vergleiche
Selbst in der linken Szene gelten die Tierbefreier vielfach als
Sonderlinge, denen es vor allem ums identitäre Wohlbefinden geht.
Gleichmacherei, Antihumanismus, krude KZ-Vergleiche, lautet die Kritik.
Obwohl der Kongress nur wenige Kilometer von Berlin stattfindet, der
Hauptstadt jeglicher Subkulturen, bleiben die Tierbefreier unter sich.
In Potsdam versucht man sich der Kritik zu stellen, diskutiert „Rassismus
in der Tierrechtsbewegung“. Die Tierschützer von Peta, die mit nackter Haut
gegen Pelze protestieren, nennen sie hier „Sexisten“. Die Befreier sehen
sich als Teil der Linken. Der „soziale Kampf“ gegen Tierausbeutung stehe
neben denen gegen Rassismus oder Sexismus.
Und trotzdem wird sich abgegrenzt: „Fleischlinke“ schmähen sie die
alternativen Nicht-Veganer und deren „Doppelmoral“. Auch „Tierschützer“
gilt hier als Schimpfwort. Wer sich bloß für „artgerechte Haltung“
einsetze, heißt es im Camp, ändere an der grundsätzlichen Unterdrückung der
Tiere nichts. Bei aller Warmherzigkeit für Küken und Kaninchen: In die
Bewegung hinein gilt Härte.
Auch Hendrik Haßel, der mit seiner Gruppe „Animal Equality“ zu den
moderateren Vertretern auf dem Kongress gehört, hält nichts von
Kompromissen. „Man kann Tiere nicht nur ein bisschen ausbeuten. Das ist
eine Grundsatzfrage.“ Haßel ginge auch als BWL-Student durch. Rahmenlose
Brille, Langarmshirt. Auf dem Kongress hält er seinen Vortrag vom
Apple-Laptop.
## Tote Enten vorm KaDeWe
Er habe schon immer etwas verändern wollen, sagt Haßel. „Und es gibt nichts
Schlimmeres, als das, was in den Schlachthäusern passiert.“ Auch der
gelernte Erzieher ist derzeit Vollzeitaktivist. Seine Gruppe bekennt sich
zur Gewaltfreiheit. Keine Sachbeschädigungen, keine Einbrüche. In Baden
Württemberg kämpfen sie gegen die Schimpansenshow im Schwabenpark, der
letzten in Deutschland. Auf Marktplätzen stellen sie geschlachtetes Fleisch
zur Schau. Die Helden der Kongressteilnehmer gehen weiter: Die vermummten
Klandestinen der „Animal Liberation Front“ etwa, die nachts Nerzfarmen
aufbrechen oder Buttersäure in Tierlabore kippen. Kaum verhohlen wird sich
im Camp gewünscht, „dass noch mehr Mastanlagen brennen müssten“.
In Deutschland beobachten Sicherheitsbehörden die Tierbefreier. In
Österreich wurden Aktivisten wegen der Bildung einer kriminellen
Organisation vor Gericht gestellt. Angst vor Strafverfolgung hat im
Potsdamer Camp dennoch kaum jemand. Das Betreten der Ställe sei meist nur
Hausfriedensbruch, heißt es. Und Hühner kosteten ja kaum mehr als einen
Euro.
Auch Hendrik Haßel will demnächst wieder aktiv sein. Vors Berliner
Edelkaufhaus KaDeWe wird seine Gruppe ziehen, den Kunden geschlachtete
Enten entgegenhalten – solche deren Stopflebern drinnen in den Regalen
liegen.
4 Aug 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Vegetarismus
Schlachthof
Massentierhaltung
Tierschutz
Veganismus
Pelz
Tierschutz
Tierschutz
Nordrhein-Westfalen
Küken
München
Vegetarismus
Die Welt
Vegetarismus
Krimiserie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nerzfarm in Schleswig-Holstein ist dicht: Die Käfige sind leer
Die letzte Pelzfarm in Schleswig-Holstein macht freiwillig dicht. Dabei
hatte sich die Farm jahrelang gerichtlich gegen Tierschutz-Auflagen
gewehrt.
Attacken gehen zurück: Tierschützer seltener im Stall
Immer weniger Ställe von Aktivisten angezündet oder beschädigt. CDU dennoch
besorgt. Landesregierung will nicht auf V-Leute verzichten.
Aktivist Karl-Caspar Linde über die Mittel des Protests: „Die Gewalt passier…
Nachdem die Braunschweiger Tierbefreiungsbewegung einen mutmaßlichen
LKA-Spitzel in ihren Reihen enttarnt hat, sitzt der Schock tief.
Artisten verprügeln Aktivisten: Manege frei für auf die Fresse
Tierrechtsaktivisten wollten vor einem Zirkus demonstrieren. Dann kamen die
Artisten – und es gab tüchtig Haue. Nur der Clown hielt sich raus.
NRW ändert Hühnerzuchtbedingungen: Massentötungen werden untersagt
In Deutschland werden jedes Jahr rund 50 Millionen männliche Eintagsküken
umgebracht. NRW hat dieses Vorgehen der Züchter als erstes Bundesland
untersagt.
NRW sucht Legehennen-Küken-Lösung: Mästen statt Schreddern
Der Agrarminister in NRW droht, in einem Jahr die Tötung männlicher
Legehennen-Küken zu verbieten. Doch was wird dann aus den Tieren?
Oktoberfest in München: Wenn die Wiesn vegan wird
Auf dem Münchner Oktoberfest werden erstmals Gerichte serviert, die völlig
auf tierische Produkte verzichten. Die Wirte haben einen neuen Markt
entdeckt.
Versteckte tierische Inhaltsstoffe: Schluss mit Schweinesaft
Für die Kennzeichnung tierischer Bestandteile in Lebensmitteln gibt es
keine gesetzliche Regelung. Nun sorgen erste Hersteller für mehr
Transparenz.
Marusha über Angela Merkel: „Sie hat 80 Millionen Kinder“
Angela Merkel kann nicht zaubern wie Harry Potter, dennoch ist Marusha ihr
größter Fan. Die DJane hat der „Welt“ das bizarrste Interview des Jahres
gegeben.
Kolumne Das Schlagloch: Alles ist vurscht!
Im Internet kursiert viel Quatsch, und es gibt kein Zaubergemüse gegen
Krebs. Aber in der veganen Bewegung ist Platz für Dicke und Dünne, Glatte
und Faltige.
„taz“auf der Leipziger Buchmesse: Schwule Mädchen und die falsche Seife
Grundeinkommen, Midlifecrises und Fuck-Buddies: Marina Weisband, Eva
Menasse und Martin Reichert stellen ihre Bücher am taz-Stand vor.
Neue ARD-Serie „Zwischen den Zeilen“: Der Horst und die Wurst
Die neue ARD-Krimikomödienserie „Zwischen den Zeilen“ hätte die Medienkri…
fiktional aufarbeiten können. Doch das Thema wird gnadenlos versenkt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.