| # taz.de -- Oktoberfest in München: Wenn die Wiesn vegan wird | |
| > Auf dem Münchner Oktoberfest werden erstmals Gerichte serviert, die | |
| > völlig auf tierische Produkte verzichten. Die Wirte haben einen neuen | |
| > Markt entdeckt. | |
| Bild: Oktoberfest für jeden Geschmack: Auf der Wiesn gibt es auch vegane Speis… | |
| MÜNCHEN taz | „Was gibt’s heuer auf der Wiesn?“, dachte sich Dieter Reit… | |
| der Münchner Wirtschaftsreferent, seines Zeichens zuständig für das | |
| Münchner Oktoberfest. „Kasspatzn ohne Kas? Wia geht’n des?“ | |
| Reiter ist als Wirtschaftsreferent der Landeshauptstadt auch traditionell | |
| der Veranstalter des größten Volksfests der Welt, ein | |
| „16-Tage-ununterbrochen-auf-der-Wiesn-sein-Müsser“, wie er selbst von sich | |
| sagt. Vier Jahre in Folge macht er diesen Job nun schon, aber so etwas | |
| hatte er noch nie gehört. | |
| „Natürlich stand bereits in der Beschlussvorlage für den Stadtrat, dass es | |
| in diesem Jahr veganes Essen auf der Wiesn geben würde“, sagt Reiter. „Aber | |
| das war mehr eine Randnotiz, die niemand so recht wahrgenommen hat.“ Erst | |
| Ende Juli, bei der alljährlichen Pressekonferenz, auf der die Neuheiten auf | |
| dem Oktoberfest vorgestellt werden, führten Reiters Mitarbeiter aus, was | |
| das genau bedeutet. Nämlich zum Beispiel besagte Kasspatzn ohne Kas. | |
| „Das war für mich erst mal relativ schwierig verständlich“, erklärt Reit… | |
| „das Oktoberfest ist ja nun nicht gerade bekannt für gesunde, fleischlose | |
| Kost.“ Hendl, Ochsenbraten und Steckerlfisch, das sind die traditionellen | |
| Speisen, die es auf der Wiesn gibt. 522.821 Hühner wurden allein 2011 auf | |
| dem Oktoberfest verspeist. Dazu 118 ganze Ochsen. | |
| ## Beim Bier gab es noch nie Probleme | |
| Veganer, die auf tierische Produkte in der Nahrung, wie Fleisch und Fisch, | |
| aber auch Milchprodukte und Eier verzichten wollten, mussten sich bislang | |
| mit gebrannten Mandeln, Radi und Brezen begnügen. Wenigstens beim Bier gab | |
| es noch nie Probleme. Nach dem bayerischen Reinheitsgebot gebraut, besteht | |
| es nur aus Wasser, Hopfen, Malz und Hefe und war damit schon immer vegan. | |
| Die veganen Kasspatzen aber: eine kleine Sensation! | |
| Dass seine Idee so viel Aufmerksamkeit erregen würde, hatte Lorenz Hocke | |
| nicht erwartet. Eine gute Woche vor Wiesnbeginn sitzt der schmächtige | |
| Bursche mit dem blonden Strubbelkopf und dem Dreitagebart in einem grünen | |
| Gartenstuhl vor dem Max Pett. Der 21 Jahre alte Kochlehrling hat gerade | |
| seine Schicht beendet. Es war viel los. Das vegane Restaurant in der | |
| Münchner Innenstadt ist gut besucht. | |
| Hocke jedoch sieht so aus, als wollte er sich am liebsten irgendwo | |
| verstecken. „Das wird gerade total gehypt“, sagt er mit leiser Stimme und | |
| vergräbt das Gesicht in den Armen, die er vor sich auf den Tisch abgelegt | |
| hat. Seit der Ankündigung des Wirtschaftsreferenten verbreitete sich die | |
| kulinarische Kunde auf veganen Blogs und auf Facebook ziemlich schnell. | |
| „Jetzt darf ich es nicht verkacken!“ | |
| Ihren Anfang nahm die Idee bereits vor drei Jahren. 2010, anlässlich des | |
| 200. Jubiläums des berühmten Volksfests, rief die Stadt etwas ins Leben, | |
| was sich seither „Oide Wiesn“ nennt. Eine Art Retro-Wiesn, wenn man so | |
| will, mit alten Fahrgeschäften und Museumszelt, neben dem eigentlichen | |
| Festgelände, umzäunt und nur gegen ein Eintrittsgeld von 3 Euro zu | |
| besuchen. Ausgerechnet diese historische Wiesn, noch mehr der Tradition | |
| verschrieben als die reguläre Veranstaltung, ist nun der Ausgangspunkt des | |
| kulinarischen Fortschritts. | |
| ## Massentierhaltung und Menschenrechte | |
| Hockes Vater, Josef „Beppi“ Bachmaier, der im Münchner Glockenbachviertel | |
| das geschichtsträchtige bayerische Wirtshaus Fraunhofer mit angegliederter | |
| Offtheaterbühne betreibt, bekam die Chance, dort ein Festzelt zu führen. | |
| Lorenz Hocke arbeitete vor drei Jahren im „Herzkasperl“-Festzelt seines | |
| Vaters in der Küche mit. | |
| Dort lernte er Peter Ludik kennen, der gleich nach der Wiesn 2010 das | |
| vegane Restaurant Max Pett eröffnete, in dem Hocke nun seine Lehre macht. | |
| Ludik, der erfahrene vegane Koch, war es auch, der den damals 18-Jährigen | |
| auf den Veganismus brachte. „Peter hat mit mir geredet“, erinnert sich | |
| Hocke. Über Massentierhaltung und darüber, welche Auswirkungen der | |
| übermäßige Fleischkonsum in der westlichen Welt auf Umwelt, Klima und | |
| Menschenrechte hat. Gedanken, die sich in den letzten Jahren immer mehr, | |
| vor allem junge Menschen in Deutschland machen. Etwa 800.000 leben | |
| hierzulande nach Schätzungen des Vegetarierbundes vegan – Tendenz steigend. | |
| Als Hocke, mittlerweile im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung, seinem Vater | |
| vorschlug, auch auf der Wiesn ein paar vegane Gerichte auf die Karte zu | |
| nehmen, war der sofort einverstanden. „Eher verwunderte einen, dass man | |
| nicht schon vorher drauf gekommen ist“, sagt Bachmaier anderntags. Die | |
| Aufbauarbeiten im Herzkasperlzelt laufen auf Hochtouren. Während die | |
| Arbeiter emsig herumlaufen, wirkt der Wirt ziemlich entspannt. | |
| Immer wieder gebe es große Gruppenreservierungen, manchmal von 150 bis 200 | |
| Personen. „Da kann man davon ausgehen, dass auch Veganer dabei sind“, | |
| sinniert er, „ich bin Gastwirt, warum soll ich dieser Kundschaft nicht auch | |
| was Ordentliches anbieten.“ Also einigten sich Vater und Sohn auf fünf | |
| vegane Gerichte: Karotten-Orangen-Ingwer-Suppe, Feldsalat mit | |
| Sesamdressing, Kichererbsennockerl, auch Falafel genannt, und Gemüse im | |
| Backteig. Zum Nachtisch Apfelkücherl mit Vanilleeis und zwei Hauptgerichte: | |
| Sojamedaillons mit Spätzle und Reherl, Pfifferlinge zu Hochdeutsch, in | |
| „Rahmsauce“ – und die Kasspatzn ohne Kas. | |
| ## „Es schmeckt wie Käse“ | |
| Keine große Kunst sei das, sagt Hocke. Statt Käse bestehe die Soße in der | |
| veganen Variante aus pflanzlichen Fetten, die zu veganem Streukäse emuliert | |
| wurden, Hefeflocken, die den Geschmack geben, und Sojasahne, damit das | |
| Ganze nicht zu trocken wird. Zwar ziehen Hockes Spätzle keine Fäden. „Aber | |
| es schaut aus wie Käse und es schmeckt wie Käse“, sagt der junge Koch | |
| überzeugt. | |
| Wenige Tage vor dem Anstich dann kam plötzlich Bewegung in die Sache. Auch | |
| an den anderen Wiesngastronomen war Hockes Idee offenbar nicht spurlos | |
| vorübergegangen. Noch vor dem „Ozapft is“ am vergangenen Samstag traten | |
| erste Nachahmer auf den Plan. In der Ammer Hühner(!)braterei stand | |
| plötzlich ebenfalls ein ausgewiesen veganes Gericht auf der Speisekarte: | |
| Bio-Hühner-Frikassee aus Sojaschnitzerl mit Spargel, Kapern und Erbsen zu | |
| Reis. Seit einem Jahr schon habe sie diesen Plan verfolgt, sagt | |
| Geschäftsführerin Claudia Trott: „Unsere veganen Wiesngäste können sich | |
| ihre Verpflegung doch nicht in der Tupperschüssel mitbringen.“ | |
| Egal wen man fragt, man hört nur lobende Worte über Hockes recht | |
| unbayerisch anmutende Idee. „Wir sind ein Volksfest“, sagt | |
| Wiesn-Pressesprecherin Gabriele Papke. „Wir müssen mit der Zeit gehen, ohne | |
| die Tradition zu verleugnen.“ Das sei typisch fürs Oktoberfest: „Wir | |
| schaffen den Spagat zwischen Tradition und Moderne“, auch bei den | |
| Fahrgeschäften stünden schließlich die Hightechmaschinen neben dem | |
| klassischen Karussell. | |
| Plötzlich, so scheint es, ist veganes Essen auf der Wiesn das Normalste der | |
| Welt. Auch das eine sehr bayerische Eigenschaft: Neues gekonnt | |
| einzuverleiben und als seit Menschengedenken da gewesene Tradition zu | |
| verkaufen. „Ich verstehe diesen Hype gar nicht“, sagt Claudi Trott vom | |
| Ammerzelt. „Das ist doch nichts Neues, sondern auch nur das, was auf der | |
| Erde wächst und uns ernährt.“ | |
| Am ersten Wiesn-Sonntag ist Lorenz Hockes Angst verflogen. Kleine | |
| Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn unter der weißen Kochmütze, während | |
| er die Käsespätzle in der Pfanne schwenkt. „Super läuft es“, sagt er. �… | |
| gut, dass wir gar nicht mehr hinterherkommen.“ 30 bis 40 Portionen habe er | |
| am ersten Tag bereits verkauft. „Darauf waren wir gar nicht eingestellt.“ | |
| Draußen im Biergarten vor dem Zelt bestätigt der Kellner: „Käsespätzle? | |
| Sorry, sind leider aus.“ | |
| 25 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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