# taz.de -- Politologe über die Netzbewegung: „Zu selbstbezogen, zu unklar“ | |
> Was ist los mit der Netzbewegung? Warum kann sie nicht mobilisieren? Sie | |
> leidet an argumentativen Lücken und staatsgläubigen Bürgern, sagt | |
> Alexander Hensel. | |
Bild: Ein Problem: Worum geht es genau bei netzpolitischen Themen? | |
sonntaz: Herr Hensel, warum schafft es die Netzbewegung bislang nicht, | |
Kapital aus dem Überwachungsskandal zu schlagen? | |
Alexander Hensel: Momentan profitiert kaum jemand vom Überwachungsskandal: | |
nicht die Oppositionsparteien im Parlament, nicht die Piraten und auch | |
nicht die Netzbewegung. Es stellen sich daher zwei Fragen: Warum erzeugt | |
der Skandal nicht mehr Empörung in der Gesellschaft? Und: Warum kann die | |
Netzbewegung nicht Teile der Bevölkerung mobilisieren? Im Vergleich zu den | |
Protesten gegen Acta im Jahr 2012 sind die Demonstrationen bislang ja | |
überschaubar geblieben. | |
Warum war der Widerstand gegen Acta so erfolgreich? | |
Der Protest wurde neben den üblichen und erfahrenen netzpolitischen | |
Akteuren ganz wesentlich von jüngeren, politisch neu aktivierten Menschen | |
getragen. Auf den Demonstrationen konnte man vielfach Schülercliquen | |
antreffen, die über soziale Netzwerke wie Facebook oder reddit von | |
Altersgenossen mobilisiert worden waren. | |
Zudem gab es starke Protestimpulse aus den USA und aus anderen europäischen | |
Ländern. Ein zentraler Punkt ist: Acta wurde innerhalb der Gruppe der | |
sogenannten digital natives tatsächlich als konkrete Bedrohung ihrer | |
kulturellen Lebenswelt gesehen. Von der Überwachung aber fühlen sich weit | |
weniger Menschen bedroht. | |
Woran liegt das? | |
Überwachung wird nicht unbedingt mehr als Bedrohung der eigenen Freiheit | |
empfunden. Viele Bürger scheinen keine große Angst vor möglichen negativen | |
Konsequenzen staatlicher Überwachung zu haben. Ein Grund hierfür mag sein, | |
dass die konkreten Erfahrungen von staatlicher Repression, beispielsweise | |
während der NS-Zeit oder in der DDR, in der Gesellschaft zunehmend | |
verblassen. Andererseits verliert der Wert der Privatheit in Zeiten einer | |
umfassenden Internetkommunikation offensichtlich an gesellschaftlichem | |
Rückhalt. | |
Hat die Netzbewegung ein institutionelles Problem? | |
Netzaktivisten sind oftmals skeptisch gegenüber Vorstößen zur | |
Institutionalisierung und Professionalisierung ihrer Bewegung. Gerade unter | |
jüngeren Aktivisten herrscht eine große Skepsis gegenüber politischen | |
Parteien, Lobbyismus und intermediären Strukturen überhaupt. | |
In der Netzszene gibt es kulturelle Vorbehalte gegenüber hierarchischen | |
Organisationsformen, da diese favorisierten Ideale einer egalitären | |
Kommunikation und Basispartizipation zuwiderlaufen. Hieraus werden nicht | |
selten relativ einfache, zuweilen auch naive Vorstellungen von | |
Basisdemokratie abgeleitet, die demokratische Erfordernisse wie | |
Minderheitenschutz, Verbindlichkeit oder politisches Vertrauen oft nicht | |
erfüllen. | |
Fehlt es der Bewegung an Bildern? | |
Edward Snowden stellt für die Bewegung durchaus ein positives Symbol dar, | |
bislang fehlt aber ein klares Feindbild. Vergangene Netzproteste richteten | |
sich gegen zentrale politische Gegner wie Ursula von der Leyen oder | |
Wolfgang Schäuble. Im Überwachungsskandal scheint die deutsche Politik | |
jedoch bislang nicht direkt verantwortlich zu sein. Der amerikanische | |
Präsident Barack Obama als politischer Adressat ist insgesamt zu sehr mit | |
positiven Assoziationen verknüpft, als dass er sich als Feindbild eignet. | |
Warum waren die Jugendbewegungen in der Türkei und in Brasilien so | |
erfolgreich und diese nicht? | |
Eine Ausweitung von objektiven Missständen führt nicht zwangsläufig zur | |
Entstehung oder zur Ausweitung von Protesten. Zentral ist die Wahrnehmung | |
von individueller Betroffenheit. Aus dieser entwickelt sich Empörung, die | |
unter günstigen Umständen in kollektiven Protest münden kann, wie es gerade | |
in Brasilien und der Türkei geschieht. Bei Acta hat sich die Empörung über | |
verschiedene Formen von Freiheitseinschränkungen geäußert: in der Bildung, | |
im Sozialen und eben auch im Internet. Einen solchen erweiterten Kontext | |
sehe ich im Überwachungsskandal bisher nicht. | |
Was müsste die Netzbewegung jetzt leisten? | |
Sie müsste an ihren Schwächen und Strategien arbeiten. Einerseits ist die | |
Kommunikation in der Netzszene zu selbstbezüglich. Es handelt sich hier um | |
einen recht kleinen Kreis von Leuten, der über eine eigene Kultur und | |
Sprache verfügt und dessen politische Kritik und Forderungen für eine | |
breitere Öffentlichkeit meist unverständlich bleiben. Hier müsste die | |
Bewegung Übersetzungsarbeit leisten. Andererseits sollte sie daran | |
mitwirken, eine argumentative Lücke zu schließen: Warum schränkt | |
Überwachung unsere Freiheit ein? Was ist zu befürchten? Das ist vielen | |
nicht einsichtig. | |
Es ist kurios: Die Dimension der Überwachung steigt beständig und | |
dramatisch, aber deren Bewertung und Problematisierung befindet sich noch | |
im Stadium der gesellschaftlichen Aushandlung. Es bedarf vermutlich einer | |
Erneuerung der Idee bürgerlicher Freiheit und deren Anpassung an die | |
digitale Realität. | |
18 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Laura Hofmann | |
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