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# taz.de -- Nahostreporter Jörg Armbruster: „Ich habe die Nase voll“
> Jörg Armbruster über Risiken und die journalistische Ethik in der
> Kriegsberichterstattung, seine schwere Armverletzung aus Syrien und
> Ägyptens Perspektiven.
Bild: Hohes Risiko für Journalisten in Kriegsgebieten: Der US-Amerikaner James…
sonntaz: Herr Armbruster, Sie wurden im März während einer Recherche im
syrischen Aleppo lebensgefährlich angeschossen, die Arterie in Ihrem
rechten Arm wurde durchtrennt. Wie geht es Ihnen heute?
Jörg Armbruster: Ich muss dreimal in der Woche zur Therapie, muss jeden Tag
meine Übungen machen, doch es lohnt sich. Die Beweglichkeit hat zugenommen,
aber es ist noch ein langer Prozess. Der Arzt macht keine Prognosen, noch
ist unklar, ob ich die Hand jemals wieder ganz bewegen kann.
Sie waren an jenem Karfreitag mit Ihrem Kollegen Martin Durm, dem Team,
einem Fahrer und einem Guide unterwegs. Obwohl Sie Schutzwesten
dabeihatten, haben Sie diese nicht angelegt. Warum?
Es gibt zwei Gründe: Wir waren ja auf dem Weg in die Türkei, wollten
eigentlich nur noch einen Müllsack mit Verbandsmaterial und Medikamenten in
einem Krankenhaus abgeben, dann wären wir sofort rausgefahren. Uns erschien
das nicht als übermäßig gefährlich, weil wir nicht ständig die Schutzwesten
in Aleppo anhatten.
Außerdem hatten wir nur Westen für das Kernteam dabei, nicht für unseren
Guide und unseren Fahrer. Dass nur wir gut geschützt im Auto sitzen und die
beiden anderen nicht, dass wollten wir nicht. Im Nachhinein ist das
vielleicht dumm gewesen.
Waren Sie als Journalisten oder als Privatpersonen unterwegs?
Als Journalisten.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht
mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“ , lautet eine Regel in
unserem Job. Haben Sie diese umgangen, als Sie die Medikamente abgeben
wollten?
Ich gebe zu, es ist grenzwertig, wir haben auch über diesen Zwiespalt
diskutiert. Aber unsere journalistische Arbeit war abgeschlossen,
Medikamente hatten wir ohnehin dabei, deswegen wollten wir diese noch rasch
in einem Krankenhaus abliefern. Wenn Sie miterleben, wie kleine Kinder, von
Schrapnells getroffen, schreiend in die Krankenhäuser eingeliefert werden,
dann kann man manchmal auch über den journalistischen Schatten springen.
Sie bekommen demnächst den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Von Friedrichs
stammt das genannte Objektivitätsdogma des Journalismus …
… ja, aber ich wüsste nicht, mit wem ich da gemeinsame Sache machen sollte.
Höchstens mit Menschen, die verletzt sind. Und mit den Ärzten dort, denn
diese sind die wahren Helden. Sie versuchen noch am Ende, Hilfe zu leisten.
Ich hoffe auch, dass ein gegnerischer Soldat behandelt wird, wenn dieser
eingeliefert wird. Das kann ich natürlich nicht sagen. Ich glaube,
Friedrichs hat nicht solche Situationen gemeint, als er von einer „guten
Sache“ sprach.
Reporter ohne Grenzen zählt in Syrien seit Beginn des Aufstands im März
2011 mindestens 23 Journalisten und 59 Bürgerjournalisten, die getötet
wurden. Gibt es heute weniger Hemmungen, auf Journalisten zu schießen?
Das weiß ich nicht. Aber es gibt weniger Hemmungen, auf Menschen zu
schießen. Wer jedoch immer auf uns geschossen hat, der wusste nicht, dass
da Journalisten in unserem Bus saßen – er war nicht gekennzeichnet, der
Schütze konnte wegen der verdreckten Scheiben auch nicht ins Innere
schauen.
Hadern Sie manchmal damit, dass Sie die Schutzweste nicht übergezogen
haben?
Die hätte mir ohnehin nicht viel geholfen. Ich hätte mir zwar den
Bauchschuss erspart, aber mein Arm wäre auf jeden Fall verletzt worden.
Hat Ihr Arbeitgeber Sie wegen dieser unvorsichtigen Recherche später
ermahnt?
Na ja, ich war so elend, da hat er sich vermutlich gesagt, der braucht
nicht mehr ermahnt zu werden. Aber er hat die Zügel schon angezogen und
alle Kollegen beauftragt, in solchen Situationen Schutzwesten anzulegen –
was absolut richtig ist.
Sender aus den USA und Großbritannien sollen ihre Teams mit privaten
Sicherheitsdiensten nach Syrien losschicken. Wären solche Maßnahmen auch
für deutsche Kollegen denkbar?
Eine solche Show, „Ich bin hier, ganz mutig“, hat nichts mit Journalismus
zu tun. Wir können der Bevölkerung nicht mit Bodyguards gegenübertreten und
damit demonstrieren, dass wir ihr nicht über den Weg trauen. Denn wenn ich
ihr nicht trauen, muss ich auch nicht dorthin fahren.
„Wer aus Syrien berichtet, trifft überall auf Lügen“, schreibt Sonja Zekr…
Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Kairo. Teilen Sie diese
Erfahrung?
In Damaskus muss man mit dem Informationsministerium zusammenarbeiten,
sonst wird man sofort ausgewiesen. Natürlich trifft man da ständig auf
Lügen. Aber ich bin auch auf Menschen gestoßen, die mir unter dem Siegel
der Verschwiegenheit und ohne Kamera erzählten, wie es wirklich zugeht. Es
gibt allerdings auch Kollegen, die lassen sich anlügen.
Einer dramatischen Story wegen?
Interviews mit Extremisten, die einem der syrische Geheimdienst
präsentiert, halte ich schon für sehr problematisch.
Sie haben einen großen Arbeitgeber hinter sich, bei dem Sie Geschichten
ablehnen können und dennoch Ihr Gehalt bekommen. Für freie Journalisten ist
es viel schwieriger, vor allem in Kriegsgebieten, die Kollegen sind auf das
Zeilenhonorar angewiesen.
Natürlich sind die freien Kollegen in einer ganz anderen Drucksituation als
ich, die müssen liefern, wenn sie ihr Geld wollen. Es ist brutal, als
freier Kriegsreporter unterwegs zu sein. Die fühlen sich dann vielleicht
besonders unter Druck gesetzt und liefern besonders scharfe Geschichten.
Die britische Sunday Times, die 2011 eine Reporterin in Syrien verlor,
kauft keine Texte mehr von Freien aus Syrien ein.
Das kann ich natürlich verstehen, aber es ist tragisch für die freien
Mitarbeiter. Beim SWR wird das von Einzelfall zu Einzelfall entschieden.
Sie sind ohne ein Visum über die Türkei eingereist. Wusste die ARD von
diesem illegalen Grenzübergang?
Aus syrischer Sicht ist das natürlich illegal, ich komme auch nicht mehr
nach Damaskus. Die ARD wusste davon, wir hatten den Auftrag gemeinsam mit
dem BR, eine große Sendung über den „neuen“ Nahen Osten zu drehen. Der
Redakteur in Deutschland vertraut auch auf unser Urteil.
Sie sind offiziell seit Beginn des Jahres im Ruhestand, es ist bekannt,
dass in Syrien gezielt auf Journalisten geschossen wird. Warum sind Sie
dennoch dorthin aufgebrochen?
Warum ist man Reporter? Reporter ist man dann, wenn man Lust hat, vor Ort
dabei zu sein. Es ist sehr unbefriedigend, über Syrien vom Schreibtisch aus
zu berichten. Wir sollten zusammen mit dem BR einen 90-Minüter drehen, das
ist schon ein großes Glück, 90 Minuten in der ARD zu bekommen. Endlich mal
die ganzen verschiedenen Facetten, die man sonst nur in Einzelberichten
unterbekommen kann, zusammenhängend darzustellen – das ist schon eine sehr
lohnende Geschichte.
Der Film war ursprünglich für den 10. Juni geplant, was haben Sie nun mit
dem vorhandenen Material gemacht?
Teilweise ist es im „Weltspiegel“ verwendet worden. Vielleicht mache ich
noch etwas für die „Tagesthemen“, ansonsten verwenden wir es nächstes Jahr
für die große Sendung, reichern es an und sagen dann natürlich auch, dass
es ein Jahr alt ist. Mir ist erst mal wichtig, die Hand wieder bewegen zu
können. Ich weiß auch nicht, ob ich wieder nach Syrien fahren würde, im
Augenblick habe ich die Nase voll.
Wie kann dieser Krieg mit mittlerweile über 100.000 Toten beendet werden?
Das weiß ich nicht. Russland und die USA müssen an einem Strang ziehen. Der
Iran muss mit einbezogen werden, er ist ein ganz wichtiger Spieler in
diesem Geflecht – aber die USA wehren sich dagegen, dass Iran als
Verhandlungspartner mit am Tisch sitzt. Ich glaube, es gibt im Moment keine
Lösung ohne Baschar al-Assad, aber der wird sich nicht mit einer
Zwischenlösung zufrieden geben, deswegen habe ich gerade wenig Hoffnung.
Richten wir den Blick auf einen anderen Konflikt in der Region: Sie waren
2011 live auf Sendung, als sich die Nachricht vom Rücktritt von Ägyptens
Machthaber Husni Mubarak auf dem Kairoer Tahrirplatz verbreitete. Er wurde
anschließend verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Nun wurde er vorläufig
wieder aus der Haft entlassen. Wird in Ägypten die Revolution rückgängig
gemacht?
Das dreht in der Tat die Revolution weit zurück. Auch wenn es
rechtsstaatlich legitim gewesen sein mag, ihn freizulassen. Aber ich habe
ohnehin große Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Ägypten, wenn man sich
anschaut, was im Moment gegen die Muslimbrüder unternommen wird. Da wird
alles wild verhaftet, was nach Führungskader aussieht. Ich fürchte, dass
Ägypten auf dem Weg zu einem neuerlichen Militärstaat ist – mit einer
zivilen Regierung, die nach vorne geschoben wird. Aber der wirklich starke
Mann ist Militärchef Abdel Fattah al-Sisi. Die Demokratisierung ist sehr
stark ausgebremst.
Hätten Sie sich diese Entwicklung vorstellen können, als Sie damals am
Tahrirplatz standen?
Dass die Muslimbrüder die stärkste Partei und eine Regierung stellen
würden, konnten wir uns alle gut vorstellen, dass das Militär so
durchgreifen würde, hingegen nicht. Und dass sich die Muslimbrüder nach
ihrem Wahlsieg so undemokratisch verhalten würden, hatten wir ebenso wenig
erwartet.
Jetzt kämpfen Mursi-Anhänger gegen Mursi-Gegner. Jeden Tag gibt es Tote.
Gibt es einen Weg, wie die Gewalt in Ägypten beendet werden könnte?
Wenn die zivile Regierung den Willen dazu hätte, hätte sie viel früher mit
Teilen der Muslimbruderschaft sprechen müssen. Vielleicht haben die
Militärs das verhindert und wollen die Muslimbruderschaft vernichten. Das
wird aber nicht gelingen. Dafür ist sie zu stark, zu gut organisiert und
hat gerade auf dem Land eine große Anhängerschaft. Ich glaube, dass ein
Teil der Muslimbruderschaft in den Untergrund gehen wird.
Das verheißt nichts Gutes für die Stabilität des Landes.
Im Augenblick sind die Aussichten für Ägypten sehr düster.
Versuchen unsere Medien solch einen Konflikt in ein Gut-Böse-Schema zu
pressen?
Das passiert manchmal, weil es halt sehr schwer vermittelbar ist, was da in
Ägypten passiert. Aber ich würde nicht pauschal sagen, dass unsere Medien
das tun. Ich merke selbst, wie schwer es mir fällt, die Situation in
Ägypten schlüssig zu erklären, weil die Grenzen fließend sind. Manchmal
kommt man da um Pauschalisierungen nicht herum. In den Zeitungen wird das
aber schon einigermaßen differenziert dargestellt.
Könnte sich in Ägypten, ähnlich wie in Syrien, ein jahrelanger
Dauerkonflikt entwickeln?
Ich glaube kaum, dass es in Ägypten zu einem Bürgerkrieg kommt. Ich fürchte
eher, dass dort ein neuer Nährboden für Terrorismus entsteht.
24 Aug 2013
## AUTOREN
Cigdem Akyol
Jürn Kruse
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