# taz.de -- Journalistenpreis für Kriegsreporter: „Mein Rucksack, meine Kame… | |
> Der Krisenjournalist Ashwin Raman erhält den diesjährigen | |
> Otto-Brenner-Preis. Seit über 40 Jahren berichtet er aus Irak, | |
> Afghanistan und Syrien. | |
Bild: „Kriegsberichterstattung ist unter jungen Leuten zu einem Abenteuerspor… | |
Taz: Sie sind gerade von einer längeren Drehreise zum „Islamischen Staat“ | |
(IS) zurück gekommen. Lieben Sie das Risiko? | |
Ashwin Raman: Keine Geschichte ist größer als mein Leben. Ich versuche so | |
weit wie möglich Risiken zu minimieren und verlasse mich auf Kontakte, die | |
über die Jahre entstanden sind. Keinesfalls gehe ich auf „Sonderangebote“ | |
ein. Damit meine ich dubiose Angebote, wie Interviews mit dem IS-Führer | |
Baghdadi und dergleichen. Hier kommen mir meine über 40 Jahre Erfahrung in | |
den Krisengebieten der Welt zu Gute. | |
Können Sie ihre Recherchen pointiert zusammenfassen: Was kennzeichnet den | |
Islamischen Staat und was macht diese „Organisation“ so gefährlich? | |
Der IS ist nicht gefährlicher als damals Abu Mussa Zarkawis Al Kaida, die | |
Taliban, Boko Haram oder al Schabab. Aber er ist professioneller und weiß | |
sich die Medien zugunsten zu machen. Unter anderem wird die | |
Hochglanzzeitschrift „Dabiq“ publiziert oder es gehen Videos mit diversen | |
Gräueltaten durch die Welt. Da wenige unabhängige Bilder über den IS | |
existieren, bedienen sich die Medien weltweit am Material der inszenierten | |
IS-Propaganda. Hierzulande produziert man Dokus mit Interviews so genannter | |
Experten, gemischt mit Propaganda-Clips des IS. Darüber hinaus versteht es | |
der IS auch die Social Media zu nutzen, (insbesondere) um Rekruten zu | |
werben. | |
In welchen Punkten unterscheidet sich Ihre Analyse von den Bewertungen der | |
etablierten Experten? | |
Patrick Cockburn, einer der besten Kenner des IS, sagt: „...wegen der | |
Gefahr gekidnappt oder ermordet zu werden, gibt es keine authentische | |
Berichterstattung über den IS. Dieser Zustand kommt auch der US-Regierung | |
zu Gute, die uns weismachen will, dass es Fortschritte im Kampf gegen den | |
Terror gibt“. Der Unterschied zwischen den „etablierten Experten“ und mir | |
ist, dass ich kein Experte bin. Ein Anti-Experte, wenn man so will. Ich | |
habe gute Kontakte in Irak und Syrien, bereise die Länder mit einer | |
handgroßen Kamera und dokumentiere, was die Menschen mir dort erzählen. Es | |
gibt nicht die eine Wahrheit. So behaupten die Schiiten-Milizen zum | |
Beispiel, dass die USA und Israel den IS unterstützen. Die Kurden und die | |
Politiker erklären demgegenüber, ohne die Luftangriffe der USA und den | |
Alliierten sei der IS nicht zu besiegen. | |
Wie nah waren sie an IS-Aktivisten dran? | |
Ich kann nur darauf hinweisen, dass Kontakte zum IS vorhanden sind. | |
Tatsächlich wurde ich schon nach al Raqqa eingeladen. Mehr zu diesem Thema | |
möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. | |
Was treibt Sie an, wenn Sie aus gefährlichen Kriegsregionen berichten? | |
Sicherlich nicht der „Kitzel“ oder Drang danach, etwas „Spektakuläres“… | |
veröffentlichen. Die Berichterstattung des Fernsehens [1][beschränkt sich | |
in der Regel auf Anschläge], der IS wird auf Gräueltaten reduziert, | |
Afghanistan auf die Hofberichtserstattung der Bundeswehr. Mich | |
interessieren aber die Geschichten von Menschen. Eine irakische Frau | |
erzählte mir zum Beispiel, wie IS-Kämpfer vor ihren Augen ihre beiden | |
Kinder ermordeten. Die Mutter wurde am Leben gelassen, sie solle lebenslang | |
leiden und den Schmerz fühlen. In der Nachbarschaft verteilt sie manchmal | |
Spielsachen, die Freude der Kinder lenkt sie von ihren Erinnerungen ab. Und | |
dann war da noch ein 22-jähriger Peschmerga an der Sinjar Frontlinie, der | |
mir von seiner Leidenschaft für Bollywoodfilme erzählte. Minuten danach ist | |
er tot, von einem IS-Scharfschützen erschossen. | |
Sie drehen selbst, mit einer kleinen Handkamera. Ist das die „Methode | |
Raman“? | |
Oft werde ich nach der „Methode Raman“ gefragt. Lassen sie mich dies | |
indirekt beantworten. Neulich schickte mir ein Kollege ein Expose für einen | |
Film über Afghanistan. Es las sich wie ein Drehbuch. Mit einer Auflistung | |
von Fragen und vorformulierten Antworten. Dies ist keine Ausnahme, über die | |
Jahre habe ich diverse solcher Treatments lesen dürfen. Meine „Methode“ | |
basiert auf gesundem Menschenverstand und darauf, zurückhaltend zu | |
arbeiten: In einem Land ankommen, Kontakte knüpfen und dokumentieren, was | |
man sieht und hört. Mein umfangreiche Netzwerk, das ich über die Jahre | |
aufgebaut habe, erleichtert mir die Arbeit. | |
Als Meilenstein meines beruflichen Lebens würde ich das Jahr 2000 | |
bezeichnen, als ich eine handgroße Videokamera geschenkt bekam. Es war wie | |
ein Augenblick der Befreiung. Plötzlich war kein Kamerateam mehr notwendig, | |
kein Warten mehr bis alle gefrühstückt haben und dergleichen. Nur noch mein | |
Rucksack, die Kamera und ich. Der Vorteil ist, mobil zu sein und spontan | |
drehen zu können. Von der Umgebung werde ich meist als Tourist oder | |
Amateurfotograf wahrgenommen. | |
Wie wichtig ist die Sprache für einen Korrespondenten in Krisengebieten? | |
Können Fixer Sprachdefizite ausgleichen? | |
Sehr wichtig. Es gibt gute Übersetzer und weniger Gute. Die meisten | |
verfügen jedoch nur über begrenzte Englisch- bzw. Deutschkenntnisse. Sie | |
sind keine Profis, tendieren dazu die Gespräche zu komprimieren und oft die | |
eigene Meinung einfließen zu lassen | |
Wenn sie in Afghanistan, im Irak und in Syrien recherchieren müssen sie | |
stets mit dem Militär zusammenarbeiten. Ist das nicht auch eine Form von | |
„embedded Journalism“? | |
Ich muss nicht zwangsläufig mit dem Militär arbeiten. Grundsätzlich habe | |
ich „embedded“ keine schlechten Erfahrungen mit dem Militär gemacht. | |
Natürlich bestimmen sie die Abläufe, präsentieren ausgewählte | |
Interviewpartner und dergleichen. Nie habe ich es jedoch erlebt, dass | |
versucht wurde, direkt Einfluss auf meine Berichterstattung zu nehmen. | |
Wichtig ist es, sich einen fairen und objektiven Ruf zu erarbeiten. | |
Wie wertvoll sind Mitarbeiter der Geheimdienste bei der | |
Informationsbeschaffung in Kriegs- und Krisengebieten? | |
Von Geheimdiensten habe ich niemals brauchbare Informationen bekommen. Eher | |
das Gegenteil war der Fall. Diverse Nachrichtendienste haben mich zu | |
„informellen“ Gesprächen eingeladen, zweimal wurden mir sogar Stellen | |
angeboten. Ich lehnte allerdings dankend ab. | |
Kann man den „Job“ des „Kriegsreporters“ oder Reporters in Krisengebiet… | |
lernen? | |
Viele junge Journalisten möchten unbedingt „Kriegsreporter“ werden. Das ist | |
zu einem Abenteuersport geworden zu sein. Vor allem erliegen sie dem | |
Irrglauben, sie könnten durch den Einsatz in Krisengebieten Karriere | |
machen. Überwiegend handelt es sich um junge Freelancer, die in der Regel | |
ohne Unterstützung einer Heimredaktion unterwegs sind, nicht versichert und | |
unerfahren. Sie jagen den Revolutionen der arabischen Welt hinterher, auf | |
der Suche nach einem Markt für ihre Bilder und Geschichten. Nicht selten | |
führt dies zu einem tragischen Ende, wie im Fall James Foley. | |
Sie haben ja bereits einige hervorragende Dokumentationen für ARD und ZDF | |
gedreht, sind mit Preisen dekoriert worden. Vermutlich werden Sie von den | |
Sendern hofiert. | |
In unserem Geschäft ist man König für ein Tag. Hast du eine guten Film | |
gemacht und gute Quoten erreicht, steigen die Chancen für das nächste | |
Projekt. Ich habe auch erlebt, dass ein bereits bewilligtes Projekt | |
kurzerhand annulliert wurde, weil einer meiner Filme kein Gefallen fand und | |
die Quoten wegen eines Fußballspiels im Keller waren. Selbst nachdem ich | |
den Deutschen Fernsehpreis gewonnen hatte, erlebte ich beim ZDF blanke | |
Blockaden. Inzwischen habe ich beim SWR (Mainz) eine solidarische Heimat | |
gefunden. | |
Wie reibungslos funktioniert die Kooperation zwischen den Korrespondenten | |
vor Ort und den Redaktionen am Stammsitz der Sender? | |
Diese Frage können die Korrespondenten besser beantworten. Was mich | |
betrifft, ich pflege den Kontakt mit meinem betreuenden Redakteur. Wir | |
tauschen uns kontinuierlich aus, zum Beispiel wo ich mich zurzeit aufhalte, | |
was ich bereits gedreht habe und dergleichen. | |
Welche praktischen Verbesserungsvorschläge haben Sie, um insgesamt die | |
Arbeit der Reporter vor Ort zu erleichtern? | |
Das Problem ist doch, dass die Öffentlich Rechtlichen einen sehr begrenzte | |
Präsenz in südlichen Hemisphären haben. So ist zum Beispiel nur ein | |
ARD-Korrespondent mit Sitz in Delhi zuständig für Indien, Pakistan, | |
Bangladesch, Sri Lanka, Afghanistan usw. Beim ZDF ist die Lage noch | |
verheerender. Ein Reporter, mit Sitz in Singapur, ist für ganz Asien | |
zuständig. Durch diese Konstellation unterscheidet sich der Wissens- und | |
Informationsstand der Korrespondenten und der Kollegen bei den | |
Heimat-Stammsendern kaum. Alle lesen die gleichen Zeitungen, das Ganze | |
läuft ziemlich reibungslos. | |
Viele Korrespondenten rücken ja nicht an das (Kriegs)-Geschehen heran, | |
werden sogar aufgefordert sicheren Abstand zu halten. Wie lässt sich dieser | |
Konflikt konstruktiv lösen? | |
Ich kann mich nicht erinnern, deutsche Korrespondenten direkt an der | |
Frontlinie gesehen zu haben. Über die großen Proteste auf Kairos | |
Tariri-Platz berichtete ein ZDF-Korrespondent zum Beispiel vom Balkon | |
seines 5-Sternhotels. Balkonszenen gehören zu „Romeo und Julia“, und nicht | |
etwa zu aktueller Berichterstattung. | |
Der Autor ist ARD-Mitarbeiter und Mitglied der Otto-Brenner-Jury. | |
16 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Kriegsberichterstattung/!5069925/ | |
## AUTOREN | |
Thomas Leif | |
## TAGS | |
Kriegsreporterin | |
„Islamischer Staat“ (IS) | |
Schwerpunkt Syrienkrieg | |
Journalismus | |
SWR | |
Krieg | |
Fernsehen | |
Journalismus | |
Kongo | |
Kriegsberichterstattung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hilfetelefon für Journalist*innen: Tabubruch in den Redaktionen | |
Auch Journalist*innen erleben Traumata und Stress, wenn sie etwa über | |
Krieg und Katastrophen berichten. Ab 2023 soll es ein Hilfetelefon geben. | |
Nachruf auf TV-Journalist Thomas Leif: Sie nannten ihn „Professor“ | |
Thomas Leif war SWR-Chefreporter, moderierte wie kein Zweiter und gründete | |
das Netzwerk Recherche. Ende Dezember ist er gestorben. | |
Erfundene Identität: Das Gesicht eines anderen | |
Fotografen und das Netz feiern den Kriegsfotografen Eduardo Martins. Dann | |
verschwindet er. Es stellt sich heraus: Martins hat nie existiert. | |
Verleihung Deutscher Fernsehpreis: „Niemand schaut uns zu“ | |
In Düsseldorf feiert sich die Branche – zeigt das aber nicht im Fernsehen, | |
weil das außer ihr selbst wohl keiner sehen will. | |
Kriegsfotografin Levine über ihren Beruf: „Wir sind traumatisiert“ | |
Ein Gespräch mit der US-Fotografin Heidi Levine über Journalisten im Krieg, | |
lebensrettende Instinkte und einen Preis, auf den sie gerne verzichten | |
würde. | |
Debatte Vergewaltigung in den Medien: Täter sind Opfer sind Täter | |
Journalisten picken oft heraus, was am besten Schlagzeilen macht. Im Kongo | |
sind es die Vergewaltigungen. Doch die meisten Täter handeln unter Zwang. | |
Nahostreporter Jörg Armbruster: „Ich habe die Nase voll“ | |
Jörg Armbruster über Risiken und die journalistische Ethik in der | |
Kriegsberichterstattung, seine schwere Armverletzung aus Syrien und | |
Ägyptens Perspektiven. |