# taz.de -- Kriegsfotografin Levine über ihren Beruf: „Wir sind traumatisier… | |
> Ein Gespräch mit der US-Fotografin Heidi Levine über Journalisten im | |
> Krieg, lebensrettende Instinkte und einen Preis, auf den sie gerne | |
> verzichten würde. | |
Bild: Das Viertel Sadschaija in Gaza-Stadt, 8. August 2014. | |
taz: Frau Levine, würden Sie sagen, dass Sie eine mutige Person sind? | |
Heidi Levine: Mutig? Nein, ich würde mich nicht als mutige Person | |
bezeichnen – zumindest nicht in allen Bereichen. Ich habe zum Beispiel | |
große Angst davor, mein Auto in einer Garage zu parken und es nicht mehr | |
wiederzufinden. | |
Wenn Sie nicht mutig sind, wie können Sie dann diesen Job machen? | |
Ich habe gelernt, meinen Instinkten zu vertrauen. Sie sagen mir, wann | |
eine Situation nicht sicher ist – wobei es eigentlich nie wirklich „sicher�… | |
ist. Während des Gazakriegs im letzten Sommer war es zum Beispiel das erste | |
Mal, dass ich – und auch meine Kollegen – nicht gleich in das Gebiet | |
gefahren bin, sondern auf eine humanitäre Feuerpause gewartet habe. Es war | |
einfach zu gefährlich. Neben den Feuergefechten hat das israelische Militär | |
auch Drohnen benutzt, bei denen man nicht sicher sein konnte, ob sie einen | |
nur beobachten; sie hätten uns auch versehentlich treffen können. | |
Gewöhnt man sich an solche Situationen? | |
Du gewöhnst dich nie daran. Eine der ersten Fragen, die mir immer gestellt | |
wird, ist, ob man immun gegen so etwas wird. Und die Antwort ist: nein. Mit | |
jedem Mal, dass ich diese Dinge sehe, berühren sie mich sogar mehr. Sie | |
verletzten deine Seele. Ich werde auch gefragt, ob ich den Glauben an die | |
Menschlichkeit verloren habe. Und ja, manchmal ist das so. Aber ich | |
versuche, mir ein bisschen Hoffnung zu bewahren, dass es irgendwann eine | |
Einigung geben wird, die die Gewalt stoppt. | |
Wie kommen Sie mit diesen Dingen zurecht? | |
Es macht etwas mit einem, ganz klar. Noch vor zehn Jahren haben | |
Journalisten nicht darüber gesprochen, dass auch sie traumatisiert sind. | |
Aber es führt kein Weg daran vorbei, betroffen zu sein. Du bist es. Danach | |
geht man durch eine Periode, in der alles über einem zusammenbricht. Du | |
erlebst unglaubliche Stimmungsschwankungen. Manchmal werde ich unglaublich | |
wütend, nur weil ich Menschen sehe, die einfach ein ganz normales Leben | |
führen. Aber selbst in Konfliktregionen gibt es Menschen, die normale Dinge | |
tun, heiraten oder Babys zur Welt bringen. Eines meiner Fotos zeigt zwei | |
Jugendliche, zwei Brüder, die getötet wurden und kurz vor ihrer Beerdigung | |
in einer Moschee aufgebahrt wurden. Danach war ich auf der Geburtsstation | |
eines Krankenhauses, weil ich umgeben sein wollte von etwas Gutem, nur für | |
ein paar Stunden. | |
Und das hat geholfen? | |
Ja, es hat mir geholfen, es war wundervoll: Ich habe neugeborene Zwillinge | |
gesehen. Ist es nicht verrückt, dass du zwei getötete Brüder fotografieren | |
kannst und dann, in derselben Stadt, im selben Krieg, siehst du | |
Zwillingsbabys und das Glück einer neuen Mutter und eines neuen Vaters? | |
Diese Gegensätze gibt es immer, zur gleichen Zeit. | |
Aber reicht das, um damit klarzukommen? | |
Nein, das sind kurze Momente, die dir helfen können, deine Seele zu | |
erholen. Ich habe so viele Menschen gesehen, die ihr Zuhause, ihre | |
Angehörigen, ihr Leben verloren haben, und es gibt Zeiten, in denen es hart | |
ist, sich das Vertrauen in die Menschlichkeit zu bewahren. Um ehrlich zu | |
sein, es ist sehr schwer, über diesen Krieg zu berichten; nicht nur für | |
mich, auch für meine Kollegen. Letztes Jahr wurde zum Beispiel das Haus | |
eines meiner Fahrer zerstört. Zum Glück konnte ich ihn rechtzeitig dazu | |
bringen, es mit seiner Familie zu verlassen. Am Anfang wollte er das nicht, | |
weil er in der Vergangenheit immer dort geblieben war. Also habe ich ihm | |
gesagt, dass ich dafür zahle, denn ich hatte das Gefühl, dass dieser Krieg | |
anders werden wird als die vorherigen. Zehn Tage später gab es mittags eine | |
humanitäre Feuerpause. Und da haben wir entdeckt, dass sein Haus völlig | |
zerstört wurde. Danach habe ich versucht, der Familie zu helfen, das | |
Nötigste aufzutreiben und Geld zu sammeln. Ich war involviert, wurde zu | |
einer Ein-Personen-NGO. | |
Aber was ist Ihre Motivation, immer wieder zurückzukehren? | |
Vergessen Sie nicht, dass es kein Ort ist, an dem ich nur einmal war, ich | |
berichte darüber seit vielen Jahren, lebe dort. Meine größte Motivation ist | |
die Hoffnung, dass es einen Friedensvertrag geben könnte und dass die | |
Gewalt aufhört. | |
Also hoffen Sie, mit Ihrer Arbeit Einfluss auf den Konflikt nehmen zu | |
können? | |
Ja. Sicher. | |
Sind Sie dann noch Journalistin oder schon Aktivistin? | |
Ich würde mich selbst nicht als Aktivistin bezeichnen. Ich habe junge | |
Fotografen gesehen, die nicht aus der Region – weder von israelischer noch | |
von palästinensischer Seite – kamen, die Aktivisten waren. Sie hielten in | |
der einen Hand eine Kamera und in der anderen ein Demonstrationsplakat. Für | |
mich ist das nichts, was ein Journalist tun sollte. Wir dürfen uns nicht | |
auf eine Seite schlagen. Meine Seite ist die Koexistenz. Und dafür kämpfe | |
ich, mit dem, was ich tue. | |
Ihre Fotos zeigen meist Schreckliches – Gewalt, Krieg, Opfer – und sind | |
gleichzeitig aber auch sehr ästhetisch. Darf Grausames schön sein? | |
Ich habe diesen Einwand schon häufiger gehört, aber ich habe keine Antwort | |
darauf. Vielleicht ist es nicht die Schönheit, sondern die Würde der | |
Menschen, die ich zeige. Ich mache das nicht absichtlich, aber ich | |
versuche, die Betrachter mit den Menschen auf meinen Bildern zu verbinden. | |
Es sind Menschen, die vielleicht auf der anderen Seite der Welt leben, die | |
eine andere Religion haben. Aber ich versuche, dass sie merken: Diese | |
Person ist mir gar nicht so unähnlich. Darüber hinaus gibt es viele Fotos, | |
die es nie in irgendwelche Zeitungen schaffen werden, weil sie zu grausam | |
sind. Aber ich werde mich selbst nicht stoppen, auch diese Fotos zu machen, | |
weil ich glaube, dass sie sehr wichtig sind. Meine Bilder sind nicht | |
einfach nur Bilder, sie sind Dokumente. Auch wenn sie heute nicht verwendet | |
werden, sie könnten irgendwann als Belege dienen. | |
Sie waren mit Anja Niedringhaus befreundet, der der Preis gewidmet ist, den | |
Sie heute verliehen bekommen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung? | |
Es ist vielleicht die höchste Auszeichnung, die ich bekommen kann. Doch | |
sosehr ich mich auch darüber freue, so sehr wünsche ich mir, es gebe ihn | |
nicht. Denn dann wäre das alles nie passiert. Es ist eine sehr emotionale | |
Situation für mich, die mich auch über meine Arbeit, über mein Leben | |
reflektieren lässt: Warum war es Anja, warum war es nicht ich? | |
Haben Sie eine Antwort für sich gefunden? | |
Ich fühle mich manchmal schuldig, denn sie ist nicht die erste Kollegin, | |
die ich verloren habe, und ich sehe auch, wie sehr ihre Familie darunter | |
leidet. Diese Situation macht mir noch viel bewusster, in welche Gefahr man | |
sich begibt und welche Konsequenzen das haben kann. Sie zwingt dich, der | |
Realität ins Auge zu blicken, denn es könnte auch andersherum sein. | |
27 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Lan-Na Grosse | |
## TAGS | |
Journalismus | |
Kriegsberichterstattung | |
Fotografie | |
Kriegsfotografie | |
Kriegsreporterin | |
Ausstellung | |
Filmfestival | |
Benjamin Netanjahu | |
Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung zu Anja Niedringhaus: Sagt nicht „Kriegsfotografin“ | |
Anja Niedringhaus fotografierte Kriege und Krisen. Zu ihrem fünften | |
Todestages ehrt das Kölner Käthe-Kollwitz-Museum sie mit einer Schau. | |
Journalistenpreis für Kriegsreporter: „Mein Rucksack, meine Kamera, ich“ | |
Der Krisenjournalist Ashwin Raman erhält den diesjährigen | |
Otto-Brenner-Preis. Seit über 40 Jahren berichtet er aus Irak, Afghanistan | |
und Syrien. | |
Fotoausstellung in der Wiener Albertina: Die schönste Hasspose aller Zeiten | |
Model, Fotografin, Kriegskorrespondentin: Das Wiener Kunstmuseum Albertina | |
zeigt die beeindruckenden Bilder der Fotojournalistin Lee Miller. | |
Filmfestival Viennale: Lust an der Zerstörung | |
Das Filmfestival Viennale bot „Revolutionen in 16mm“. Zu sehen waren | |
Beiträge von der Kriegsberichterstattung bis zur Befreiungsbewegung. | |
Remarque-Hörspiel: Nur eine Episode des ewigen Krieges | |
Radio Bremen hat „Im Westen nichts Neues“ erstmals als Hörspiel inszeniert. | |
Eine ungewöhnlich späte Ehrung – die auf jede Aktualität verzichtet. | |
Debatte Gaza-Krieg: Logik der Gewalt | |
Zum ersten Mal ist die Mehrheit der Israelis für eine Bodenoffensive. Was | |
im Gazastreifen geschieht, wird als Bekämpfung eines unerbittlichen Feindes | |
wahrgenommen. | |
Kommentar Kriegsberichterstattung: Blutige Medienmaschine | |
Jetzt, da ein deutscher Auslandsreporter im dortigen Einsatz schwer | |
verletzt wurde, bekommt Syrien wieder Sendezeit. Ansonsten gerät der | |
Konflikt in Vergessenheit. |