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# taz.de -- Remarque-Hörspiel: Nur eine Episode des ewigen Krieges
> Radio Bremen hat „Im Westen nichts Neues“ erstmals als Hörspiel
> inszeniert. Eine ungewöhnlich späte Ehrung – die auf jede Aktualität
> verzichtet.
Bild: Für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen: Erich Maria Remarque 1929 in D…
BREMEN taz | Zentraler Kunstgriff der Hör-Inszenierung von Erich Maria
Remarques „Im Westen nichts Neues“ ist die Aufspaltung der Hauptfigur: „D…
Leben hat uns zu denkenden Tieren gemacht“, sagt der Erzähler Paul Bäumer.
Und ein etwas anderer Paul fährt fort: „Es hat uns mit Stumpfheit
durchsetzt.“ Dass er vom Weltkriegsgrauen abgestumpft sei, ist dieser
nachdenklichen Passage nicht anzuhören. Gleich drei Pauls spricht Patrick
Güldenberg im Hörspiel aus verschiedenen Räumen – der Charakter zerlegt
sich in die Aspekte seiner Persönlichkeit.
Sie kommt erstaunlich spät, diese erste professionelle Hörspielfassung des
Antikriegs-Klassikers von 1929. Die aufwendige Produktion unter der Regie
von Christiane Ohaus wird ihre Ursendung am Freitag auf Radio Bremen
erleben. Spät, aber immerhin mit einem Anlass: Vor 100 Jahren begann der
Erste Weltkrieg. Schon dieses Datum illustriert die Geschichtlichkeit des
Stoffs. Leider vermag die Hörspielfassung von Matthias Eckoldt ihn davon
nicht zu lösen. In Pauls endlosen Monologen hangelt sie sich an Remarques
Text entlang. Die anderen SprecherInnen kommentieren in nur kurzen
Dialogschnipseln, geben Stichworte für die Reflexionen des Soldaten Paul.
Es sind seine eigenen Kriegserfahrungen, die der Osnabrücker Remarque
seinem Erzähler in den Mund legt. Im Stellungskrieg an der Westfront des
Ersten Weltkriegs berichtet er von seinem patriotischen Lehrer, der die
ganze Klasse zur freiwilligen Meldung mobilisiert hat. Die Geschichte führt
von der Grundausbildung über den Heimaturlaub ins Lazarett – und wieder
zurück an die Front, wo Paul als letzter seiner Klasse stirbt. An einem
Tag, über den es im Heeresbericht heißt, im Westen gebe es „nichts Neues“.
Die literarische Qualität der Vorlage liegt in der Ambivalenz dieser Figur
eines vom Kriegsalltag verrohten Soldaten, der zugleich Berichterstatter
als auch Reflektierender der sogenannten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
ist. Diese Elemente wurden nun zerlegt – in Paul eins bis drei. Güldenberg
spricht sie auf verschiedene Tonspuren, die sich hin und wieder überlagern
oder als Echos miteinander kommunizieren. Handwerklich ist das hervorragend
gelungen, sowohl technisch als auch in der Stimmmodulation des Sprechers.
Nur: Was es soll, bleibt völlig unklar. Die Ambivalenz durch Trennung zu
betonen ist eine Plattitüde – bestenfalls eine analytische Fingerübung im
Deutschunterricht.
Auch sonst bleibt die wegen der Drastik der Darstellung in die
Literaturgeschichte eingeschriebene Kriegsberichterstattung hinter den
Möglichkeiten des Mediums zurück. Der Horror des Gasangriffs etwa: leises
Röcheln im Hintergrund, das nach einer schlimmstenfalls unangenehmen
Halserkrankung klingt. Gekotzt wird nicht. Das Grauen bleibt in Remarques
Worten aufgehoben und in der Szene ungreifbar.
Trotzdem hat das Hörspiel auch beklemmende Momente. Die Sprecher wissen das
Leid ihrer Figuren durchaus zu vermitteln. Gesprochene Momenteindrücke
ihres Leidens gehen auf in einem Wirrwarr aus Ambiente-Sounds in Stereo:
ein Dröhnen, vielleicht Kriegsmaschinerie. Vielleicht aber auch Sinnbild
der Soldatenpsyche. Konkretere Klänge benennt der Erzähler nur in Worten.
Er lernt, die Geschosse danach zu unterscheiden, ob sie „pfeifen“,
„dröhnen“, „klirren“, „heulen“, „zischen“ oder „kreischen“.
An dieser Stelle nicht konkret zu werden, ist eine Stärke des Stücks.
Anders als andere moderne Hörspiele, die zunehmend mehr wie die Tonspuren
von Filmen klingen, wird hier eine Klangwelt geschaffen, die der Sprache
ihren Platz lässt. So wird die Konkurrenz zum Film vermieden. Denn der hat
sich im Genre längst wirkungsmächtig platziert. Spätestens mit
Hollywood-Produktionen wie „Saving Private Ryan“, der zwar den zweiten
Weltkrieg behandelt, darüber aber ein universelles mediales Kriegsbild
dominiert.
Im Hörspiel vermittelt einzig die einführende Idylle mit Vogelzwitschern
Realeindrücke –und die werden von der Wucht des Krieges auch akustisch
zermalmt. Darüber die Reflexionen von Paul Nummer drei. Seine kritische
Selbsterkenntnis unterscheidet den Text von solchen wie Ernst Jüngers
Stahlgewittern, nach dessen Gewalt-Meditationen die gehetzt
runtergerasselten Schlagwörter zunächst klingen: „Trommelfeuer, Sperrfeuer,
Handgranate, Gas“.
Im Widerspruch von Zeugenschaft und Analyse liegt das Aufregende von
Vorlage und Inszenierung. Rezipiert, kritisiert und von den Nazis verbrannt
wurde das literarische Werk aber als ein politisches: Der Mangel an
Nachschub und Verpflegung widerlegt implizit die Legende vom Dolchstoß.
Derzufolge habe das „im Felde unbesiegte“ Heer nur durch politischen Verrat
verloren. Ebenso umstritten war die nüchterne Entheiligung des Mordens, zu
dem auch die Kirchen von der Kanzel mobilisierten.
Fast hundert Jahre später sind das historische Randnotizen einer Episode
des ewigen Krieges. Und so verhandelt es auch die Inszenierung. Dabei
brennt gerade die letztere Debatte nur so vor Aktualität. Nicht nur, weil
US-amerikanischen Kriegseinsätzen der propagandistische Vorwurf anhängt,
„Kreuzzüge“ zu sein. Viel drastischer ist die islamistische Heiligung und
Ästhetisierung des Todes und zwar sowohl des eigenen im Dschihad als auch
des der Opfer, deren Enthauptung siegesbewusst auf Youtube platziert wird.
Dort hätte man dem Stück Aktualität abgewinnen können, wenn man sich
mutiger vom Versuch gelöst hätte, es als Klassiker zu inszenieren. Der Tod
im Stück ist ein leidenschaftlich hingehauchter Abgang – im schlimmsten
Fall noch abgerundet von melancholischer Musik. So wird der Erste Weltkrieg
dann tatsächlich zur Episode. Eine, die Gott sei Dank vorbei ist.
Ausstrahlung: 3. Oktober, 18.05 bis 20 Uhr, Nordwest-Radio
1 Oct 2014
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Journalismus
ARD
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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