# taz.de -- Filmfestival Viennale: Lust an der Zerstörung | |
> Das Filmfestival Viennale bot „Revolutionen in 16mm“. Zu sehen waren | |
> Beiträge von der Kriegsberichterstattung bis zur Befreiungsbewegung. | |
Bild: Körnige Agitation bot der Film „Tsuburekakatta migime no tame ni“ (1… | |
Die knalligste Karambolage wird für das Publikum nach Ankündigung auf dem | |
Zwischentitel („Watch it again!“) gleich noch einmal gezeigt. Denn so echt | |
wie hier waren die beworbenen „flaming thrills“ noch nie auf der Leinwand | |
zu sehen. Die Explosionen, Kollisionen und Abschüsse in „Camera Thrills of | |
the War!“ sind keine im Studio inszenierten Stunts, sondern dokumentarische | |
Aufnahmen aus den Luftkämpfen des Zweiten Weltkriegs selbst. | |
Möglich wurde dies durch die robuste und mobile Schmalfilmtechnik, die zwar | |
schon einige Jahrzehnte zuvor erfunden worden war, nun aber in der | |
Kriegsberichterstattung ihren ersten großen Einsatz hatte und direkt aus | |
der Waffenperspektive der Flugzeuge oder Panzer ihre Bilder schoss. | |
Die These von der Geburt des Kinos aus dem Krieg ist spätestens seit Paul | |
Virilio medienhistorischer Standard und „Camera Thrills of the War!“ ein | |
oft zitierter und (allerdings teilweise in zensierter Fassung) auch im Netz | |
zu findender Klassiker der Filmgeschichte und der Propaganda: Die sichtbare | |
voyeuristische Lust an der Zerstörung und die rassistisch aufgeladenen | |
Zwischentitel erhellen gerade in Zeiten neuer „guter“ Kriege, wie die | |
hässliche Eigendynamik des Militarismus auch damals keineswegs auf die | |
Achsenmächte beschränkt war. | |
Medientechnisch greift die entpersonalisierte Kameraführung heutiger | |
Drohnen-Überwachung und Go-Pro-Optik voraus. | |
## Mit viel Enthusiasmus gestaltete Sonderschau | |
Auf der Leinwand zu sehen war der Film gerade auf der Viennale in Wien, wo | |
eine von Katja Wiederspahn und Haden Guest vom Harvard Film Archive mit | |
viel Enthusiasmus gestaltete Sonderschau dreizehn Kapitel aus der | |
Geschichte des Formats präsentierte, das die Filmwelt nach dem Krieg in | |
völlig neue Dimensionen führen sollte. | |
Dabei emanzipierte sich der Schmalfilm zum Glück rasch von der | |
militärischen Herkunft und wurde mit niedrigen Produktionskosten und der | |
beweglichen Kamera zum wichtigsten Vertreter eines Kinos von unten, das vom | |
Privaten über künstlerische Experimente bis zum pornografischen Kommerz | |
reichte und vielerorts zum Standard für Dokumentarfilme und | |
Fernsehjournalismus wurde. | |
Auch „Revolutionen in 16mm“, so der schillernde Titel der Retrospektive, | |
schlug einen großen Bogen von Marie Menkens leise flirrender | |
„Notebook“-Poesie über die visuellen Explosionen popbunter | |
Dreifachprojektionen bis zu dem aus dem Müll geretteten Home Movie „Enema | |
Medley“, dessen Umstände und Protagonisten im rätselhaften Warum ihres Tuns | |
faszinierend dunkel bleiben. | |
## Befreiungsbewegung von Guinea-Bissau | |
Dass Filme aus dem Krieg nicht martialisch sein müssen, zeigte „No Pincha!“ | |
(R: Tobias Engel, René Lefort, Gilbert Igel, 1970), der mit einem ohne | |
jegliche Kampfrhetorik vorgetragenen an Bundeskanzler Willy Brandt | |
gerichteten Appell eines Sprechers der Befreiungsbewegung von Guinea-Bissau | |
beginnt. Es folgt eine parteiliche, aber dokumentarisch genaue Reise ins | |
Innere des Landes zu den Akteuren und Akteurinnen der Befreiungsbewegung – | |
von PAICG-Chef Amílcar Cabral bis zu den Küchenfrauen. | |
Gezeigt wurde „No Pincha!“ damals – auch typisch für die Verwendung des | |
Formats – bei Solidaritätsveranstaltungen, für die in Deutschland etwa | |
Co-Regisseur Tobias Engel mit dem Film durch die Studentengemeinden zog. | |
Heute sind die politisch-agitatorischen Funktionen des 16-mm-Formats längst | |
vom Web übernommen und die Projektoren eigentlich nur noch im Kunstkontext | |
von Galerien und Ausstellungsräumen in Arbeit, wo sie in Loops unermüdlich | |
ihren leise schnurrenden Dienst tun. | |
## Fotochemische Alchemie | |
Genau diesem Verschwinden gewidmet ist eine experimentelle Arbeit der | |
Filmkünstlerin Els van Riel, die in ihrem mit allen analogen Tricks | |
manipulierten Schwarz-Weiß-Film „Gradual Speed“ mit subtil in Graduation | |
und Helligkeit changierenden Bildern eine meditativ aufgeladene und | |
technisch nur in diesem Format mögliche Hommage an die fotochemische | |
Alchemie und ihre Vergänglichkeit versteht. | |
Auch sonst war – ganz abgesehen von allen Inhalten – jeder einzelne Film | |
dieser in körnigem analogem Filmschmelz erleuchteten „Revolutionen“ in | |
seiner im Hier und Jetzt stattfindenden einmaligen Aufführung ein | |
unwiederbringlicher visuell-sinnlicher Hochgenuss. | |
Spielort der Schmalfilm-Reihe war das als Theaterort aus dem 19. | |
Jahrhundert stammende Metro-Kino, das vom betreibenden Filmarchiv Austria | |
in Partnerschaft mit der Viennale gerade mit einem zweiten Saal, | |
Sichtungsplätzen und Ausstellungsräumen zu einem Filmkulturzentrum | |
ausgebaut wurde und wird. Ein Projekt, das nach einem kritischen Bericht | |
von Stefan Grissemann im profil und einer gekonterten Brandrede von | |
Viennale-Direktor Hans Hurch gegen die heimische Filmpresse eine | |
öffentliche Debatte über die Institutionen der Filmgeschichte und ihr | |
Personal auslöste. | |
Eigentliche Kontrahenten sind dabei Hurch und Alexander Horvath, der als | |
Direktor des Österreichischen Filmuseums eine nicht gleich, aber doch | |
ähnlich gelagerte Institution betreibt – und übrigens Hurchs Vorgänger als | |
Viennale-Chef war. Es lässt sich nur hoffen, dass die offene Debatte die | |
schon lange schwelende Konkurrenz zwischen beiden Häusern produktiv | |
beflügelt und nicht lähmt. | |
6 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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