Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Journalisten im Krieg: Das ausgelagerte Risiko
> Ein Teenager stirbt in Syrien während er für die Agentur Reuters
> fotografiert. Sein Tod zeigt die Realität des Nachrichtengeschäfts.
Bild: Molhem Barakat war nicht viel älter als dieser Kämpfer der Freien Syris…
HANNOVER taz | Molhem Barakat ist tot. Er war ein Teenager aus Aleppo und
fotografierte für die Nachrichtenagentur Reuters. Am Freitag, 20. Dezember,
als er in dieser stark umkämpften syrischen Stadt Kämpfe fotografierte,
wurde er getötet. Der Bürgerkrieg in Syrien hat bisher mindestens 40
Journalisten das Leben gekostet; aber dieser Tod wirft viele Fragen auf.
Nach übereinstimmenden Berichten von Journalisten und Fotografen, die ihn
persönlich kannten, war er 17 Jahre alt. Molhem Barakat hatte demnach keine
journalistische Ausbildung oder Vorerfahrung, weder hatte er
Sicherheitstrainings für Krisengebiete absolviert noch Schutzausrüstung wie
Schutzweste oder Helm besessen. Trotzdem hat er für die nach eigener
Beschreibung weltgrößte Voll-Nachrichtenagentur gearbeitet, die auch die
taz mit Nachrichten und Fotos beliefert.
Auf eine Anfrage der taz antwortete die Londoner Zentrale ausweichend, mit
einem Wortlaut, der schon der BBC geschickt worden war: „Wir sind zutiefst
betroffen über den Tod Molhem Barakats, der Reuters auf freiberuflicher
Basis Fotos verkaufte. Um die vielen derzeit in einem gefährlichen und
unberechenbaren Kriegsgebiet befindlichen Journalisten am besten zu
schützen, empfinden wir es als unangebracht zu diesem Zeitpunkt weiter zu
kommentieren.“ Weiterhin hieß es, Molhem Barakat sei am 8. März 1995
geboren und somit 18-jährig gestorben.
Rainer Steußloff, Vorsitzender des Fotografenverbands Freelens, hält es
unabhängig vom tatsächlichen Alter Barakats für unverantwortlich von
Reuters mit dessen Bildern zu arbeiten. Es sei vergleichbar mit Aufrufen
des Tagesspiegels zum 1. Mai, Leser sollten Fotos vom Geschehen in Berlin
liefern, der damit bewusst riskiere, dass Menschen sich in gefährliche
Situationen begeben. Reuters tue dies in viel extremerem Ausmaß.
## Es geht auch anders
Dass es trotz der derzeit enormen Nachrichtenrelevanz Syriens und des damit
einhergehenden Drucks für die Redaktionen auch anders geht, zeigt die
englische Sunday Times. Die Sonntagszeitung, dessen renommierte
Journalistin Marie Colvin im Februar 2012 eine der ersten ausländischen
war, die in Syrien starben, arbeitet seit Februar 2013 für ihre
Berichterstattung über Syrien nicht einmal mehr mit erfahrenen freien
Journalisten zusammen und betont dies sei keine finanzielle sondern eine
moralische Entscheidung.
Der mehrfach für Kriegsberichterstattung ausgezeichnete brasilianische
Fotojournalist, André Liohn, der zuletzt 2011 in Syrien gearbeitet hat,
hält dagegen, dass Nachrichtenagenturen und nahezu alle Publikationen
inzwischen aus Sorge um die Sicherheit davon absehen, professionelle
Journalisten nach Syrien zu schicken. Aber der Tod Molhem Barakats zeige
die bittere Realität des Nachrichtengeschäfts: Man kauft stattdessen Bilder
eines Teenagers ein, der letzten Endes während der Arbeit stirbt. Dies sei
ähnlich unverantwortlich wie der Konsum afrikanischer Blutdiamanten oder
billiger Textilprodukten aus Asien.
In ihrem Handbuch für Journalismus schreibt Reuters, dass die Sicherheit
ihrer Journalisten stets Vorrang hat, und dass keine Geschichte oder Foto
ein Leben wert sei. Aber Journalismus ist in diesem Krieg, wie so oft im
21. Jahrhundert, zur Ware verkommen und nicht nur Reuters wird sich
unangenehmen Fragen stellen müssen. Mitverantwortlich sind auch alle
Medien, die ihre journalistische Kompetenz und die ihnen obliegende
Sorgfalt auslagern.
27 Dec 2013
## AUTOREN
Kaveh Rostamkhani
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Fotografie
Aleppo
Syrischer Bürgerkrieg
Fotografie
Asien
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Jörg Armbruster
Journalismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
EU-Parlament zur Panoramafreiheit: Das Öffentliche soll privat werden
Fotos von Gebäuden und öffentlichen Skulpturen darf man ins Internet
stellen. Das könnte vom EU-Parlament bald eingeschränkt werden.
Fotojournalist über seine Arbeit: „Hart, aber nicht aussichtslos“
Julius Schrank, Gewinner des World Press Photo Award, fotografiert
Kinderprostituierte, Goldgräber, Kämpfer. Die Arbeit ist schwierig,
unsichtbar sein wichtig.
Syrer in Berlin: Die Heimat, die es nicht gibt
Sami kam aus Syrien für ein Praktikum nach Berlin und wollte wieder zurück.
Erst im letzten Moment entschied er sich zu bleiben. Ein Protokoll.
Bericht über tote Journalisten 2013: Mindestens 70 Reporter getötet
Allein 29 Reporter starben beim Bürgerkrieg in Syrien. Aber auch in Ägypten
und im Irak sind mehrere Reporter während ihrer Recherchen umgekommen.
Bürgerkrieg in Syrien: Wahrheitskampf über YouTube
Traditionelle Medien können nur unzureichend aus dem Land berichten. An
ihre Stelle treten oft Videos und Fotos, die von den Konfliktparteien
selbst ins Netz gestellt werden.
Kriegsfotografie und journalistische Ethik: Im Angesicht des Todes
Nie war Fotojournalismus in Krisen- und Kriegsgebieten so einfach wie
heute. Aber ist es richtig, die grausamen Bilder der Opfer zu zeigen?
Nahostreporter Jörg Armbruster: „Ich habe die Nase voll“
Jörg Armbruster über Risiken und die journalistische Ethik in der
Kriegsberichterstattung, seine schwere Armverletzung aus Syrien und
Ägyptens Perspektiven.
Nachruf auf Helen Thomas: In der ersten Reihe
Helen Thomas war die erste Frau in der Männerdomäne des
US-Politikjournalismus. Nun ist die scharfzüngige Kolumnistin mit 92 Jahren
gestorben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.