# taz.de -- Debatte Syrien: Einmischen, jetzt! | |
> Erst wenn der Syrienkonflikt international eskaliert, wird es | |
> Verhandlungen und eine Lösung geben. Der Westen muss Farbe bekennen. | |
Bild: UN-Inspektoren suchen nach den Resten von Chemiewaffen | |
Was muss noch passieren? Worauf warten wir? Da zerstört ein Regime seit | |
zweieinhalb Jahren mit grenzenloser Gewalt das eigene Land, massakriert die | |
eigene Bevölkerung, und alles, was uns in Deutschland dazu einfällt, ist, | |
reflexhaft vor einem Flächenbrand zu warnen, die Angst vor al-Qaida zu | |
schüren und eine politische Lösung zu fordern. | |
Dabei fehlt für Verhandlungen bei allen syrischen wie nichtsyrischen | |
Konfliktparteien der Wille. Den Flächenbrand hat Assad längst entfacht – | |
Iran und die libanesische Hisbollah kämpfen auf Seiten des Regimes, | |
Saudi-Arabien, Katar und die Türkei unterstützen die Rebellen – und Iraks | |
Al-Qaida-Ableger ist seit Monaten auf dem Vormarsch. In Syrien erfüllt sich | |
ein Horrorszenario nach dem anderen vor allem deshalb, weil wir nichts tun. | |
Erst der massive Einsatz von Nervengas vor den Toren von Damaskus hat | |
westliche Politiker nun wachgerüttelt. Sie wissen: Wenn der qualvolle | |
Chemiewaffen-Tod Hunderter Kinder ohne Folgen bleibt, dann haben nicht nur | |
die Vereinten Nationen ihre Glaubwürdigkeit verspielt, dann hat auch die | |
Welt ihre Moral verloren. | |
Aber die Entschlossenheit in Washington, London und Paris ist gespielt. Man | |
will sich nicht in den syrischen Krieg hineinziehen lassen, sondern nur das | |
Gesicht wahren und Assad eine klare Botschaft schicken. Es wird deshalb bei | |
einzelnen Militärschlägen bleiben, die jedoch an der militärischen | |
Pattsituation im Land wenig ändern. „Schutzverantwortung“ – responsibili… | |
to protect – sieht anders aus. | |
## Nur das Gesicht wahren | |
Was können wir aus zweieinhalb Jahren Revolution, zwei Jahren bewaffnetem | |
Aufstand und eineinhalb Jahren Stellvertreterkrieg lernen? Erstens, die | |
Brutalität des Assad-Regimes kennt keine Grenzen, Armee und Milizen sind zu | |
allem bereit und zu allem in der Lage. | |
Zweitens, je länger der Konflikt andauert, desto radikaler werden Assads | |
Gegner. Syrische Rebellen fühlen sich vom Westen im Stich gelassen und | |
bekommen stattdessen von al-Qaida-nahen Gruppen Unterstützung, die sie | |
ausstatten, finanzieren und ideologisch beeinflussen. | |
Drittens, eine ganze Gesellschaft verroht, brutale Verbrechen finden auf | |
allen Seiten statt, die Syrer gleiten in einen Teufelskreis aus Rache und | |
Vergeltung ab. | |
Viertens, die größten Verlierer sind die Aktivisten der ersten Stunde. Sie | |
werden aufgerieben zwischen den Bomben des Regimes, der Gewalt der | |
Rebellen, der katastrophalen Versorgungslage und dem wachsenden Einfluss | |
radikaler Islamisten. | |
Fünftens, die größten Gewinner sind ausländische Dschihadisten, die Syrien | |
als Aufmarschgebiet nutzen, den Syrern einen Steinzeit-Islam aufzwingen | |
wollen und ihren Plan vom regionalen Gottesstaat verfolgen, der mit den | |
Zielen der syrischen Revolution rein gar nichts zu tun hat. | |
## Was man wissen kann | |
Diese fünf Erkenntnisse nutzen wir im Westen dankbar dazu, uns in Syrien | |
nicht wirklich einzumischen. Ein wenig Nahrungsmittel und Medikamente hier, | |
ein paar Verbandskästen, Handykameras und Kalaschnikows dort, dazu lässt | |
die Bundesregierung jetzt 5.000 (!) der insgesamt sechs Millionen (!) | |
syrischen Flüchtlinge ins Land, und die USA feuern mit ihren Verbündeten | |
einige Marschflugkörper ab. Schon haben wir unser schlechtes Gewissen | |
beruhigt. Das Problem ist nur, dass genau dieses halbherzige Engagement den | |
Konflikt weiter befeuert: Alle Beteiligten bekommen gerade so viel Hilfe, | |
dass sie weiterkämpfen können, aber nicht genug, um zu siegen. | |
Längst entscheiden nicht mehr die Syrer selbst über den Verlauf dieses | |
Krieges, geschweige denn können sie ihn aus eigener Kraft beenden. Syrien | |
ist zum Schauplatz eines regionalen und internationalen | |
Stellvertreterkrieges geworden, der nicht mit dem Sieg der einen und der | |
Niederlage der anderen Partei enden wird – zu viele Akteure mit zu | |
unterschiedlichen Interessen sind involviert. Nein, der Syrienkonflikt wird | |
am Verhandlungstisch enden. | |
Aber dafür muss die Lage – leider – erst noch weiter eskalieren, und zwar | |
nicht mehr nur auf Kosten der Syrer, sondern auf Kosten aller beteiligten | |
Staaten. Erst wenn von Jerusalem bis Teheran, von Ankara bis Riad und von | |
Moskau bis Washington alle um die eigene Sicherheit fürchten, wird die | |
Dringlichkeit von Verhandlungen und die Kompromissbereitschaft groß genug | |
sein, um die Syrienkrise politisch zu lösen. Bis dahin dient jeder Aufruf | |
zu Gesprächen nur dem Zeitgewinn für mehr Gewalt und dem eigenen Gewissen. | |
Statt sich weiter so wenig wie möglich einzumischen, muss der Westen | |
endlich Farbe bekennen. In jedem Ort Syriens sitzen Menschen, die von einem | |
freien demokratischen Land träumen. Sie gehen dort, wo ausländische | |
Dschihadisten die Kontrolle übernehmen, gegen deren radikale Vorstellungen | |
und Methoden auf die Straße. Warum lassen wir diese Leute im Stich? Warum | |
unterstellen wir den Syrern pauschal, ein Kalifat errichten und | |
Minderheiten vertreiben zu wollen? | |
## Flugverbotszonen und Waffen | |
Stattdessen sollten wir sie mit Flugverbotszonen schützen und Aktivisten | |
wie Rebellen mit allem ausstatten, was sie für einen Sieg über das Regime | |
und die Konfrontation mit den Radikalen brauchen. Der Westen hat keine | |
Partner in Syrien? Unsinn, wer sie bis jetzt nicht gefunden hat, ist selbst | |
schuld. Wir können nicht sicher sein, dass Waffen in die falschen Hände | |
fallen? Stimmt, aber das Risiko ist vertretbar angesichts der Alternative | |
eines zerfallenden Staates, den al-Qaida als Rückzugsgebiet nutzen wird. | |
Die Einrichtung von Flugverbotszonen ist teuer, unpopulär, riskant und ohne | |
UN-Mandat völkerrechtlich nicht abgesichert. Dennoch kommt sie dem, was wir | |
in Syrien wollen, am nächsten. Die Zonen würden Zivilisten vor den Bomben | |
des Regimes schützen, Vertriebenen innerhalb des Landes sichere Zuflucht | |
bieten, die Rückkehr von Flüchtlingen ermöglichen und damit die | |
Nachbarländer entlasten und den Assad-Gegnern die Chance geben, | |
militärischen Widerstand und politische Opposition zu einen und effektiver | |
zu vernetzen. | |
Was wir jetzt brauchen, ist Mut zu mehr Engagement auf allen Ebenen. Damit | |
aus dem ursprünglichen Traum von Freiheit und Selbstbestimmung in Syrien | |
keine Endlosschleife des Mordens wird. | |
30 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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