# taz.de -- SPD-Chef Gabriel über Syrienkrise: „Merkel versucht es nicht ein… | |
> Sigmar Gabriel fordert von der Kanzlerin, Russland einzubinden. Er | |
> verspricht zudem ein schärferes Gesetz für Rüstungsexporte unter | |
> Rot-Grün. | |
Bild: Hält es mit Helmut Schmidt („Hundert Stunden verhandeln ist besser als… | |
taz: Herr Gabriel, macht Ihnen die Lage in Syrien Angst? | |
Sigmar Gabriel: Angst, nein. Aber riesige Sorgen, dass sich dieser | |
Brandherd zu einem Flächenbrand ausweitet. | |
Was tun? | |
Wir brauchen eine deutsche und europäische Friedensinitiative - gerade | |
wegen der Eiszeit in den Beziehungen zwischen Russland und den USA. Das | |
anzustoßen ist auch die Aufgabe der deutschen Kanzlerin. Wir haben ja in | |
der Vergangenheit häufig die Rolle des Mittlers eingenommen. Ein | |
Militärschlag, die geplante Strafaktion wegen des Chemiewaffeneinsatzes, | |
wird ja das Morden in Syrien nicht stoppen. Wirklich helfen würde es doch | |
nur, wenn Russland dazu bewegt würde, nicht mehr die schützende Hand über | |
das Assad-Regime zu halten. Nur wenn Russland keine Waffen und | |
wirtschaftliche Hilfe mehr liefert, wird Assad zu einem Waffenstillstand | |
bereit sein. | |
Klingt gut. Aber wo gibt es Signale, dass Russland sich von Assad weg | |
bewegt? | |
Ich bin sicher, dass es auch nicht das Interesse Russlands und Putins sein | |
kann, den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen gegen die | |
Zivilbevölkerung zu decken. Das wäre ja geradezu eine Einladung an alle | |
Diktatoren der Welt, diese grausame Völkerrechtsverletzung auch ins Kalkül | |
zu ziehen. Russland hat deshalb jetzt eine sehr große internationale | |
Verantwortung. Der Giftgaseinsatz hat einfach eine neue Qualität in diesem | |
ohnehin schon fürchterlichen Bürgerkrieg geschaffen. Das wissen die Russen | |
auch. | |
Das sagt Angela Merkel so ähnlich... | |
Aber wo ist die deutsche Außenpolitik? Wenn Herr Westerwelle sehr schnell | |
feststellt, dass eine politische Lösung „kaum noch vorstellbar“ sei, darf | |
man wohl fragen, warum die Bundeskanzlerin ihn nicht zur Ordnung ruft. Ein | |
Außenminister, der sich politische Lösungen nicht mehr vorstellen kann, hat | |
entweder einen beklagenswerten Mangel an Vorstellungskraft oder ist einfach | |
fehl am Platz. Ich würde Angela Merkel übrigens nicht kritisieren, wenn | |
ihre außenpolitischen Initiativen keinen Erfolg hätten, denn dafür könnte | |
sie nichts. Ich kritisiere sie, weil die es gar nicht erst versucht, | |
sondern ihren Außenminister über Militärschläge schwadronieren lässt. | |
Die Kanzlerin hat am Donnerstag mit Putin gesprochen. Ergebnis: Man strebe | |
eine poltische Lösung an... | |
...nachdem sie dazu öffentlich aufgefordert werden musste. Angela Merkel | |
muss jetzt dringend gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen eine | |
europäische Friedensinitiative starten und Russland einbinden. Der | |
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat Recht, wenn er vorschlägt, die vier | |
wichtigsten Gestalter der internationalen Politik zusammen zu bringen: Den | |
UN-Generalsekretär, die Präsidenten Obama und Putin sowie den Präsidenten | |
der Arabischen Liga. Diese vier hätten die Kraft, eine Waffenruhe zu | |
vereinbaren, um humanitäre Korridore zu etablieren und der geschundenen | |
Bevölkerung zu helfen. Auf diesem Weg könnte man auch den Anschlagsort | |
untersuchen, um sicher zu wissen, wer wirklich verantwortlich für diesen | |
Giftgasangriff ist. Diese Vorschläge von Peer Steinbrück müssen während des | |
G 20 Gipfels in St. Petersburg beraten werden und sie bieten Russland die | |
Chance, zu einem aktiven Partner einer neuen Syrienpolitik zu werden. | |
Ist der Militärschlag, den die USA offenbar vorbereiten, falsch? | |
Es gilt das alte Motto von Helmut Schmidt: Hundert Stunden verhandeln ist | |
besser als eine Minute Schießen. Deshalb wäre es falsch, jetzt als erstes | |
mit Militärschlägen zu antworten. Die UN-Inspektoren sind noch nicht einmal | |
aus Syrien zurück. Sie müssen doch erst einmal ihren Bericht im | |
Sicherheitsrat der UN vortragen. Und auch danach brächte uns eine weitere | |
Drehung der Kriegsspirale doch nicht weiter. Das Morden wird nicht | |
gestoppt, sondern im Gegenteil: es könnte noch weitere Kreise ziehen. | |
Deutschland und Europa müssen deshalb alles daran setzen, Russland bei | |
Waffenstillstandsbemühungen ins Boot zu bekommen. | |
Schwarz-Gelb hat sich im Libyen-Krieg defensiv verhalten, Rot-Grün die | |
Bundeswehr in den Kosovo und nach Afghanistan geschickt. Gibt es noch | |
grundsätzliche Unterschiede in Außen- und Sicherheitspolitik zwischen SPD | |
und Union? | |
Ich habe ja gerade beschrieben, wo die Unterschiede im vorliegenden Fall | |
von Syrien liegen. Aber ganz grundsätzlich ist der politische Konsens in | |
der Außenpolitik sogar wünschenswert. Und zwar für unsere Nachbarn in | |
Europa und in der Welt. Wenn immer die Gefahr bestünde, dass nach einem | |
Regierungswechsel 180 Grand-Wendungen in der deutschen Außenpolitik drohen, | |
wäre das bei der Größe und Bedeutung Deutschlands für viele andere Länder | |
sehr irritierend. Die wollen vor allem ein politisch berechenbares | |
Deutschland. Es gab eigentlich nur einen einzigen harten Bruch dieser | |
Regel. Das war 2002 als Angela Merkel sich in den USA gegen die deutsche | |
Außenpolitik gestellt hat und für eine Beteiligung am Irakkrieg | |
ausgesprochen. Das war einmalig. | |
Wenn sie von Verlässlichkeit sprechen, wie steht es mit Rüstungsexporten? | |
Wird eine rot-grüne Bundesregierung auch auf Kontinuität setzen? | |
Die jetzige Bundesregierung hätte sich besser an den bisherigen Konsens | |
gehalten. Doch statt wie bisher auf Zurückhaltung beim Rüstungsexport zu | |
setzen steht im Koalitionsvertrag 2009 ein ganz anderer Begriff - nämlich | |
„verantwortliche Handhabung.“ Merkel hat im Oktober 2012 in ihrer | |
Regierungserklärung die Rüstungsexportpolitik nicht mehr unter dem Blick | |
der Einhaltung von Menschenrechten oder dem Verbot von Lieferungen in | |
Spannungsgebiete gestellt, sondern ausdrücklich zum Bestandteil der | |
strategische Außen- und Sicherheitspolitik erklärt. Frau Merkel sagt: Sie | |
wolle mit Rüstungspolitik andere Staaten, ich zitiere, „ertüchtigen“. Das | |
hat es unter Rot-Grün nicht geben und das werden wir auch nicht fortsetzen. | |
Die Rüstungsindustrie hat unter Schröder blendend verdient. Als erstes | |
wurde 1999 Panzer an die Türkei geliefert... | |
Die Türkei ist ein Nato-Partner... | |
..und ein Spannungsgebiet... | |
Aber ein Nato-Land ist anderen gesetzlichen Auflagen unterworfen als die | |
Waffenexporte, die Merkel zu verantworten hat. Angela Merkel hat doch | |
gerade nicht die Waffenexporte in Nato-Staaten erhöht, sondern in Länder | |
mit massiven Menschenrechtsverletzungen und innerstaatlichen | |
Gewaltkonflikten. Die Ausfuhren an Drittstaaten sind um 42 Prozent | |
gestiegen - darunter an 76 Staaten, die nach den EU-Standpunkten | |
problematisch sind. Allein 64 Staaten mit bedenklicher | |
Menschenrechtssituation und 39 mit internen Gewaltkonflikten. Das sind doch | |
die Staaten, in denen dann mit deutschen Waffen Bürgerrechtsbewegungen | |
unterdrückt oder der internationale Waffenhandel versorgt wird. | |
Auch unter Rot-Grün wurden Kleinwaffen nach Saudi-Arabien exportiert. | |
Aber keine Kampfpanzer wie heute. Und doch haben Sie Recht: Kleinwaffen | |
sind heutzutage das Mittel in asymmetrischen Kriegen und Bürgerkriegen. Es | |
gibt völlig veränderte militärische Konflikte auf der Welt. Und was macht | |
Deutschland? Wir verkaufen 2012 doppelt so viele Kleinwaffen wie 2011. | |
Volumen 76 Millionen Euro. Und wieder sind es Staaten wie Saudi Arabien | |
oder der Irak. Deutschland ist nach den USA zum größten | |
Kleinwaffenexporteur geworden. | |
Will die SPD ein generelles Exportverbot von Kleinwaffen? | |
Ich bin sehr dafür, ein generelles Verbot zum Kleinwaffenexport in diese | |
Länder durchzusetzen. Wir haben ja jetzt den Antikriegstag am 1. September. | |
Es wäre gut wenn eine rot-grüne Bundesregierung am 1. September 2014 ein | |
neues und deutlich schärferes Rüstungsexportgesetz verabschieden würde, um | |
die alten Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetze aus der Zeit | |
des kalten Krieges endlich abzulösen. | |
Also will die SPD kein generelles Verbot von Kleinwaffen-Export. | |
Wenn deutsche Firmen weiter Kleinwaffen in Nato-Staaten liefern dürfen, | |
kann niemand ausschließen, dass sie nicht doch in Spannungsgebiete | |
weitergeliefert werden. In Libyen haben sich Gaddafi-Truppe und Rebellen | |
beidseitig mit deutschen Waffen getötet. | |
Kamen die Waffen nicht auch über Nato-Länder dorthin? | |
Nein, das ist falsch. Waffen wie das G 36 sind ganz offensichtlich zuerst | |
offiziell nach Ägypten geliefert worden und dann über den Umweg Libyen nach | |
Mali gekommen. Dort stehen heute französische Soldaten diesen deutschen | |
Gewehren gegenüber. Wir sehen doch täglich, dass die Genehmigungen von | |
CDU/CSU und FDP für diese gigantischen Steigerungen von Waffenverkäufen in | |
unsichere Drittstaaten das eigentliche Problem sind. Wir brauchen aber | |
durchaus auch bei Lieferung in Natoländer wirksame Endverbleibskontrollen, | |
auch deutlichere Markierungen. | |
30 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
Stefan Reinecke | |
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