# taz.de -- Debatte Syrische Flüchtlinge: Lauter kleine Clausewitze | |
> Was im ständigen Gerede über Militäreinsätze untergeht, ist die | |
> Diskussion der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch im Hinblick auf Syrien. | |
Bild: „Flüchtlinge haben nichts mehr“, sagt Tandred Stöbe von Ärzte ohne… | |
All diese Clausewitze auf einmal, wo kommen sie bloß her? Behände wenden | |
sie ganz unabhängig von Alter, Geschlecht und Informationsstand | |
Raketenwissen und Einsatzstrategien hin und her, und immer kommt heraus: | |
Das bringt doch nichts in Syrien. Militärisch ist da einfach nichts zu | |
holen. Einzugreifen wäre Wahnsinn. Das tut ihnen ja auch leid. | |
Diese auf Raketen, Truppen und aufs große geopolitische Ganze reduzierte | |
Debatte läuft nun schon seit mehr als zwei Jahren. Gerade erst kochte sie | |
angesichts der grausamen Bilder von den noch viel grausamer vergifteten | |
Menschen erneut hoch. | |
Und diesmal schien den von diesen Opferbildern gebeutelten Diskutanten | |
sogar ein wenig psychologische Entlastung vergönnt: Frankreich und die nun | |
wieder eingeknickten Briten waren vorgeprescht, wollten Raketen fliegen | |
lassen; keine Frage, Assad gehöre bestraft. Endlich schien ein | |
Befreiungsschlag in Sicht. Nicht für die Leute im Land, aber die Skepsis | |
der SyrerInnen kümmert im Ausland ohnehin niemanden. Entscheidend ist, dass | |
die USA ihren Ruf als Ordnungsmacht Nummer eins nicht länger gefährden | |
dürfen. | |
Inzwischen aber ist der als sicher geltende Militäreinsatz gar nicht mehr | |
so sicher. Und in Deutschland zieht man sich in den Redaktionen, Büros oder | |
Kneipen wieder auf die bekannte Ohnmachtsposition zurück, einfach nichts zu | |
machen. Doch das genau ist grundfalsch. Es ist etwas zu machen, und es gibt | |
noch wahnsinnig viel zu tun. | |
## Syrien ist so anstrengend | |
Womit wir bei den Flüchtlingen wären. Diese Diskussion wird nicht so gerne | |
geführt. Flüchtlinge – wie unsexy. Laut UN haben zwei Millionen SyrerInnen | |
das Land verlassen, davon sind rund 740.000 Kinder unter elf Jahren. Etwa | |
vier Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht. Etwa 7.000 Kinder | |
seien während des seit zweieinhalb Jahren anhaltenden Aufstands gegen die | |
Herrschaft von Präsident Assad getötet worden. In der Türkei und Jordanien | |
wurden Flüchtlingslager eingerichtet, die mittlerweile völlig überfüllt | |
sind. Im Libanon ist man dabei, die Grenzen dicht zu machen. Etwa 800.000 | |
SyrerInnen sollen bereits in dem kleinen Land mit vier Millionen | |
EinwohnerInnen sein. | |
Neuerdings fliehen täglich mehrere Tausend SyrerInnen in den Nordirak, | |
50.000 sind in den letzten zwei Wochen dort angekommen. Der Deutschlandchef | |
von Ärzte ohne Grenzen, Tankred Stöbe, ist vor Ort und berichtet, die | |
Leute, die in Dohuk ankommen, hätten häufig fünf oder sechs Umzüge | |
innerhalb Syriens hinter sich, immer auf der Suche nach einem sicheren Ort. | |
Sie wollten ihr Land nicht verlassen. Doch schließlich hatten sie keine | |
Alternative mehr. | |
Und Deutschland? Deutschland hat im März bekundet, dass es 5.000 SyrerInnen | |
aufnehmen wolle. Ja, genau: Von 20 Millionen SyrerInnen sind rund sechs | |
Millionen auf der Flucht, zwei Millionen haben es bereits ins Ausland | |
geschafft, und Deutschland gewährt 5.000 von ihnen Zuflucht, für zwei | |
Jahre. Die Konzentration auf das Militärische hat einen hohen Preis – für | |
die anderen. Für die Deutschen ist sie billig zu haben. | |
Es ist ja klar, dass niemals deutsche Soldaten in Syrien kämpfen werden. | |
Entsprechend die Diskussion von Kriegsszenarien maximal ungefährlich ist. | |
Zudem hat es den Nebeneffekt, dass die öffentliche Meinung ganz vergisst, | |
humanitäre Handlungsoptionen abzuwägen. Das Spendenaufkommen in Deutschland | |
bleibt eklatant niedrig. Auch das zeigt an, wie gering die Empathie mit den | |
bombardierten SyrerInnen ist. Die Mehrheit der Deutschen beschäftigt sich | |
lieber mit Kriegsszenarien. Entsprechend ist keine PolitikerIn gezwungen, | |
humanitäre Maßnahmen zu erwägen, die mehr als kosmetisch wären. | |
## Wo bleiben die Flüchtlinge? | |
Und wie geht es den 5.000 Flüchtlingen hier? Das ist nicht zu sagen, denn | |
sie sind noch gar nicht da. Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen | |
etwa bestätigte, dass von den auf sie entfallenden gut 1.000 Flüchtlingen | |
bislang 15 (!) angekommen seien. Woran das liege? Da gelte es das | |
Auswärtige Amt zu fragen. Dieses stelle die Visa aus, und sobald ein Syrer | |
eines habe, dürfe er oder sie auch kommen. | |
Vorausgesetzt, in Deutschland lebende Verwandte haben sich verpflichtet, | |
die „Kosten für den Lebensunterhalt“ zu übernehmen, „einschließlich der | |
Versorgung mit Wohnraum sowie die Versorgung im Krankheitsfall und bei | |
Pflegebedürftigkeit“. Das finanzielle Risiko für den Staat ist denkbar | |
gering. Dafür hat er gesorgt. Erinnert sich noch wer an die „Mehrkosten“ | |
für den Euro Hawk in dreistelliger Millionenhöhe? | |
Innenminister Friedrich verlautbarte nun jüngst, dass er den Familienzuzug | |
erweitern werde. Im Klartext: Deutschland will weiterhin nur handverlesene | |
SyrerInnen aufnehmen. Die syrische Community hier umfasst etwa 30.000 | |
Mitglieder. | |
Warum aber ist selbst von den verwandtschaftlich verbundenen Flüchtlingen | |
noch kaum einer in Deutschland angekommen? Das Auswärtige Amt erklärt, man | |
habe ein wenig gebraucht, um sich auf die schwierige Situation | |
einzustellen. Die meisten Flüchtlinge hätten alles verloren, auch ihre | |
Papiere. Zumindest verfügten viele nicht über alle normalerweise | |
notwendigen Dokumente. Inzwischen aber stelle die deutsche Botschaft in | |
Beirut – von dort kommen die meisten, die nach Deutschland dürfen – rund 40 | |
Visa pro Tag aus. Man gehe davon aus, dass ab Mitte September die erste | |
Chartermaschine starten könne. | |
40 pro Tag – grob gerechnet bedeutet das noch rund drei Monate, bis alle | |
der 5.000 Visa ausgestellt sind. Erst dann könne, so heißt es, die | |
Friedrich’sche Erweiterung angegangen werden. In Deutschland hat man Zeit. | |
## Von wegen Pathos | |
Damit keine Missverständnisse entstehen: Dass ein Umdenken im Auswärtigen | |
Amt und auch bei den zuständigen Behörden in den Ländern beginnt, ist gut. | |
Sich der Flüchtlinge aus Syrien anzunehmen, bedeutet Leben zu retten. Das | |
mag sich jetzt pathetisch anhören, doch mit Pathos hat diese Feststellung | |
nichts zu tun, sondern nur mit der Wirklichkeit. Die zur Abwechslung nicht | |
aus der Kampfflugzeugperspektive betrachtet wird. | |
Trotzdem bleibt die Zahl von 5.000 akzeptierten SyrerInnen lächerlich | |
klein. Und was das aktuelle humanitäre Einlenken auch vor Augen führt: | |
Natürlich hätte die Botschaft in Beirut schon längst die Visabestimmungen | |
lockern können. Doch die Regierenden haben abgewartet – bis die Zahl von | |
100.000 Toten offiziell wurde. So ist das mit dem politischen Willen. | |
Der Krieg in Syrien lässt sich nicht mit dem einen großen Militärschlag | |
beenden. Diese an Raketen gekoppelte Entlastungsfantasie wird sich nicht | |
bewahrheiten. Es bleibt nur der zähe Verhandlungsweg. Unterdessen auch die | |
reichen Länder, auch Deutschland, ihre Grenzen öffnen und ungleich mehr | |
Flüchtlinge aufnehmen müssen. | |
Aber werden wir die je wieder los? Wer den Leuten zuhört, die mit | |
Flüchtlingen reden und arbeiten, wie etwa Tankred Stöbe, kann sich von | |
diesen (ohnehin schnöden) Überlegungen rasch trennen: Sobald es irgendwie | |
geht, wollen die allermeisten wieder zurück. Wer sonst sollte ihr Land | |
wiederaufbauen? | |
31 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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